Sommerbuchtipps für jeden Geschmack

Bücherauslage im Labyrinth
Keine Ausrede: Hier findet jede*r was zum Lesen (Bild: Sina Aebischer).

Sommerzeit ist Lesezeit: Wenn keine Vorlesungen und Seminare stattfinden und damit auch das Vorbereiten auf diese Veranstaltungen wegfällt, macht das entspannte Eintauchen in fremde Welten und die Gedanken anderer umso mehr Spass. Falls du noch auf der Suche nach der perfekten Sommerlektüre sein solltest, hat das Team vom Buchladen Labyrinth Empfehlungen für dich.

Das Team vom Buchladen Labyrinth, den du direkt gegenüber vom Englischen Seminar am Nadelberg 17 findest, teilt hier Empfehlungen für jeden Geschmack – da ist bestimmt auch etwas für dich dabei. Alle Bücher, die hier empfohlen werden, sind im Labyrinth ausgelegt.

Sommerbuchtipps für…

… alle, die auch während den Semesterferien noch etwas lernen wollen

Barbara Schmitz: Was ist ein lebenswertes Leben? Reclam 2022.

Eine Philosophin erzählt zunächst über das Leben ihrer eigenen Tochter mit einer geistigen Behinderung und spricht offen über den Suizid der eigenen Schwester. Sie begegnet weiteren Menschen in ganz unterschiedlichen schwierigen Lebenssituationen und nähert sich gemeinsam mit ihnen der Frage nach dem lebenswerten Leben an. Als Leserin ohne Erfahrung mit Philosophie hat mich das wunderbar persönliche und vielfältig ansprechende Buch von Barbara Schmitz sehr berührt. Zugleich motiviert es mich, mehr über Möglichkeiten zu einem lebenswerten Leben nachzudenken – für mich und für andere. (Luzia Böni)

 … alle, die bei Gesprächen über die angesagtesten Bücher mithalten wollen

Sasha Marianna Salzmann: Im Menschen muss alles herrlich sein, Suhrkamp 2022.

Sasha Marianna Salzmann: Im Menschen muss alles herrlich sein, Suhrkamp 2022.

Das Buch nimmt uns mit in eine Kindheit im Osten der Ukraine in den sowjetischen 1970er Jahren und schildert detailreiche und bildstarke Szenen: enge Wohnverhältnisse, Haselnusssommer bei Grossmutter, Pionierlager im Nirgendwo. Danach führen uns die Buchseiten in die wirren Umbruchzeiten der Perestrojka und weiter ins Deutschland der Gegenwart – aus der Perspektive vier weiblich gelesener Protagonistinnen, die gegensätzlicher nicht sein könnten und doch eine gemeinsame Geschichte teilen. Sasha Marianna Salzmann wurde für dieses Buch mit dem Preis der Literaturhäuser ausgezeichnet. (Luzia Böni)

 … alle, die sich gerne von Büchern zum Lachen bringen lassen

Nikolaj Gogol: Die Nase, Reclam 1997.

Eine Nase führt ein höchst amüsantes Eigenleben, während ihr Besitzer verzweifelt feststellen muss, dass sie ihm abhandengekommen ist. Beim Lesen dieser kurzen Novelle musste ich manchmal schlicht und einfach loslachen. Ein irrsinnig phantastischer Lesespaziergang durch das Sankt Petersburg des 19. Jahrhunderts. (Luzia Böni)

… im Café mit einem Latte Freddo

Heike Geissler: Die Woche, Suhrkamp 2022.
Ein Roman aus Dialog und Reportage, zwischen Aufzeichnung und Zitat, der an einem Sonntag beginnt und ab Montag Schwierigkeiten mit der Kontinuität kriegt und schliesslich mit einem Tag wie er im Buch steht, zu weiteren Mondays kommt. Die Verdummung durch Gewohnheit und Gehorsam endet im Chaotischen. Erfrischend, wenn der Kaffee darüber kalt geworden ist. (Matthias Staub)

… eine lange Zugreise mit fünf Mal umsteigen 

Fiston Mwanza Mujila: Tram 83, Unionsverlag 2018.

In einer von Krieg und Korruption gezeichneten, heruntergekommenen, fiktiven Grossstadt erwacht jeden Abend die Bar «Tram 83» zum Leben. Hier treffen Verlierer und Gewinnerinnen, Profiteure und Prostituierte, Ex-Kindersoldaten und Studierende aufeinander, um zu quasseln, zu jubeln, zu schimpfen, zu bechern, sich zu vergessen. Der Roman ist pulsierend und rhythmisch, laut und mitreissend, euphorisch und bedrückend. Ideal für eine Zugreise, die sich sonst gähnend in die Länge ziehen würde. (Luzia Böni)

… den Strand

Rachel Cusk: Second Place

Mit dem Buch tauchen wir ein in das Innenleben einer Frau, die zwischen atmosphärischen Landschaftsbildern und pointierten Selbstreflexionen damit zurechtzukommen versucht, dass hinter jeder Ecke Spiegel ihrer selbst hervorblitzen. Die Erzählung folgt der Idee der Frau, einen bewunderten Künstler in die kleine Hütte auf ihrem Grundstück einer abgelegenen Küstenregion als Residenz einzuladen. Gleichzeitig werden von der Autorin auch wir Leser*innen zu einer introspektiven Berg- und Talfahrt der Protagonistin eingeladen. Ihre Gedanken zu all dem, was kommen könnte, vermengen sich mit all dem, wie es dann anders kommt, woraus sich schliesslich das Gefühl eines Lebens herausbildet, das gerade dabei ist, auf den Kopf gestellt zu werden. (Jonas Balmer)

… im Park

Fatma Aydemir: Dschinns, Hanser Verlag 2022.

Fatma Aydemir: Dschinns, Hanser Verlag 2022.

Im Buch von Fatma Aydemir passiert etwas, was ich unendlich wertvoll finde: Eine einzelne Situation ist aus sechs verschiedenen Perspektiven beschrieben, wodurch sich der Blick für die Möglichkeiten vielfältiger Lebensrealitäten öffnet. Die türkisch-kurdisch-deutsche Familiengeschichte entfaltet sich gleich einem Kaleidoskop, in dem jeder Punkt, der ins Blickfeld der Lesenden gerät, von verschiedenen Seiten widerspiegelt wird. Die dadurch entstandene Lesedynamik liess mich mehrmals in ein früheres Kapitel zurückblättern und dabei feststellen, wie geschickt Fatma Aydemir aus verschiedenen Lebenswelten heraus immer dieselben Punkte umkreist. Und so landen wir mitten in Fragen nach Familie und Herkunft und danach, inwiefern das alles eigentlich persönlich gemeint ist. (Jonas Balmer)

 … die Berge

Fabio Andina: Tage mit Felice, Piper Verlag 2022.

Das Buch war im letzten Jahr genau zum richtigen Zeitpunkt das richtige Geschenk an einen Menschen, der von sich behauptet, nichts zu brauchen. So ähnlich lernen wir im Buch Felice kennen, der eine liebevolle Beziehung mit seinem Alltag pflegt, in dem es nicht mehr zu brauchen scheint als der morgendliche Aufstieg, um in einem Bergbach zu baden. Es handelt sich um eine wunderbar einfache Geschichte, unaufgeregt spannend und voller tiefsinniger wortloser Gedanken, hineingemalt in lebhaft sichtbare Bilder aus der alltäglichen Berg-, Dorfgemeinschafts- und Gefühlswelt des neunzigjährigen Felice. (Sie lädt uns dazu ein, wie es im Klappentext heisst, uns Felice nicht wie Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen zu müssen, sondern zu dürfen.) (Jonas Balmer)

Leute, die Schweizer Literatur entdecken wollen I

Christian Kracht: Eurotrash, Kiepenheuer & Witsch 2021.

Auch wenn «Eurotrash» das erste Buch von Christian Kracht ist, das ich gelesen habe, kann ich sagen: Christian Kracht ist und bleibt ein Schlingel. Was als ziemlich lineare Geschichte der persönlichen Aufarbeitung zwischen Mutter und Sohn in der Gegend um den Zürichsee beginnt, verdreht sich immer mehr in sich selbst, bis ich als Leser*in nicht mehr wusste, wie ernst sich der Autor selbst noch nahm, geschweige denn seine Leser*innenschaft.

Während ich die vermutlich überall wimmelnden Anspielungen auf seine anderen Titel wie beispielsweise «Faserland» nur erahnen konnte, faszinierte mich die Mischung aus zynischer Nonchalance und metaphysischem Durcheinander zwischen den Figuren, dem Autor und den Leser*innen, so dass ich das Buch ohne weiteres empfehlen kann, egal was ich von Christian Kracht schon gelesen habe oder nicht. (Jonas Balmer)

Leute, die Schweizer Literatur entdecken wollen II

Yael Inokai: Ein simpler Eingriff, Hanser 2022.

Yael Inokai: Ein simpler Eingriff, Hanser 2022.

Yael Inokai: Ein simpler Eingriff, Hanser 2022.

Ein neuartiger Eingriff, der Patientinnen von Wut und Angst befreien soll und ihnen ein besseres, normaleres Leben verspricht. Meret ist Krankenschwester und hat bisher nie an der Macht der Medizin gezweifelt. Bis sie Sarah kennenlernt und sieht, welche Nebenwirkungen ein solcher Eingriff haben kann. Und sie beginnt zu zweifeln und sich zu fragen, was ein besseres und normales Leben überhaupt ist.

Gleichzeitig erzählt der Roman in einer schönen, klaren Sprache die sanfte Liebesgeschichte zwischen Meret und Sarah zu einer Zeit, in der die Liebe zwischen Frauen fast nur im Verborgenen gelebt werden konnte. (Susanne Fehlmann)

… Menschen, die eigentlich keine Zeit fürs Lesen haben

Katharina Morello: Wolf werden, Limmat Verlag 2022.

Am Anfang spricht Hazara von der Unmöglichkeit zu reden. Dann beginnt er doch, zu erzählen: Vom verzweifelten Elan, mit dem sich seine Mutter nach der Flucht aus Afghanistan in ein Nachbarland um die fünfköpfige Familie kümmerte. Wie er sich selbst vom sechsjährigen Blumenverkäufer zum Landwirtschaftsgehilfen bis hin zum Automechaniker mit eigener Garage hocharbeitete. Ungerechtigkeit und Rassismus begegnet Hazara mit Wut, Mut und Fantasie. In der von Katharina Morello zu Papier gebrachten Geschichte überwiegen allen Widrigkeiten zum Trotz die optimistischen Momente. Das Buch beinhaltet eine Lebensgeschichte, liest sich jedoch erfrischend kurzweilig und überraschend schnell. (Luzia Böni)

… alle, denen Black Lives Matter wichtig ist

Leila Mottley: Nachtschwärmerin, ecco Verlag 2022.

Wie viele Schwarze Mädchen in Oakland wurde Leila mit Ermahnungen gross, sich um ihren Bruder und ihren Dad zu kümmern und sich für die Träume der Männer in ihrem Umfeld einzusetzen. Mit siebzehn dachte sie darüber nach, warum ihre eigenen Träume immer an zweiter Stelle stehen und was es bedeutet, verletzlich zu sein und nicht gesehen zu werden. Aufgrund eines aufsehenerregenden Zeitungsartikels realisierte sie, dass insbesondere Sexarbeiter*innen und junge Frauen, die Gewalt durch die Polizei erfahren haben, keinerlei Sichtbarkeit haben.

Leila Mottley begann zu recherchieren, zu suchen, zuzuhören und zu schreiben. Ausgehend von der grausamen Realität verfasste sie eine fiktive Geschichte. Sie zeichnet in ihrem Debütroman ein raues, bedrückendes und hoffnungsloses Bild von East Oakland. Doch es gibt Lichtblicke. Das Buch hat mich von A bis Z gepackt und mir eine Vorstellung davon gegeben, was es für Women of Color bedeutet, mehrfacher Unterdrückung ausgesetzt zu sein. Leila Mottley stärkt – und das ist der eigentliche Lichtblick – die Perspektiven von Schwarzen Frauen, queeren und trans Menschen. (Luzia Böni)

… nach dem Rheinschwimmen

Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah, Fischer 2014.

Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah, Fischer 2014.

Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah, Fischer 2014.

Der Alltag ist in Nigeria in den 90er Jahren chaotisch, bedrückend und geprägt von Stromausfällen, Streiks und Korruption. Die Studentin Ifemelu blickt zögerlich und frisch verliebt in die schillernde und ungewisse Zukunft. Plötzlich lockt sie die Möglichkeit eines Stipendiums in die USA. «Americanah» verhandelt auf eine kluge Weise eine ganze Reihe sozialpolitischer Fragen, und doch ist es für mich in erster Linie ein wunderbar mitreissender Roman, der sich in einem Fluss liest und in jeden Wickelfisch passt – die perfekte Lektüre für den Sommer am und im Rhein für all jene, denen antirassistisches Denken wichtig ist. (Luzia Böni)

… Leute, die viel zu viel Zeit fürs Lesen haben

Nino Haratischwili: Das achte Leben (für Brilka), Frankfurter Verlagsanstalt 2014.

Die Art und Weise, wie Nino Haratischwili ihre georgische Familiengeschichte aufgerollt und in einen Roman mit 1279 Seiten gepackt hat, vereinnahmte mich von A-Z. Hinter jeder der sechs beschriebenen Generationen scheint sich eine ganze Welt mit Höhen und Tiefen zu eröffnen, und doch ist alles miteinander verwoben: Von jener Zeit des gutmütig patriarchalen georgischen Schokoladefabrikanten im Jahre 1900 bis hin ins Berlin der Gegenwart, wo sich die 13-jährige, kapriziöse Brilka partout weigert, ins Flugzeug zu steigen, um nach Georgien zurückzufliegen. Dazwischen liegt ein spannungsreiches, gewaltvolles, berauschendes Familienepos. Wer 1279 Seiten zu ambitioniert findet und lieber 60 Minuten der Autorin zuhören möchte: hier. (Luzia Böni)

… Romantiker*innen

Elif Shafak: Das Flüstern der Feigenbäume, Kein & Aber 2021.

Der Roman erzählt die Liebesgeschichte von Defne und Kostas. Sie ist Türkin, er Grieche, es herrscht Bürgerkrieg auf Zypern. Durch die Unruhen getrennt, werden sie Jahre später wieder vereint. In einem neuen Leben, auf einer neuen Insel.

Elif Shafak verwebt die Vergangenheit mit der Gegenwart und erzählt von Zugehörigkeit und Identität, Schmerz und Hoffnung. Immer wieder «kommentiert» von dem Feigenbaum, der in Zypern im Hof einer Taverne stand und auch im neuen Leben von Defne und Kostas Wurzeln geschlagen hat. Für mich eines der schönsten Bücher der Autorin. (Susanne Fehlmann)

…Gedichtschreibende (und Lesende)

Simone Lappert: längst fällige verwilderung. Diogenes 2022.

Simone Lappert: längst fällige verwilderung. Diogenes 2022.

Simone Lappert: längst fällige verwilderung. Diogenes 2022.

Zwischen materialisiertem Lebenssinn und metaphorisch aufgelösten Naturbildern schweben die Gedichte von Simone Lappert durch die zerbrechliche Schönheit einer gelebten Gegenwart. In Klangfarben von moosgrün bis siliziumhell verdichtet die Autorin Worte zu Gefühlen und Fragen zu der Präsenz eines Lebens inmitten anderer, die dafür gemacht sind, noch lange nachzuschwingen, nachdem der Buchdeckel schon wieder geschlossen ist. (Jonas Balmer)

… den Balkon

Claudio Magris: Gekrümmte Zeit in Krems, Hanser 2022.

Eine Krümmung der Zeit sei nur in einer vierten Dimension möglich, dann also, wenn die Zeitlichkeit der Erinnerung, der Einbildung, des Traums diejenige des Kontinuums dehnt, verkürzt, bricht oder biegt – zueinander biegt. Genau dies geschieht in der titelgebenden Erzählung. Wie auch in den anderen vier Erzählungen hat der Protagonist ein Alter erreicht, in dem er beruhigt vom Balkon aufs Meer blicken und den Ereignissen ihre Belanglosigkeit lassen kann. Auch ihre Vergänglichkeit kann er akzeptieren und ihre Gegenwärtigkeit reflektieren – mit nichts als der Gewissheit des Schreibens. Der Stift in seiner Hand «wie ein Pfeil, der ohne Wiederkehr auf das Ende zueilt…». Anspruchsvoll, aber unglaublich schön zu lesen. (Matthias Staub)

… Pflanzenliebhaber*innen 

Stefan Rebenich: Der kultivierte Gärtner, Klett-Cotta 2022.

Stefan Rebenich führt uns auf eine unterhaltsame und informative Reise durch die Welt der Gärten: Er präsentiert elegante Pflanzenporträts und zeigt uns den ganzen Reichtum der Gartenfreuden. Und er lässt uns bekannte und weniger bekannte Gartenparadiese in Europa und Übersee erkunden. Wir lernen Gartenlandschaften von den frühen Hochkulturen bis in unsere Zeit kennen und er erinnert uns daran, wie sehr Literatur und Malerei unsere Erfahrungen und Wahrnehmungen des Gartens geprägt haben. Zugleich bekommen wir manch praktischen Rat für unseren eigenen Garten. Eine Würdigung des Gartens als befreienden und schöpferischen Lebensraum. (Susanne Fehlmann)

Sina Aebischer

Wenn Sina nicht gerade einen der endlosen Texte fürs Studium liest, taucht sie gerne in Geschichten und Bücher aus den verschiedensten Genres ein und bleibt damit stets in der Welt der Sprachen, die sie studiert. Ist dann doch einmal eine Auszeit vom Lesen gefragt, verbringt sie ihre Zeit mit ausgiebigen Spaziergängen, gemeinsamen Strickabenden mit Freund*innen oder damit, sich beim Pilatestraining möglichst anstrengende Übungen auszudenken.

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