Prokrastination ist der Fachbegriff für das Aufschieben, Vertagen und Vertrödeln von Aufgaben. Ein typisches Uni-Problem. Lästig aber harmlos für die einen, ein Grund das Studium abzubrechen für die anderen. Die Lösungen sind komplexer, als „sich einfach mal ein bisschen mehr Mühe zu geben.“
Aufgeschobene Seminararbeiten sind ein super Gesprächsthema unter Studierenden der Geisteswissenschaften. Egal ob Sprachen, Geschichte oder Ethnologie, die meisten haben eine Leiche im Keller. Die Arbeit, die im letzten Sommer hätte fertig sein sollen. Oder im Winter davor. Die Seminararbeit, die vielleicht schon angefangen wurde, die vielleicht schon fast geschrieben ist, bloss eben nicht ganz. Jetzt liegt sie unfertig auf dem Laufwerk herum, die Professorin findet, es sei nicht schlimm, wenn sie erst im nächsten Semester fertig würde. Das hat sie vor zwei Semestern gesagt, und seither wurde das Dokument nicht mehr geöffnet.
Solche und ähnliche Probleme kennen alle, da kann man gut drüber lachen, im schlimmsten Fall wird man ein halbes Jahr später fertig als geplant, halb so wild. Im Normalfall.
Dann gibt es die Fälle, wo sich die aufgeschobenen Arbeiten zu unüberwindbaren Hürden auftürmen. Und das schlechte Gewissen, das häuft sich auch an: Nicht eingehaltene Abmachungen mit Professoren und Professorinnen, fast nur unproduktive Tage. Dazu noch drei Generationen von Verwandten, die hoffnungsvoll nachfragen, wie weit man schon sei, ein bisschen so wie bei werdenden Müttern. Es wird aber kein Kind geboren und es werden auch keine Arbeiten geschrieben, obwohl die Zeit reichlich wäre und die Kommilitonen längst weit voraus. Und dann kommt der Zeitpunkt, wo es einfacher ist abzubrechen, als sich den Arbeiten zu stellen.
Ein Prokrastinierer und frischgebackener Studienabbrecher hat versucht, das Problem aus seiner Sicht zu schildern:
Eigentlich trennt mich nur noch der Endspurt vom Abschluss; zwei Bachelorarbeiten und die darauffolgenden Prüfungen. Ginge es nur um die Prüfungen, wäre ich schon lange fertig, aber bei den Arbeiten bin ich vor einem Jahr stecken geblieben. Ideen und Motivation hatte ich zu Beginn genügend, aber jeden Tag fand ich einen Grund, warum ich lieber morgen mit schreiben beginnen sollte. Noch nicht genügend Recherche, zu müde, die Wohnung muss geputzt werden, es regnet. Rundherum gaben die anderen ihre Arbeiten ab und ich ging frühmorgens in die UB, machte mit meiner Betreuungsperson neue Deadlines ab, sperrte das Internet und kam trotzdem nur einen Absatz weiter. Gleichzeitig konnte ich nicht mehr ohne Schuldgefühle ein Buch lesen oder einen Nachmittag an den Rhein. Es ging weder vorwärts noch rückwärts, dafür abwärts in eine Existenzialkrise.
Selbstständiges Arbeiten ist nicht selbstverständlich
Solche Geschichten hört Studienberater Markus Diem oft und was er gleich sagen wird, hat er vermutlich schon hundert Mal gesagt: „Man darf nicht vergessen, dass selbstständiges Arbeiten eine Leistung an sich ist.“ Das heisst, es braucht deutlich mehr Energie, eine 20-seitige Arbeit zu schreiben, wenn man sie irgendwann schreiben kann, als wenn man sie zum vorgegebenen Zeitpunkt schreiben muss und sonst auf die eine oder andere Art bestraft wird. Das solle man sich vor Augen führen, wenn man Mühe hat mit der Selbstdisziplin.
Das heisst aber nicht, dass man sich die eigene Faulheit unbegrenzt entschuldigen soll. Es bedeutet viel mehr, dass man das Sich-Selber-Organisieren als Herausforderung anerkennen und sich entsprechende Strategien zurechtlegen muss.
Ursachen und Gründe
Eigentlich, so der Studienberater, gibt es für das Prokrastinieren und die Blockaden zwei Arten von Ursachen. Zum einen, nicht so nett ausgedrückt, Defizite der eigenen Persönlichkeit. Selbstwertprobleme, übersteigerter Perfektionismus, solche Sachen. Daran muss längerfristig gearbeitet werden. Ist das Problem sehr schwerwiegend, empfiehlt Markus Diem eine Therapie.
Dann gibt es Gründe, die mit der Arbeitsorganisation zu tun haben: Man hat zu hohe Erwartungen, teilt die Zeit falsch oder gar nicht ein, arbeitet zu isoliert, lässt zu viel Ablenkung zu. Das sind Probleme, die sich leichter beheben lassen.
Lösungsansätze
Markus Diem zählt mögliche Strategien auf, um das ständige Aufschieben in den Griff zu bekommen: Am wenigsten überraschend ist der Tipp, sich einen Stundenplan zu machen und sich daran zu halten. Die Zeit zu gliedern sei essentiell und wenn das weder Arbeitgeber noch Uni für einen mache, dann müsse man das halt selber tun.
In den Stundenplan gehört auch Entspannung, Sport und frische Luft, und zwar reichlich. Acht Stunden Denkarbeit am Tag sei für die meisten Menschen nicht realistisch. Aber auch wenn man sich weniger vornimmt, solle man viele Pausen einplanen: Kurze Pausen nach 45-minütigen Arbeitseinheiten und nach drei oder vier 45-Minütern dann eine richtig lange Pause, ein bis zwei Stunden. Mit Essen, Bewegung, vielleicht einem Mittagsschläfchen. Dann das gleiche nochmal, und man darf zufrieden in den Feierabend.
Es kommt aber auch darauf an, was man während diesen Arbeitseinheiten macht. Es sei effizienter, drei Mal pro Woche zwei Stunden über etwas nachzudenken, als einmal in der Woche sechs Stunden. Das liegt daran, dass das Gehirn auch in der inaktiven Zeit arbeitet. Beschäftigt man sich regelmässig mit einer Frage, ist die Wahrscheinlichkeit grösser, beim Joggen oder Einschlafen einen guten Einfall zu habe. Kontinuität ermöglicht Kreativität.
Dann gibt es noch einen Faktor, der oft vergessen geht: Die Kommunikation. Kommunikation wirkt auf verschiedenen Ebenen. Über die eigenen Gedanken zu sprechen hilft, diese zu sortieren. Das Feedback von anderen ist aber auch wichtig, um über längere Zeit motiviert zu bleiben. Arbeitet man isoliert, kommt relativ schnell das Gefühl auf, dass das Thema nicht relevant ist. Das Interesse von anderen hilft, sich zu motivieren. Und letztendlich schaffen Gespräche auch eine gewisse Verbindlichkeit. Hat man dem Bruder von seinen Plänen erzählt, ist es schon nicht mehr ganz so egal, ob man sie umsetzt oder nicht. Oft reissen sich die Mitmenschen nicht darum, zu hören, wie es mit der Seminararbeit läuft. Es hilft, sich ein wenig aufzudrängen (im Gegenzug schenkt man ihnen auch ein Ohr, wenn sie an einem Projekt arbeiten). Oder man sucht spezifisch nach Leuten, die an ähnlichen Themen dran sind und vereinbart, sich regelmässig auszutauschen.
Der Austausch hilft auch, sich selber realistische Ziele zu setzten, bzw. in Zwischenzielen zu denken. Es fällt schwer, mit einer Arbeit oder einem Projekt überhaupt nur zu beginnen, wenn man sich vorstellt, wie viel Einsatz nötig ist, ehe man das gedruckte Exemplar in den Händen hält. Da fängt man besser gar nicht erst an. Deswegen lieber Zwischenziele setzten. Bis Ende Woche eine erste Literatur-Recherche: machbar. Bis Mittwoch die These fertig ausarbeiten: machbar.
Für den Fall einer argen Blockade, wenn man sich hinsetzt und gar nichts geht, rät Markus Diem, mit einfachen Aufgaben einzusteigen. Zum Beispiel nimmt man sich vor, durchzulesen, was man letzte Woche gemacht hat. Das ist einfach. Und ehe man sich versieht, ist man gedanklich wieder mitten drin.
Hilfe holen
Die Strategien von Markus Diem sind nützlich gegen das harmlose Verbummeln. Sie sind sicherlich auch ein geeigneter Startpunkt, wenn das Aufschieben destruktive Züge annimmt und zu einer echten Belastung wird. In solchen Fällen lohnt es sich aber, zusätzliche Hilfe zu holen: Die Studienberatung ist eine gute erste Anlaufstelle. Ausserdem organisiert die skuba regelmässig Kurse gegen Uni-Stress.