«Ich habe das Dogma des ‚Ich und Die‘ gebrochen.»

Vor kurzem wurden die Teaching Excellence Awards verliehen, durch welche „gute Lehre ins Blickfeld“ gerückt werden soll. Eine Jury wertete 800 Nominationen aus, um schliesslich sieben Preise in fünf Kategorien vergeben. Der Preis in der Kategorie „Lehrdogmenbrecher“ ging an Jens Gaab, Professor der Klinischen Psychologie und Psychotherapie an der Universität Basel. Im Interview erklärt er mir mehr über seine Ansichten zur Lehre.

Was ist eigentlich überhaupt ein Lehrdogma?
Ich habe mich das auch gefragt. Es war mir nicht bewusst, dass ich da etwas gebrochen habe. Anscheinend haben mich Studierende in dieser Kategorie nominiert. Das mich sehr freut, denn die Studierenden sind mir sehr wichtig. Doch habe ich mich auch gefragt, wie ich mir das erklären kann. Ich habe schon vor einer Weile für mich selbst ein Dogma gebrochen: Ich kam irgendwann an einen Punkt, an dem ich die Lehre als einseitig wahrgenommen habe. Ich habe dann das Dogma des „Ich und Die“ über den Haufen geworfen. Es sind nämlich „Wir“, die gemeinsam studieren. Bei mir hat das eine grosse Veränderung ausgelöst. Ich habe gemerkt, ich bin gar nicht der einzige Verantwortliche, sondern die Studierenden und ich sind gemeinsam verantwortlich. Das hat dann dazu geführt, dass ich andere Präsentationsformen gesucht habe. Zum Beispiel verwende ich nicht mehr PowerPoint, sondern Mind-Maps, wir gehen in Originalartikel rein, ich lade Vortragende ein oder spiele auch mal einen Patienten. Dadurch ist es für mich viel einfacher geworden, Lehre zu machen. Ich stelle mich nicht mehr vorne hin, sondern habe das Gefühl, ich kommuniziere mit den Studierenden.

Was zeichnet für Sie gute Lehre aus?
Lehrende müssen kompetent sein. Kompetenz heisst auch, sicher zu sein. Ausserdem das Interesse für Studierende, diese Freude! Selbst wenn sie vielleicht manchmal nicht da ist, zum Beispiel wenn Studierende in die Vorlesung reinkommen und direkt die Zeitung aufschlagen, da muss ich schon kämpfen. Mir hilft es in diesen Fällen, mir zu vergegenwärtigen: Das habe ich als Student auch gemacht. Gute Lehre macht es zudem aus, dass man versucht, dorthin zu gehen, wo die Bedürfnisse der Studierenden sind. Sie sollen merken, dass es jemanden gibt, der sie wertschätzt. Lehre ist dementsprechend auch eine sehr persönliche Sache. Viele meinen ja, mit Bologna ist es nicht mehr möglich, Lehre anzubieten, weil die Studierenden nur noch auf Credits aus sind. Ich bin nicht dieser Meinung. Wir können die gleiche Lehre machen wie vorher. Und persönliche Kontakte sind auch trotz Bologna möglich.

Ist es nicht ein schlechtes Zeichen, dass es einen solchen Preis gibt? Bedeutet das, dass gute Lehre eine Ausnahme ist?
Im Gegenteil: Dass solche Preise vergeben werden ist, ein wichtiges Signal und zeigt, dass Lehre wertvoll ist. Lehre ist eben ein zentrales Ziel der Universität. Auch die Art und Weise, wie alles präsentiert wurde, dass beispielsweise die Rektorin und der Vizerektor bei der Preisverleihung waren, unterstreicht den Stellenwert der Lehre. Ich hoffe, dass die Studierenden nicht denken, das ist alles nur so ein akademisches Gedöns, denn die meisten an der Universität nehmen die Studierenden als sehr, sehr wichtig wahr. Ich glaube, sie sind nicht nur Teil unseres Berufs, sondern auch ein Teil unseres Lebens.

Wie können sie Ihr Wissen und Ihre Kompetenzen weitergeben?
Ich wurde schon angefragt, ob ich in einer anderen Fakultät mal vorstellen möchte, wie ich das mache. Das ist natürlich eine Bestätigung für mich und mein Team und ich glaube, das hat auch Auswirkungen auf die Fakultät. Wenn Studierende wahrnehmen, dass sie ein Recht haben, etwas zu fordern und sich einzusetzen, hat das zudem einen Effekt auf andere Veranstaltungen, falls das da zu kurz kommt. Das ist ein erster wichtiger Schritt.

Haben Sie einen Ratschlag an andere Dozierende?
Mir hilft, alles im Team zu besprechen, offen und ausführlich. Auch wenn ich den Preis dafür bekommen habe, das gesamte Team setzt unser Lehrmodell um. Und wir versuchen, mit Studierenden in Kontakt zu kommen. Wir fragen, wie ist es für euch? Zum Beispiel in Feedback-Runden. Man sollte Lehre nicht nur für sich alleine verstehen und planen. Das ist nicht nur anstrengend, sondern man läuft auch Gefahr, gefangen in seiner eigenen Wahrnehmung zu bleiben.

Wie wird sich die Lehre ihrer Meinung nach in der Zukunft verändern?
Die Lehre hat sich schon dramatisch verändert. Heute ist alles online und so verfügbar geworden. Das ist für die Lehre super. Wir können sagen, die Literatur ist online, also lest sie euch durch und dann sprechen wir darüber in der Vorlesung. Es liegen somit viel mehr Möglichkeiten auf Seiten der Studierenden, sich selber zu informieren und die Lehre eher zur Diskussion zu nutzen. Das kommt mir zumindest für den Bereich Psychologie sehr wichtig vor. Dann haben wir erfahrungsbasiertes Lernen. Es ist spannend, in der Lehre soziale Erlebensräume schaffen, in denen man sich mit anderen Menschen etwas erarbeitet.

Was möchten Sie den Studierenden und unseren Leserinnen und Lesern noch mitgeben?
Es ist Ihr Studium, nicht meins. Ein Studium ist Luxus. Wir haben es geschafft, Bildung so verfügbar zu machen, dass alle studieren können oder anders gesagt: Man darf studieren! Zugegeben, ich habe das selbst als Student nicht immer so wahrgenommen, komischerweise. Aber, dass die Gesellschaft sich das leistet, finde ich immer wieder faszinierend. Es ist ein Privileg. Es ist Ihr Studium. Ich wünsche mir, dass Studierende anfangen zu rufen „Es ist mein Studium und wir wollen studieren!“

 

1 Kommentar

  1. therealblogotics
    So, 2. Oktober 2016 / 12:45 Uhr

    Ob jemand einen kommentar zu einem alten Blogeintrag noch liest? Wohl eher nicht! Also kurzhalten ist angesagt:
    Erstens: Ein Preis für Lehre ist natürlich nett; er ändert aber natürlich nichts daran, dass es für eine wissenschaftliche Karriere weiterhin völlig unerheblich ist, ob ein, eine angehende ProfessorIn gute Lehre macht oder nicht. Um gute Lehre wirklich zu fördern müsste sie auch bei der Stellenvergabe beachtet werden, den Instituten genügend zeitliche und monetäre Ressourcen für die Überarbeitung von Curricula gegeben etc. Vl. müsste man sogar das Diktum der Einheit von Forschung und Lehre fallen lassen und endlich ordentliche Stellen für gute Lehrende einrichten. Kurz: Ein Preis ehrt gute Lehre, dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass gute Lehre auch anders gefördert oder eingefordert werden kann, und vermutlich auch sollte.
    Zweitens: Studieren als Luxus wär natürlich auch nett, entspricht wohl aber nicht ganz der Realität der meisten Studierenden: Vom Studium erhofft man sich wohl doch auch ein künftiges Einkommen mit einer sinnvoll erscheinenden Tätigkeit. Und der Weg bis zum Studiumsabschluss ist doch nicht nur Zuckerschlecken, sondern auch recht harte Arbeit. Priviligiert würde ich mich halt doch eher auf der Yacht beim Cocktailschlürfen fühlen. Die Schweiz investiert ja natürlich auch nicht einfach in Gönnerlaune in ihren universitären Nachwuchs. Vielmehr muss auch die Schweiz ihre Chancen im internationalen Wettbewerb sicherstellen und ist auf einen gut aufgestellten Nachwuchs angewiesen. Kurz: Nein, studieren in der Wissensökonomie ist nicht nur Luxus, sondern auch harte Arbeit, nicht nur Privileg sonder auch Zwang.

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