Bist du dem Thema Coronavirus schon etwas überdrüssig? Ich habe mich jedenfalls entschieden, diesen Artikel nicht dem Thema Coronavirus zu widmen. Hier also mein Selbsttest zum virtuellen Miteinander in der Treffpunkt-App Gather, eine Mischung aus Zoom und Cocktailparty im Gewand alter SNES-Rollenspiele aus dem 20. Jahrhundert, aus reiner Neugier an der Sache.
Gather ist ein sogenannter Proximity Chat. Die teilnehmenden Personen werden über eine gemeinsame App verbunden und tauschen sich in Video- sowie Chatform persönlich aus, wobei jede teilnehmende Person gleichzeitig virtuell repräsentiert wird. Mit einem kleinen zweidimensionalen Avatar kann man sich in der ebenfalls zweidimensionalen Kulisse bewegen und mit anderen Avataren interagieren.
Sobald man in den Radius eines anderen Avatars gerät, werden die beteiligten Personen über ein minimiertes Videochatfenster miteinander verbunden. Verlässt eine Person den Radius wieder, so wird auch ihre Verbindung wieder unterbrochen, wobei andere Stimmen mit zunehmender Entfernung leiser werden und schliesslich ausfaden.
Es gibt ausserdem zahlreiche Interaktionsmöglichkeiten mit der Kulisse, insofern die gastgebende Person etwas vorbereitet hat. Eventuell ist ein Pokerabend geplant oder die Gäste sind zum gemeinsamen Musizieren auf einem Klavier geladen; zwei Varianten, welche neben zahlreichem anderen Unterhaltungsmaterial bereits in Gather implementiert sind. Gastgebende müssen hierfür lediglich im Raumeditor das entsprechende Unterhaltungsmaterial, beispielsweise das Pokerdeck, auswählen und zugänglich im Raum platzieren.
In meinem Fall hatte ich das Kartendeck auf einem runden Tisch neben dem Eingangsbereich platziert. Spielinteressierte können solche interaktiven Objekte über die Taste «X» verwenden und werden automatisiert mit Gleichgesinnten in einem gemeinsamen Pokerspiel platziert. Selbst wenn die zahlreichen vorbereiteten Unterhaltungsvarianten nicht ausreichen, so können Gastgebende jederzeit eigene interaktive Objekte erstellen und darin auch Drittinhalte verlinken. Wer wird zum Beispiel nicht gerne am Eingang zum Festsaal von einer Ladung verlinkter Urlaubsdias begrüsst und wie soll man wissen, ob die Party ein Erfolg war, wenn die Gäste nicht den 10-seitigen Evaluationsfragebogen mitgemacht haben?
An dieser Stelle muss ich aber auch direkt auf ein zentrales Thema hinweisen: die Erstellung eines Raumes nimmt vor allem zu Beginn einige Zeit in Anspruch. Ich musste als Gastgeber zunächst definieren, welche Bereiche es auf meiner Party geben soll. Wo sollen die Gäste langlaufen können? Wo sollen die nicht passierbaren Wände sein? Gibt es private Areale, welche nur von Personen eingehört werden können, die sich gemeinsam in diesem Areal befinden (zum Beispiel die Bar)? Soll es einen Bereich geben, von welchem aus alle Gäste erreicht werden können (zum Beispiel eine Bühne)? Wie soll der Hintergrund aussehen?
An manchen Stellen wird man hierbei nicht um ein Youtube-Tutorial oder eine Google-Frage herumkommen. Dafür hat man den vollen kreativen Spielraum über die Kulisse, die Funktionen und Interaktionsmöglichkeiten. So habe ich testweise einen Raum mit dem Beast-Blog-Logo als Hintergrund erstellt – Vielleicht wäre das ja eine Idee für die nächste Teamsitzung? Personen mit einem limitierten Zeitfenster können auch auf erstellte Vorlagen zurückgreifen. Gerade für den organisatorischen und edukativen Bereich gibt es hier interessantes Material, beispielsweise mit privaten Arbeitsplätzen, Pausenräumen und grossen Sitzungszimmern.
Die Vorteile gegenüber klassischer Videochatplattformen wie Zoom oder Skype liegen auf der Hand: Die Teilnehmenden erleben ein dynamisches Miteinander und können flexibel untereinander agieren. Breakout-Räume müssen nicht mühsam händisch erstellt werden. Stattdessen wählen die Personen selbst aus, welchem Grüppchen sie sich gerade anschliessen wollen, wobei man in der zweidimensionalen Darstellung des gesamten Raumes auch immer die Übersicht über das sonstige Geschehen behält. Auch die Übergänge zwischen den Gesprächen sind nicht so abrupt, wie es zum Beispiel in den Raum-Varianten von Zoom oder Discord der Fall wäre. In einem lockeren Kontext empfand ich das als sehr angenehm.
Ausserdem sind insbesondere für zwanglose Anlässe grosse Gesamtgruppen überdimensioniert, schliesslich hatte Psychologe Robin Ian MacDonald Dunbar bereits mehrfach (1., 2., 3., 4.) festgestellt, dass alltägliche und informelle Gesprächsdynamiken eine Anzahl von maximal vier beteiligten Personen aufweisen. An meiner ersten Gather-Veranstaltung waren 11 Personen beteiligt (Hinweis: bis max. 25 Personen ist Gather kostenlos, danach wird es kostenpflichtig). Das Feedback war grösstenteils positiv. Klar, manchmal stolpert man über technische Schwierigkeiten und die Kamerabilder der Anderen passen sich in der Auflösung dem grobpixeligen 2D-Charme an, aber in der Regel liessen sich solche technischen Schwierigkeiten schnell beseitigen und da die Chatvideos minimiert sind, fällt auch die niedrige Auflösung nicht so stark ins Gewicht.
Nach einer gewissen Eingewöhnungszeit kommt dann tatsächlich so etwas wie Partystimmung auf. «Hey, sind das nicht Jonas und Simon da drüben am Pokertisch? Da setze ich mich dazu», denke ich mir, während ich an dem Stimmengewirr zu meiner Rechten vorbeistreife. Meine Freundin ist mit zwei Schulfreundinnen im Gespräch. Vor ihnen ein Gewirr aus Topfpflanzen, Girlanden und Sitzmöglichkeiten. Gut, bei der Gestaltung hätte ich mir ruhig noch etwas mehr Mühe geben können.
Fühle dich also ermutigt, den Schritt ins digitale Gastgebertum auszuprobieren oder vielleicht profitiert ja auch deine Tutoratsgruppe von einer optischen Arbeitsraumübersicht. Ich habe mit meinen ersten digitalen Gästen jedenfalls schon das nächste und grössere Gathering besprochen. Achso, vielleicht noch eine Sache zum Schluss: Es gibt neben Gather auch zahlreiche Alternativen wie zum Beispiel Rambly, Remo oder CozyRoom, die vielleicht auch einen Blick wert sind. Ich habe Gather auf Grund einer persönlichen Empfehlung ausgewählt und bin bisher überzeugt.