Star Trek-Nerds mit verschwitzten Hemden? Klischees über Physikstudierende auf dem Prüfstand

Früher waren Physiker eine eher kleine Randgruppe in der Gesellschaft: Forschende, die Philosophie nicht nur als „Hobby“ gesehen haben, sondern diese praktisch hinterfragt haben. Vom „blasphemischen“ Galileo Galilei über Robert Oppenheimer bis hin zu Albert Einstein waren Physiker schon immer sehr kontroverse und oft auch eigenartige Figuren. Mit „The Big Bang Theory“ sind Physiker nun auch in der Popkultur angekommen. Und zwar als Nerds. Zeit, um die Klischees zu hinterfragen:

Für die, die „The Big Bang Theory“ noch nicht kennen: Die Serie handelt von zwei sehr introvertierten Physikern, Leonard („der Experimentalphysiker“) und Sheldon („der Theoretiker“), die zwar keine Probleme damit haben, jede wissenschaftliche Frage im Handumdrehen zu beantworten, doch der Umgang mit Menschen, insbesondere mit Frauen, bereitet ihnen ungeahnte Schwierigkeiten. Da eine hübsche Kellnerin in die Wohnung nebenan einzieht, entstehen somit allerlei Konflikte.

Die Serie baut sehr konsequent das Klischee des Physikers als Dungeons & Dragons-spielender, von sozialen Interaktionen überforderter Nerd. Ist dieses Bild komplett überspitzt oder steckt ein Fünkchen Wahrheit dahinter? Ein kleiner Realitätscheck:

Klischee 1: „Physiker stehen mit Mode auf Kriegsfuss… Ich mein, schau ihn dir doch an! Was sind das nur für Klamotten?“
Neben ungepflegten Haaren und verschwitzten Hemden verfolgen uns auch die Socken unter den Sandalen. Zugegeben: Wir haben solche Leute an der Fakultät, auf der anderen Seite gibt es aber auch Studenten bei denen man sich denkt: „Verdammt! Der könnte echt Model sein“. Das Klischee ist also falsch. Physiker besitzen genau wie andere Studierende auch ein breites Spektrum an modischer Affinität.

Klischee 2: „Ihr fehlender Charme ist nicht sonderlich förderlich bei der Partnersuche.“
Das ist die Grundprämisse von „The Big Bang Theory“: Sheldon und Co. Weisen alle autistische Züge auf und tun sich unheimlich schwer damit, mit dem anderen Geschlecht zu reden, geschweige denn eine Freundin zu finden. Scheinbar sind Physiker also nicht nur modisch auf dem Holzweg, sondern weisen auch Mängel hinsichtlich der sozialen Interaktion auf. Das Physikerdasein scheint unweigerlich mit Einsamkeit verbunden zu sein.

Berühmte Physiker beweisen jedoch das Gegenteil. Von Dirac bis Schrödinger, die meisten verfügten über ein reges Sozialleben mit festen Beziehungen. Bei Richard Feynman gilt sogar genau das Gegenteil: Er war nicht nur bekannt für seine Intelligenz, sondern auch dafür, einen unglaublichen Charme zu besitzen. Selbst heute erfreuen sich Leute aus aller Welt an seinen wortgewandten Vorlesungen.

Darüber hinaus ist ein Physikstudium sehr schwer zu absolvieren, wenn man sich nicht zusammensetzt und Probleme gemeinsam löst. Die Teamfähigkeit ist später auch in der Forschung elementar. So unsozial können Physiker also gar nicht sein.

Klischee 3: „Es sind ja auch alle so abstruse Träumer!“
Das ist für mich das interessanteste Klischee. Mir erscheint es so, als wäre genau das die grundlegende Eigenschaft eines Physikers. Denn diese vermeintliche „Verwirrtheit“ ist notwendig, um alltägliche Situationen aus einem neuen Blickwinkel zu sehen und empirische Beobachtungen abstrahieren zu können.Mathematik erfordert entgegen der gängigen Meinung sehr viel Kreativität und diese ist nur möglich ,wenn man auch in unkoventionellen Wegen denken kann.

Klischee 4: „Die meisten Physiker können sowieso nur über Physik und Mathematik reden. Es ist unglaublich langweilig ihnen zuzuhören!“
Wenn ich jemand Netten kennenlerne und gefragt werde, was ich denn so mache, sieht die Situation immer wie folgt aus: „Was genau machst du beruflich?“ – „Naja, ich studiere Physik.“ – „Oh wow… also ich war immer sehr schlecht in Mathe/Physik! Ich habe keine Ahnung, wie du das machst!“ – Physiker werden sehr oft als „Fachidioten“ abgestempelt, die neben dem Interesse an der Welt keinerlei andere Stärken besitzen. Aber das ist ein völliger Fehlschluss! An der Universität Basel beispielsweise umfasst der Wahlbereich in Physik 56 KP, von denen 20 KP ausserhalb von Physik/Mathe gesammelt werden müssen. Im Umkehrschluss ist das fast ein ganzes Semester, welches wir ausserfakultär absolvieren.

Natürlich heisst das nicht, dass wir gebildete „Universalgenies“ sind, aber ich finde, der Versuch sollte doch zählen.

Klischee 5: „Was machen die eigentlich in der Freizeit? Dungeons & Dragons, Videospiele und Comics?“
Wer „The Big Bang Theory“ verfolgt, dem fällt schnell auf, dass die Physiker in der Serie die „Nerdkultur“ regelrecht zelebrieren: 3D – Schach, Videospiele, Comics und Star Trek, alles hat seinen Platz in der Serie.

Ob das Klischee der Wahrheit entspricht? Ich weiss es nicht. Es ist wohl eine rein subjektive Sache. Ich habe schon auch Physiker gesehen, die aussehen, als würden sie die ganze Woche vor dem Rechner sitzen, aber auch solche, die vier Mal in der Woche Sport machen.

 

Wie sieht also der typische Physiker aus? Ein brillentragender, von Banalitäten begeisterter Opportunist? Damit hätte ich mich allenfalls selbst beschrieben, allumfassend scheint das allerdings nicht zu gelten. Wie überall gibt es Klischees, die mehr oder weniger der Wahrheit entsprechen.

Was in „The Big Bang Theory“ durch die Konstellation der Hauptfiguren fast komplett untergeht. Es gibt nicht nur Physiker, sondern auch Physikerinnen. Zwar sind diese in den Seminarräumen und Vorlesungssälen meist noch in der Minderheit, dennoch handelt es sich bei ihnen oft um wahnsinnig fähige Studentinnen, die den männlichen Kommilitonen in nichts nach stehen.

Somit gilt: Auch wenn wir vielleicht konfuse Sachverhalte spannender finden als Haarpflegeprodukte,, so sind es weder die Hürden sozialer Interaktion, noch die Nerdkultur, sondern die kindliche Neugier, die uns als Physiker verbindet.

 

Mehr über den Bachelor in Physik an der Universität Basel findet ihr hier.

Danial Chughtai

Der Versuch, absolute Erkenntnis zu erlangen, führte Danial Chughtai zum Physikstudium. Dass dieses Vorhaben zum Scheitern verurteilt ist, merkt er besonders abends um sieben - bei der vierten Tasse Kaffee. Wenn er nicht gerade ein neues Album hört, sich in fremde Vorlesungen verirrt oder überlegt auf Tee umzusteigen, ist er damit beschäftigt, seine Klamottenauswahl auf Vordermann zu bringen. Gerne vergnügt er sich mit den einfachen Dingen des Lebens; wenn's sein muss bei einem Roadtrip quer durch Europa.

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