Nur zu oft sind Grünabfälle in Wohngemeinschaften ein wiederkehrendes Diskussionsthema. Das grosse Dilemma ist dabei irgendwo zwischen dem Bedürfnis, ökologisch zu handeln, und dem Gestank, den Grünabfälle eben so mit sich bringen, verortet. Mit Worm Up haben vier junge Zürcher nun aber ein kompaktes Kompostiersystem entwickelt, das auch in kleinen Küchen passt. Mehr als 1000 Regenwürmer neutralisieren dabei den Gestank der Grünabfälle, indem sie diese verzehren und zu Erde umwandeln. Im Interview erzählt mir Erich über die persönlichen und gesellschaftlichen Hintergründe, die ihn zu diesem Projekt führten.
Wie eine solche Wurmkiste genau aussieht, erklären Erich und seine Mitinitiatoren Luiz, Nikolai und Sarah in ihrem wunderbaren Crowdfundig-Video gleich selbst:
Wie fiel die Resonanz via Crowdfunding aus?
Viel stärker als erwartet. Zuerst dachten wir uns nur, dass wir unter unseren Verwandten und Freunden ein bisschen Werbung machen. Dann waren wir bereits nach 24 Stunden ausverkauft, ohne dass wir unser Umfeld überhaupt kontaktiert hatten. Und das nur via der Crowdfunding-Community und unserem Newsletter. Wir arbeiten auch bereits seit einem Jahr an diesem Projekt. Schon zuvor waren wir aber an die Öffentlichkeit gelangt. Unser Prototyp wurde auf «SRF Einstein» vorgestellt. Erst dort wollten manche Leute den Prototypen kaufen. Aber das wäre verfrüht gewesen. Nun kann man sich auf eine Warteliste eintragen.
Wie funktioniert eigentlich eure Wurmkiste?
Es ist relativ einfach. Es ist eine Kiste mit Würmern drin und verschiedenen, auswechselbaren Etagen.
Inwiefern ist eure Wurmkiste denn etwas Neues?
Unsere Kiste ist kompakt genug, um sie in einer Stadtwohnung zu haben. Das Design ist aber auch skalierbar. Die rund tausend Würmer machen dann die ganze Arbeit, ehe das abgestorbene Pflanzenmaterial schleimig und stinkig werden kann. Uns war es zudem sehr wichtig, dass das Ganze auch einen ästhetischen Anspruch hat. Ausserdem war uns eine, soweit möglich, «lokale» Produktion mit natürlichen Materialien wichtig. Der Komposter ist aus gebranntem Ton und wird in Deutschland produziert.
Wie seid ihr denn auf diese Idee gekommen?
Ich habe das Gefühl, dass jetzt eine Zeit anfängt, in der im urbanen Kontext Pflanzen und vor allem Nahrung produziert werden. Dass jemand sich dabei komplett davon ernähren kann, ist utopisch, aber die Wurmkompostierung ist jedenfalls ein sinnvolles Glied in dieser Kette. So können Urban Farmer aus ihren organischen Abfallprodukten ihre eigene, nährstoffreiche Erde produzieren und weiter verwerten. Ich finde es sehr wichtig, wenn so eine Bewegung startet, dass sie nicht wie die Grüne Revolution abläuft.
Was war denn die Grüne Revolution?
Die Wendung zu einem Form von Massenanbau, hinter der sehr viele wirtschaftliche Interessen stehen. Es geht um grosse Konzerne, die Produkte verkaufen wollen. Es ist aber ein Konzept, das ökologisch nicht aufgehen kann. Für eine daraus entstehende Nahrungskalorie müssen zehn Input-Kalorien, in Form von Erdöl und Strom, verbraucht werden. Das sind sehr viele vorgeschaltete Prozesse involviert, die nur eine Gewinnmaximierung anderer Industrien im Sinn haben. Dabei müsste nachhaltige Nahrungsproduktion an oberster Stelle stehen.
War das mal anders?
Das Ganze begann mit der Industrialisierung der Landwirtschaft. Der gemeine Bauer in der Schweiz lebt nun nicht mehr vom Verkauf seiner Kartoffeln, sondern von Subventionen. Ansonsten wäre seine Arbeit gar nicht möglich. Das meiste Geld muss er nun in Geräte, Treibstoff, Dünger, Pestizide und Herbizide investieren. Das Geld wird quasi in die Industrie ausgelagert.
Gibt es überhaupt Alternativen?
Es gibt Leute, die in der Stadt oder am Stadtrand Gemüse von Hand anbauen, die man mit einem Gemüse-Abo beziehen kann. Diese Systeme schaffen es beispielsweise mit ein bis zwei Hektar, also einem Bruchteil von einem durchschnittlichen Bauernbetrieb, zwei bis drei Vollzeitstellen zu besetzen und dies ohne Subventionen. Wenn man so oder ähnlich arbeiten möchte, können Wurmkomposte ein sehr wichtiges Glied in dieser Kette werden. So kann man die Nährstoffe aus dem Boden nämlich wieder dorthin zurückführen. Bei Bauernhöfen würde das gewöhnlich über Kuhmist oder Kunstdünger funktionieren. Aber eben: Kunstdünger ist auf vielen Ebenen einfach nicht nachhaltig. Das Phosphor darin wird beispielsweise in Marokko zu unmenschlichen Bedingungen in den Minen abgebaut. Auf den globalen Energiehaushalt der Welt übertragen, nimmt die Herstellung von Stickstoff für Kunstdünger nach dem Haber-Bosch-Verfahren ein Prozent des weltweiten Energieverbrauchs ein.
Es baut aber nicht jeder zuhause Gemüse an. Was bringt solchen Leuten dann eine Wurmkiste?
Die Leute haben die Möglichkeit, ihre Abfallmengen zu reduzieren. Ausserdem: Wenn du den Prozess miterlebst, dass aus deinem Abfall etwas wird, das nicht mehr stinkt, nämlich Erde, ist das sehr lehrreich und macht darüber hinaus viel Spass. Der organische Abfall reduziert sich um 95%. Sollte man aber tatsächlich zu viel Erde haben, kann man sie in eine Rabatte werfen oder auch verschenken. Man hat auch weniger Abfall im normalen Kehricht und muss ihn weniger oft leeren. Und er stinkt weniger. Man überlegt sich mit der Zeit auch, ob man eine Karotte überhaupt schälen sollte oder nicht. Die wenigsten Leute fragen sich, warum sie das machen. Viele Vitamine liegen ja direkt unter der Schale. Das Gleiche gilt für den Brokkolistiel. Mit der Wurmkiste setzt man sich auf eine spielerische Weise mit dem Thema Abfall auseinander. Wir werfen eigentlich unsere Ressourcen weg, nur weil wir sie als Abfall betrachten.