Der neue Mitbewohner oder die neue Mitbewohnerin muss nett, sauber und ordentlich sein. Sollte bereits mindestens zwei Jahre in einer Wohngemeinschaft gelebt, einen unterhaltenden Humor und ein Flair für Innenarchitektur haben und unbedingt finanziell abgesichert sein… Der Beginn des Herbstsemesters ist die Zeit der Wohnungssuche. Ich selbst wohne in einer achter Wohngemeinschaft, wovon uns die Hälfte anfangs Oktober verlassen hat. Wie wir diese grosse Lücke wieder auffüllten, worauf man bei der Auswahl achten soll, was einem bei einem „WG-Casting“ alles erwarten kann und warum die Mitbewohnerwahl einfacher ist als die Partnerwahl, lest ihr in diesem Blogeintrag.
Seit einem Jahr wohne ich nun in einer Wohngemeinschaft in Basel. Wir sind zu acht und teilen uns lediglich ein Dusche. „Was acht?! Und das geht gut?“, ist gewöhnlich die Reaktion von Menschen, wenn ich von meiner Wohnsituation erzähle. Ich muss dabei immer schmunzeln, denn auch ich hätte nie gedacht, dass eine solche Konstellation funktioniert. Das Öl in der Maschinerie ist die Kommunikation. Solange man miteinander reden kann, lässt sich alles lösen. Wie findet man nun kommunikationsfreudige Mitbewohner/innen?
Hier! Hier sind wir!
Es gibt diverse Websites die man zur Werbung für die WG nutzen kann. Bei unserer Suche haben wir die freien Zimmer auf der Plattform wgzimmer.ch ausgeschrieben, was sehr gut funktioniert hat. Einen humorvollen, einzigartigen Eintrag zu schreiben lohnt sich, denn wie man in den Wald ruft so schallt es heraus: Eine gesellige Gruppe bestehend aus einem Honigdieb (Imker), einem leidenschaftlichen Sportzuschauer (Hooligan), einer fantastischen Federballspielerin (Sorry, Badminton) und einem chaotischen Kuchenmonster (Ich) freut sich auf dich. Hört sich doch besser an (und weniger verzweifelt), als „Wir sind auf der Suche“.
Die umkämpfte Zimmersuche anfangs Semester bringt den Vorteil, dass viele verzweifelt auf der Jagd nach Zimmern sind. Das Angebot ist eher rar und die Nachfrage hoch. So erkläre ich mir, dass sich tatsächlich einige mutige Menschen auf unsere verrückten Einträge gemeldet haben. Bei uns lauerten schlussendlich über hundert Interessentenmails im Posteingang, die man leider nicht alle berücksichtigen kann. Am besten legt man intern ein paar Richtlinien fest, nach denen man leider aussortieren muss und dann die sympathischsten Schreiblinge einlädt. Dazu gehört nicht: „Hallo! Ich bin Marc. Ist das Zimmer noch frei? LG“.
Logistik
Wir luden dann an drei Abenden jewils circa sechs Personen ein, um vorbei zu schauen, sich vorzustellen, sich das Zimmer anzusehen und mit uns ein Bierchen zu trinken. Wir hielten die Variante, alle gleichzeitig kennen zu lernen, besser als jeden einzeln einzubestellen. So fühlt man sich weniger exponiert als Besucher und es hat auch Vorteile für die Bewohner, denn man weiss ja oft schon in den ersten fünf Minuten, ob es grundsätzlich passen würde oder eine unerklärliche Abneigung die rationale Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigt. So muss man sich keine dreissig Minuten durch peinliches Schweigen kämpfen, sondern kann sich zwei, drei Meter verschieben und jemand anderes anquatschen.
Showdown
Die WG-Besichtigungen liefen folgendermassen ab: Wir versammelten uns zuerst in der Küche und lockerten die Stimmung mit ein wenig Bier auf. Das klappte gut. Nach einer kurzen Wohnungsführung und einer rigiden Reglement-Deklarierung (ohne Power Point), gab es eine kleine Vorstellungsrunde und damit war der offizielle Teil abgeschlossen. Wir setzten uns anschliessend ins Wohnzimmer und alle unterhielt sich mit allen.
An einem Abend war ein Interessent dabei, der dieses Semester mit einem Gesangsstudium begonnen hat. Da wir ein kleines Klavier im Wohnzimmer stehen haben und ich das Instrument einigermassen beherrsche, wurde kurzerhand nach einem Konzert verlangt. Ich spielte das kurze Intro (so weit so gut), doch als er anfing zu singen, verstummte das Klavier. Völlig ergriffen von seiner schönen Stimme, konnte ich mich kaum noch auf die Noten konzentrieren und fügte zu seinem melodischen Gesang, ein, zwei Akkorde hinzu, wobei die schrägen Töne nicht zu kurz kamen. Ich war hin und weg. Damit hätte ich an diesem Abend nicht gerechnet. Tanzen wir vielleicht bei der nächsten Besichtigung auf den Tischen? Man kann ja nie wissen!
Interessant, interessanter, am interessantesten
Doch keine Angst, man muss nicht singen können wie ein kleiner Engel. Auch keiner abartig ungewöhnlichen Freizeitbeschäftigung nachgehen, um sich ein Zimmer ergattern zu können. Beim sich Vorstellen ist es wichtig, ehrlich zu sein. Sonst fühlt sich schlussendlich niemand wohl. Das Zusammenleben mit einer netten, sympathischen Person, kann sich als viel angenehmer gestalten, als mit jemandem, der als Hobby gerne mal Wände einreisst. Du musst also nicht Fallschirmspringen gehen, um ein WG-Zimmer zu finden: Bleib bodenständig!
Der ultimative Vorteil
Mir ist bewusst, dass viele Studierende, die noch zu Hause wohnen, einen weiten Reiseweg haben und deshalb früh auf den Zug müssen, um am nächsten Morgen wieder aufstehen zu können. Doch hier ein heisser Tipp: Je länger man bei der Wohnungsbesichtigung bleibt und sich mit den Bewohnern unterhält, von sich erzählt und einander kennenlernt, desto höher sind die Chancen, das Zimmer tatsächlich zu bekommen. Wenn euch also eine Wohngemeinschaft besonders gut gefällt, bleibt sitzen! Nehmt den letzten Zug nach Hause. Dafür müsst ihr vielleicht schon bald nicht mehr so viel Zug fahren…
Um ein Beispiel zu nennen: Am zweiten Abend kam eine Studentin vorbei, die meine Mitbewohnerin begrüsste, sofort das Zimmer sehen wollte und dann so schnell wie sie gekommen war, wieder verschwand. Ich sowie drei weitere Mitbewohner lernten sie nie kennen. Hatte sie blonde Haare? Sie bleibt wohl eher als grauer, sich schnell bewegender Schatten in meiner Erinnerung. Das ist sehr schade, aber so befördert man sich eigenständig ins Abseits, macht ein Eigentor, gräbt sich selbst eine Grube… Du weisst, auf was ich hinaus will: Man stellt sich Schachmatt.
Vielfalt generiert ein stabileres Ökosystem
Je unterschiedlicher die Mischung von Mitbewohnern ist, desto besser! Jemand ist vielleicht handwerklich begabt, der andere ein Putzteufel. Jemand ist vielleicht ein verlorener Sternekoch und es gibt immer jemanden, der einfach viel redet und nichts tut. Ausserdem sorgt eine gesunde Vielfalt für viel Diskussionsstoff und die Möglichkeit, Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Möglicherweise führt dies dazu, dass man schwedische Weihnachten feiert oder einmal indisch kocht, einen kleinen Wintergarten anlegt und noch vieles mehr. Wir sind alle jung, jetzt ist die Zeit für Experimente! Die Erkenntnisse kommen dann später. Setzt euch nicht zu viele Grenzen und Kriterien, es muss ja nicht für das ganze Leben halten.
Viel Glück beim Suchen und Finden! Verzweifelt nicht und bleibt neugierig!