Es war im ersten Semester meines Germanistikstudiums, als ich eines Tages eine Mail in meinem Postfach fand: Sie rief uns Studierende dazu auf, dem Club der Voyeure beizutreten. Erst war ich etwas irritiert über den Gruppennamen. Doch dann verstand ich, um was es geht, und war begeistert.
Die Voyeure sind eine Gruppe 15- bis 25-jähriger beobachtungsbegeisterter Theaterfreunde, die einmal wöchentlich zusammen ins Theater gehen und sich anschliessend über das Gesehene austauschen. Ich schrieb eine Mail an Nico Grüninger, der die Voyeure gemeinsam mit Katharina Wiss leitet, und wurde sofort eingeladen, beim nächsten Treffen mitzukommen.
An einem kalten Januarabend radelte ich also zur Kaserne und stellte mich, wie von Nico angeraten, zu der Litfasssäule vor den Eingang, damit mich die Voyeure erkennen können. Es war voll an diesem Abend, mehr als 300 Zuschauer inklusive Schulklassen tummelten sich vor der Eingangstür. Aber die Voyeure und ich fanden uns und von da an war ich Teil der Gruppe, mit der ich in den darauffolgenden Monaten und Jahren die Basler Theaterlandschaft entdeckte.
An meinem ersten Abend haben wir uns «Please, Continue (Hamlet)» angeschaut. Ein Stück, das so ganz anders funktionierte als die Aufführungen, die ich bis dahin gesehen hatte. Dargestellt wurde der Prozess über den wohl berühmtesten Mord der Literaturgeschichte. Der Angeklagte war Hamlet, das Opfer Polonius. Die Rolle der Richter, Anwälte und Experten wurden von Personen aus Basel eingenommen, die diese Berufe auch im echten Leben haben. Die Geschworenen bestanden aus einer zufällig ausgewählten Zuschauergruppe.
Damals war ich etwas erstaunt über das unkonventionelle Stück. Mittlerweile habe ich mit den Voyeuren aber so viele Stücke gesehen, dass mich nichts mehr so schnell irritiert. Wir haben Theaterstücke auf Fussballplätzen, in Wohnzimmern, auf der Strasse und in Bakstagebereichen gesehen. Manchmal waren wir entsetzt über das Gesehene, manchmal berührt, manchmal gelangweilt und häufig ganz unterschiedlicher Meinung. Aber egal mit welcher Stimmung wir jeweils aus den Stücken gehen, im Gespräch darüber bereichern wir uns immer gegenseitig durch neue Perspektiven und Interpretationsmöglichkeiten.
Blick hinter die Kulissen
Neben einem unglaublich grossen Schatz an gesehenen Theaterstücken lernen wir mit den Voyeuren auch die Strukturen und Personen hinter den verschiedenen Theaterhäusern in Basel und der Umgebung kennen. Wir bekommen Führungen durch die Häuser, erfahren im Gespräch, was eine Dramaturgin eigentlich so macht und lernen die Schauspieler kennen, die wir gerade auf der Bühne gesehen haben. Denn oft sind wir bei den Nachgesprächen nicht unter uns, sondern jemand vom Team kommt dazu, um vom Arbeitsprozess zu erzählen und sich unseren Fragen zu stellen.
Meistens besuchen wir das Theater Basel, das Roxy, die Kaserne, das Vorstadttheater oder das Junge Theater Basel. Manchmal sind wir aber auch in der Theaterfalle, im Förenbachtheater oder wagen den Schritt über die Grenze nach Deutschland in den Burghof oder nach Frankreich in die Filature. Auch im Bereich der Sparten sind uns keine Grenzen gesetzt: So schauen wir uns auch immer mal wieder ein Ballet, eine Oper, einen Leseabend oder auch ein Fussballspiel an.
Ausflüge und Workshops
Normalerweise sitzen wir Voyeuere auf Stühlen und schauen dem Geschehen zu. Doch hin und wieder holen uns Veranstaltungen aus unserer üblichen Position heraus. Die Voyeure übernehmen beispielsweise die Publikumsgespräche an dem Jugendclub Festival «Spiilplätz» oder lassen sich in Workshops die Kunst der journalistischen Theaterkritik beibringen. Ein besonderes Highlight der Voyeure-Saison ist jeweils auch das Auslandswochenende, an dem wir alle zusammen in eine andere Stadt fahren und dort die Theaterlandschaft erkunden.
Mittlerweile sind die Voyeure ein eigenes Projekt, entstanden sind sie aber 2012 aus der gemeinsamen Initiative der Kaserne Basel und dem Jungen Theater Basel. Nach und nach hat sich die Idee auch in anderen Städten etabliert. Inzwischen gibt es Voyeure in Bern, Zürich, Graubünden und Luzern. Einmal im Jahr treffen sich alle Gruppen beim grossen Städtetreffen zum gemeinsamen Schauen und Sprechen.
Für die Voyeure anmelden kann sich jeder unter 26 Jahren auch während der Saison. (Wenn man lieb fragt, macht die Leitung aber auch mal eine Ausnahme beim Alter.) Dafür schreibt ihr am besten eine Mail an basel@dievoyeure.ch
Für alle, die jetzt Lust bekommen haben öfter ins Theater zu gehen, hier noch ein paar nützliche Tipps:
Für Studierenden, ob Voyeure oder nicht, kostet der Eintritt in die Tanz- und Theaterveranstaltungen der Kaserne nur 15 Franken.
Der gleiche Preis gilt für das ROXY in Birsfelden und das Junge Theater Basel.
Im Theater Basel erhalten Studierende 50 Prozent auf alle Tickets im Vorverkauf und können mit dem übertragbaren Abo sieben Mal für 22 Franken ins Theater.