Manche studieren 31 Semester, andere werden mit 18 Professor. Doch eins haben alle studentischen Biografien gemeinsam: Sie werden von den Regelungen der jeweiligen Universitäten geprägt. Eine persönliche Geschichte zeigt, welche Probleme daraus entstehen können und wie man diesen am besten vorbeugt.
Allerspätestens wenn der Postbote das Willkommenspaket zur erfolgreichen Einschreibung in den Briefkastenschlitz entlässt, werden Studienordnung und Wegleitung zu treuen Begleitern über die Studienzeit hinweg. Im Idealfall ausführlich durchstudiert und mit persönlichen Kommentaren und farbcodierten Haftnotizen versehen, kann die Paragrafenlyrik schliesslich an einem Halbschattenplatz im Regal platziert werden. Dort hält sie es in der Regel ohne grösseren Pflegeaufwand lange aus.
So mag für manchen Studierenden das einmalige Lesen dieser allerersten Pflichtlektüre des Studium ausreichen, um einen fundamentalen Überblick auf die geltenden Anforderungen zu erhaschen und darauf fussend einen lückenlosen Plan zu entwerfen und in Regelstudienzeit umzusetzen – aber davon handelt diese Geschichte nicht. Dies ist eine Geschichte von kleineren und grösseren Stolpersteinen, eine Geschichte über Module und Kreditpunkte, eine Geschichte des Scheiterns und des Weitermachens, und letztlich, soviel darf vorweggenommen werden, auch eine Geschichte mit glücklichem Ausgang.
Ich treffe mich mit Sisyphos. Sisyphos heisst nicht Sisyphos. Er hat auch nie in Korinth gelebt, sondern studiert in Basel Computer Science. Um diese Geschichte zu verstehen, bedarf es weiter keiner detaillierten Informationen zu seiner Person. Diese Geschichte soll der Anschauung dienen, frei von Kritik, Schuldfragen und Zeigefingern. Sie soll fortan als biografische Tragikomödie in den Kanon studentischer Lebensläufe eingehen und gilt mit dem schliesslich zu berichteten Happy End per Definition als abgeschlossen. Nachfolgend die Schilderungen des Sisyphos, wie sie mir aus erster Hand berichtet wurden, teilweise unter Einbezug des originalen E-Mail-Verkehrs, teilweise als Erinnerungsprotokoll, und zum Schluss mit dem einen oder anderen Tipp für dein eigenes Studium versehen.
Alles beginnt bereits im ersten Semester von Sisyphos‘ Studium. Aus einem Kern von Modulen rund um die mathematischen und informationstechnischen Themen des Studiums sticht, aus Sisyphos‘ subjektiver Sicht, das Modul «Naturwissenschaften» heraus. Ein Potpourri aus Physik, Chemie und Biologie, welches für den erfolgreichen Abschluss mit 16 Kreditpunkten absolviert werden muss. Zu Verfügung stehen Physik I, Physik II, Chemie I (1. Block), alle mit einem jeweiligen Umfang von 6 Kreditpunkten, und insgesamt sieben Vorlesungen aus den Bereichen Physik, Chemie und Biologie (2. Block) mit einem Umfang zwischen 2 und 4 Kreditpunkten. Nicht unbedingt die Interessensgebiete, die ihn zu seiner Einschreibung bewogen hatten. Mindestens zwei Vorlesungen aus dem Bereich Physik I, Physik II und Chemie I (1. Block) muss er bestehen. Das sollte später noch wichtig werden.
Während Sisyphos in den mathematischen und informationstechnischen Bereichen Erfolge feiert, besteht er Physik I knapp nicht, und auch die Nachprüfung im dritten Semester bringt ihm keinen Erfolg. Physik I wird mit einer 3.5 endgültig bewertet. Ärgerlich, letztlich auch, da die gewichteten Mittelwerte über den Erfolg im Modul entscheiden und er nun die 3.5 in Physik I für eine Wertung ausgleichen müsste.
Dieser Ausgleich soll im vierten Semester über die Vorlesung Chemie I erfolgen. Fussend auf den Erfahrungen aus Physik I steht Physik II zu diesem Zeitpunkt nicht mehr auf seiner persönlichen Prioritätenliste. Der Plan: mit einer Wertung von 4,5 Notenpunkten (oder besser) in Chemie I die 3,5 in Physik I ausgleichen. Bei einem Nichtbestehen der Vorlesung müsste er diese halt wiederholen. Doch er schreibt eine 4.0 und somit sind sowohl der Ausgleich als auch die Wiederholung der Prüfung nicht mehr möglich. Parallel besteht er eine weitere Vorlesung aus dem zweiten Block, allerdings mit einer 4.0. Somit kann er Physik I auch darüber nicht ausgleichen. Ein neuer Plan muss her, aber zunächst schreibt er seine Bachelor-Arbeit, mit Bestnote. Im eigenen Interessengebiet scheint er alle Steine auf den Berg zu rollen, lediglich der unscheinbare Felsblock mit der Aufschrift «Physik I, 3.5» rollt ihm immer wieder entgegen. Mittlerweile ist das siebte Semester angebrochen und die Studienordnung droht auszulaufen.
Genau in diesem Zeitraum trudelt eine Rundmail vom Studiendekanat in der Inbox seines E-Mail-Postfaches ein. Darin wird die Belegung der Vorlesung «Quantum Information» für Informatikstudierende empfohlen. Wird der Berg plötzlich zum Hügel? Ein persönliches Gespräch mit der Studiengangleitung weckt in ihm neue Hoffnung. Ein Missverständnis, wie sich später herausstellen sollte. Trotzdem geht er zunächst davon aus, dass die empfohlene Vorlesung im Modul «Naturwissenschaften» angerechnet werden kann und besteht sie im achten Semester mit Bravour, Physik I kann vermeintlich endlich ausgeglichen werden. Simultan belegt er erste Master-Vorlesungen.
Beim Antrag für den Bachelor-Abschluss folgt dann die Verwirrung, der Antrag wird abgelehnt. Quantum Information kann in letzter Instanz doch nicht wie geplant angerechnet werden. Mitverantwortlich für die Entscheidung ist der Umstand, dass bereits andere Studierende mit einem ähnlichen Profil ausgeschlossen wurden, eine auch für den unmittelbar betroffenen Sisyphos schlüssige Argumentation. Leider lässt sich auch der damalige E-Mail-Schriftverkehr nicht eindeutig interpretieren und das persönliche Gespräch liegt ein Semester zurück. Man einigt sich auf ein unglückliches Missverständnis. Zwar erzielt er in den Master-Vorlesungen die gewünschten Erfolge, aber noch hat er keinen Bachelor-Abschluss, seine Studienordnung läuft aus und mit der Master-Arbeit kann er ohne einen Bachelor-Abschluss nicht beginnen. Wieder muss ein neuer Plan her.
Physik II soll es nun doch noch richten. Allerdings wird Physik II nur im Frühjahrssemester angeboten, und es ist Herbst. Sisyphos stellt einen Antrag auf Verlängerung der Studienordnung, welcher auch bewilligt wird. Nach der neuen Studienordnung hätte sich der Aufwand für den Abschluss noch zusätzlich erhöht. So plant er im 10. Semester endgültig alle Altlasten loszuwerden. Seine Motivation ist auf einem Höchststand. Immer wird er in der anspruchsvollen Physik II-Vorlesung sein, dem Dozenten alle offenen Fragen stellen, in der Universitätsbibliothek nacharbeiten.
Doch plötzlich ist alles anders, die COVID-19-Pandemie stellt den Unialltag vor Herausforderungen. Die Lernatmosphäre zuhause ist für ihn nicht optimal. Er belegt eine zusätzliche Biologievorlesung, obwohl der Interessenfokus weiterhin auf mathematischen und informationstechnischen Inhalten liegt, nur um einen Puffer zu haben. Sollte es mit Physik II nicht funktionieren könnte er mit einer guten Notenleistung im Pufferfach auch ausgleichen.
Die Fächer werden zum Semesterende mit einer 3,5 in Physik II und einer 4.5 in der Biologievorlesung bewertet. Er hätte entweder eine 4,5 in Physik II; oder eine 5.0 in der Biologievorlesung; oder in beiden Fächern zusammen mindestens eine 4.0 benötigt. Der Worst Case tritt also ein: die Studienordnung läuft endgültig aus und ein Ausgleich der Physik-I Vorlesung aus dem ersten Semester ist nicht mehr rechtzeitig möglich.
Oder doch? In einem letzten verzweifelten Versuch macht er sich auf zur Prüfungseinsicht und dort wird schnell deutlich, dass es noch Hoffnung für ihn gibt. Denn auch bei den Korrekturen können Fehler passieren, und tatsächlich ist eine mit 0 Punkten bewertete Aufgabe inhaltlich korrekt gelöst, zwar nicht nach Musterlösung, aber das ist nur noch Formsache. Die zusätzlichen Punkte reichen aus, um die Notenwertung auf 4.5 anzuheben. Plötzlich ist alles ganz einfach. Module zuordnen, Antrag auf Abschluss stellen, Zeugnis in Empfang nehmen. Da er parallel bereits ausreichend Kreditpunkte für den Master gesammelt hat, kann er sich nun endlich voll auf die letzte Etappe seines Studiums konzentrieren: die Masterarbeit. So kann schliesslich doch noch von einem Happy End gesprochen werden. Die Bergspitze ist erreicht.
Die Erfahrungen, welche Sisyphos gemacht hat, obgleich in seinem Fall gleich ein ganzer Reigen aus Fallstricken seinen Weg pflasterte, sind keinesfalls untypisch. Es passiert schnell, dass man einzelne Punkte in der Wegleitung übersieht, missdeutet oder schlicht und einfach die zugehörige Leistung nicht besteht. Ich war im Bachelor-Studium selbst wegen einer aus meiner Perspektive ambivalenten Information in der Wegleitung beim Sekretariat unserer Fakultät und habe mich beraten lassen. Etwas, dass ich auch bei kleinen Unsicherheiten jedem empfehlen kann – und bei Unklarheiten lieber zweimal nachfragen, bevor es zu Missverständnissen kommt.
Ich habe beim Übertritt ins Masterstudium auch erlebt, dass Kommilitonen nicht weitermachen konnten, da einzelne Kreditpunkte gefehlt haben. In einigen Fällen war es tatsächlich nur ein einzelner Kreditpunkt, unbenotet und angesiedelt im ausserfakultären Wahlbereich, der über das kommende Semester entschieden hat. In anderen Fällen war die Maximalzahl der Kreditpunkte locker erreicht, aber die Zuordnung nach Wegleitung war nicht möglich. Im Falle des Psychologiestudiums heisst das dann, dass man bis zum Bachelorabschluss keine einzelne Master-Vorlesung besuchen darf, denn diese sind den Master-Studierenden exklusiv vorbehalten.
Auch solche studiengangexklusiven Rahmenbedingungen sollte man gut berücksichtigen. Also: Plant euer Studium rechtzeitig und gründlich, lasst euch Sonderregelungen am besten schriftlich geben (Ich konnte zum Beispiel eine interessante Vorlesung für mein Master-Studium anrechnen lassen, welche eigentlich nicht dafür vorgesehen war. Die Abklärung lief damals per E-Mail über das Studiendekanat und hat sehr gut funktioniert) und schaut vielleicht auch mal in der einen oder anderen Prüfungseinsicht vorbei. Achso, und vielleicht am allerwichtigsten: Gebt nicht auf!