«Ich möchte einfach, dass du mir von deiner sexuellen Entwicklung erzählst»

Naomi Gregoris ist Kulturredakteurin bei der BZ Basel und produziert seit kurzem mit dem DJ und Produzenten Nik von Frankenberg den ersten unabhängigen Schweizer Podcast. In Untenrum berichten Frauen von ihrer Sexualität, und von allem, was damit verbunden wird. Ein Podcast, der auf den ersten Blick einfach gut wirkt – und auf den zweiten Blick notwendiger denn je.

Ich treffe Naomi bei ihr zuhause. Dabei erwarten mich kein blankes Aufnahmezimmer und keine Mikrofone. Naomi und ich trinken Tee an ihrem kleinen Küchentisch, wo sie auch Tee mit den Frauen trinkt, während diese die Geschichten ihrer Sexualität erzählen. Auf dem Tisch steht das Tablett in Katzenkopfform, das Motiv des Podcasts. Ich frage Naomi nach dem Moment ihrer Idee, dem Moment, in dem sie wusste, dass es Untenrum braucht. Und tatsächlich gibt es diesen expliziten Zeitpunkt:

Frauenstimmen im Ohr
Venus – Nackte Wahrheiten – so heisst der Film, der Naomi inspiriert hat. «Zwei Däninnen wollten die weibliche Lust erkunden und hatten vor, eine Doku zu drehen. Das Vorsprechen der Frauen für den Film war so grossartig, dass sie dann aus diesem einen Film gemacht haben.» Naomi liebte diese Idee, aber sie wollte die Frauenstimmen im Ohr haben, sie wollte sie mit in ihren Alltag nehmen. Auch dass die Frauen Däninnen wären, inspirierte Naomi dazu, das Format für die Schweiz zu gestalten. «Ich dachte mir, sowas braucht es in der Schweiz auch. Eigentlich in jedem Land.»

Naomi startete bald darauf auf verschiedenen Plattformen einen Aufruf – und bekam zahlreiche Antworten. Den Frauen sagte sie, dass sie selbst noch nicht genau weiss, wie der Podcast aussehen wird. «Ich möchte einfach, dass du mir von deiner sexuellen Entwicklung erzählst», schrieb sie ihnen.

Von Wollen und Nicht-Wollen, von Lust und Unlust
Die Frauen stehen im ihrer jeweiligen Podcast-Folge auch fast ganz alleine für sich da: Naomi hört man kaum, ab und zu stellt sie eine ergänzende Frage, einen helfenden Kommentar, wenn die Frauen gerade nicht wissen, wie sie sich ausdrücken sollen. Dafür braucht es natürlich unglaublich viel Mut und Vertrauen. «Es ist ein intimer Raum, die eigene Küche, in den ich die Frauen einlade», meint Naomi, und das Vertrauen, das man sich dabei gegenseitig entgegenbringt, höre man auch in den Gesprächen heraus.

Dieses Vertrauen ist nötig, denn Naomi kennt die allermeisten Frauen nicht und sieht sie bei ihrem Gespräch das erste Mal. Ihre erste Teilnehmerin war die Frau aus der Folge Saskia, 36. «Wir beide waren sehr aufgeregt. Saskia meinte sogar, es fühle sich an, wie bei einem Blind Date.» Die beiden reden zwei oder drei Stunden lang über Saskias Erfahrungen, von Anfang bis jetzt, von Wollen bis Nicht-Wollen, von Lust bis Unlust. Als sie sich verabschiedeten, wusste Naomi, dass ihr Projekt das richtige war, auch für sie selbst.

Was macht es mit Frauen, wie fühlt es sich an?
Ihre eigenen Erfahrungen will Naomi in Intermezzos ebenfalls festhalten, ein erstes ist bereits erschienen und handelt von Naomis Fehlgeburt. Mit ihrer Aufnahme will sie damit verbundene Körpertabus thematisieren, unter anderem, wie überhaupt eine Fehlgeburt körperlich und mental abläuft und wie sie damit umgegangen ist. Sie denkt auch, wenn Thematiken wie diese enttabuisiert werden würden, dann würde sich dieses relativ häufig vorkommende Ereignis nicht mehr wie ein Versagen anfühlen oder mit Scham verbunden sein. «Mir ist wichtig, dass man mehr über Körper redet, und gerade über diejenigen Dinge, die so unter Verschluss gehalten werden.»

Dies gilt für viele Erlebnisse und Erfahrungen von Frauen und ihren Körpern. Und was das Reden darüber für Naomi bewirkt hat, soll auch für andere Frauen durch ihren Podcast möglich gemacht werden. Nicht nur das Reden über Fehlgeburten, auch über Missbrauch, Zweifel und Konflikte zwischen Körpern, Sexualitäten und Einstellungen. Was macht es mit Frauen, körperlich ausgenutzt zu werden? Wie fühlt man sich, wenn man einer Geschlechterrolle zugeschrieben wird, mit der man sich nicht identifizieren kann? Wenn plötzlich die engsten Freunde die eigene Sexualität verurteilen? Wenn das Gegenüber nicht das gleiche empfindet oder man einfach nicht weiss, was einem gefällt?

«Es hilft, diese Frauenstimmen zu hören»
Und vor allem: Wenn man es dann plötzlich doch rausfindet? Wie toll ist das und was verändert sich, wenn man die eigene weibliche Sexualität entdeckt? Wie entdeckt man überhaupt Sexualität? Und: Was entdeckt man dabei?

Naomis Erzählerinnen sind offen, sie reden und lachen, weinen und trauern nach, sind wütend und haben Spass mit sich, mit anderen. Und alles das sollten alle mal hören. Um zu hören, was Frauen erleben und dabei denken und empfinden. Um zu wissen, dass man als Frau nicht alleine ist mit seinen guten und schlechten Erfahrungen, und dass man sich nicht schämen sollte. Naomi fühlt sich durch eben diese Offenheit, mit der ihr die Erzählerinnen begegnen, bestärkt: «Ich habe das Gefühl, Frauen wissen so wenig darüber, was bei anderen Frauen abgeht, und dass viele denken, sie seien allein mit ihren Eindrücken. Es hilft, diese Frauenstimmen zu hören.» Und es tut gut, denke ich mir.

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