Das Dilemma mit der Zoom-Kamera – Erfahrungen der Dozierenden

Seit nun schon mehr als einem Jahr befinden wir uns im Fernunterricht. Was manche Studierende vorher vermissten, etwa die mangelnden digitalen Aufzeichnungen von Vorlesungen, wurde über Nacht zur Realität. Doch dieser abrupte Wechsel war für viele von uns schwierig – auch für die Dozierenden.

Online-Tools können eine Präsenzveranstaltung nicht vollständig ersetzen. Das finden auch die Dozierenden. Vier Lehrende schildern mir, wie es ihnen mit dem digitalen Unterricht ergangen ist.

Fehlender Blickkontakt mit den Studierenden
Ulf Schiller, Professor an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, unterrichtet schon viele Jahre. Er hält vor allem Vorträge vor grossem Publikum ab. Dazu sagt er: «Wenn die Leute die Kamera ausgeschaltet haben und ich in den leeren Bildschirm reinspreche, dann ist es keine Vorlesung mehr.» Wegen des fehlenden Blickkontakts kann er nicht gut auf sein Publikum eingehen. Er sieht nicht, wo die Studierenden nicht nachgekommen sind. «Das kann sehr frustrierend sein», sagt Schiller.

Im letzten Semester entschied er sich deshalb, die Vorlesung nicht mehr live zu unterrichten, sondern ein Video zu produzieren. Dafür hat er sich auf Youtube beispielsweise Videos von Mai Thi Nguyen-Kim angeschaut, die Wissenschaft vermittelt. Ihr Kanal «maiLab» hat mittlerweile über 1 Million Abonnenten. Wenn nämlich der Augenkontakt der Vorlesung oder des Zoom-Meetings fehle, so müsse man andere Dimensionen verbessern, um die Leute dennoch zu erreichen. Für die Studis sieht Schiller in den Videos auch Vorteile: «Man kann sich etwas nochmals anhören, wenn man es nicht verstanden hat.»

Debattieren via Zoom
Auch Francesca Rüedi und Michael Honegger boten Ihr Tutorat «Debattieren» vergangenes Semester online an. Die beiden können für sich eine positive Bilanz ziehen: «Grundsätzlich empfanden wir die Umstellung eines Tutorats, welches praktische Fähigkeiten verbessern soll, einfacher als zuvor gedacht», sagt Francesca. Um Planungssicherheit gewährleisten zu können, hatten sie frühzeitig entschieden, die Veranstaltung nur digital anzubieten.

Dies auch weil die beiden Tutoren niemanden ausschliessen wollten: «Personen, welche der Risikogruppe angehören, sollten ebenfalls die Möglichkeit erhalten, das Tutorat zu besuchen», erklärt Francesca. Michael fügt hinzu: «Für mich ist die Flexibilität der grösste Vorteil des Formats. Die Möglichkeit von überall aus zu lehren und zu lernen werden wir wohl auch nach der Pandemie noch schätzen.»

Francesca und Michael würden dennoch gerne wieder auf Präsenz umstellen. Schliesslich sei das «Schulen von rhetorischen Fähigkeiten sowie Mimik und Gestik mit dem Online-Format nur bedingt möglich». Dem fügt Michael an: «Die Studierenden haben aber ein Anrecht darauf, diese vermittelt zu bekommen.»

«Online-Seminare sind ein notwendiges Übel»
Harun Maye ist für den Fachbereich Medienwissenschaften tätig. Er unterrichtet hauptsächlich Seminare, welche von Diskussionen zwischen den Kommilitonen leben. «Online-Seminare sind ein notwendiges Übel», beginnt Maye. Denn obwohl sie kostengünstiger sowie auch flexibler sind, können sie die Lehre in Präsenz nicht ersetzen.

Laut Maye besteht nämlich ein Zusammenhang zwischen dem Leistungsniveau der Studierenden und Präsenzveranstaltungen. Er begründet dies wie folgt: «Im Seminar geht es vorwiegend um Fragen, auf die es keine eindeutigen und schnellen Antworten gibt, sondern die einen langfristigen, kollektiven Denkprozess in Gang setzen.» Weiter führt er aus, dass das Bildungsziel der Universität nicht nur Wissensvermittlung ist, sondern auch «die Vermittlung des souveränen Umgangs mit Wissen» sei.

Dieser Austausch sei zwar im Online-Unterricht möglich, jedoch würde das Mediendispositiv Bildschirm dazu führen, dass die Studierenden eine passive Haltung im Seminar einnehmen. Dies würde durch ausgeschaltete Kameras begünstigt, zumal einzelne Teilnehmer damit unsichtbar werden und «das Seminar zum Podcast wird, den man anhört, während die übrigen Sinne etwas anderes tun».

Kamera an oder aus?
Diese weit verbreitete Uneinigkeit zwischen Dozierenden und den Studierenden bezüglich Kamera-Nutzung kennt auch Ulf Schiller: «Wenn ich meine Studierenden aufnehme, sie ihre Kamera eingeschaltet haben und ich dieses Video anschliessend im Netz verbreite, so ist dies datenschutztechnisch schwierig.» Auf der anderen Seite sei es auch «nicht lustig» in einen schwarzen Bildschirm zu sprechen. Keiner seiner Kollegen hätte besonders viel Freude daran.

Francesca ist der Meinung, «dass insbesondere bei interaktiven Inhalten das Einschalten der Kamera sinnvoll und angebracht ist.» Ein Obligatorium würde sie dennoch nicht wollen, zumal dies Studierende benachteiligt, die aus finanziellen Gründen eine schlechtere Infrastruktur besitzen. Sie fügt an: «Wenn das Video stark stockt, so sollen die Studierenden das Video lieber ausschalten und sich ohne Bild aktiv beteiligen.» Michael ergänzt: «Als Dozierender erhält man via Videokonferenz ungewohnt wenig Feedback auf Gesagtes. Sieht man immerhin ein bewegtes Bild seines Gegenübers, so mindert es das Gefühl, ins Nichts hinein zu reden.»

Der zukünftige Unterricht
Wie er sich den perfekten Unterricht nach der Pandemie vorstellt, kann Ulf Schiller noch nicht sagen: «Die Büchse der Pandora ist offen, man hat dieses Medium und sieht, dass es Stärken hat.» Zudem würden in den bereits produzierten Videos auch viel Arbeit stecken. Auf der anderen Seite wünsche er sich dennoch den persönlichen Kontakt zu seinen Studierenden zurück. Gleichzeitig ist er neugierig, was nach Corona vom Digitalisierungs-Schub übrig bleibt.

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