Mit der Corona-Pandemie stand die ganze Welt still. Finanzen, Versorgungsketten, selbst der Besuch beim Grossvater mussten umstrukturiert werden. Während manche diese besondere Zeit ohne tiefgreifende Folgen durchstehen werden, haben andere traumatisierende Erfahrungen gemacht, geliebte Menschen verabschieden müssen oder ihre Lebensgrundlage verloren. Nun, da sich langsam wieder alles öffnet, und die Welt auftaut, fällt mein Blick zurück: Was habe ich getan, um auch psychisch gesund durch die erste Welle zu kommen?
Viele gingen unvorbereitet in den Lockdown hinein: «Das geht jetzt noch einen Monat und dann kann sollte alles wieder sein wie vorher.» Dabei war der Trick, vom Gegenteiligen auszugehen: «Das geht alles wahrscheinlich länger, als wir denken, und wir sollten uns klar machen, dass wir noch länger ausharren müssen.» Es machte sich Unmut breit, es wurde viel gestritten. Auch in meiner Familie kam es zur Unsicherheit. Wie schlimm ist das? Wie sollen wir uns vorbereiten?
Schon früh erkannte ich meine Aufgabe in dem Geflecht: Emotionale Unterstützung für andere, die es schwerer haben als ich, Deeskalation. Mit dieser Aufgabe war ich dann sehr zufrieden. Nach dem ersten Schock über die globale Lage und die Familien, die viel Leid und Elend erlebt haben und erleben werden, wurde mir schnell eines klar: Ich muss diese Zeit positiv nutzen. So etwas wird (hoffentlich) erst einmal nicht mehr so vorkommen.
Die Pandemie bot mir eine Chance, um zu heilen, mich mit meinen inneren Dämonen zu beschäftigen, alte Wunden öffnen, behandeln und zu schliessen. Ich habe während dieser Zeit Bücher gelesen, für die ich nie Zeit hatte, Essen gekocht, dessen Rezepte ich vorher nie ausprobiert habe (Bananenbrot, so wie alle anderen auch), mich mit Themen beschäftigt, die mir noch fremd waren.
Durch das Selbststudium von Büchern von Carl Gustav Jung habe ich begonnen, eine tiefe Reise in die inneren Konstrukte der Persönlichkeit zu wagen. Mit Menschen Kontakt aufgebaut, die ich vernachlässigt hatte in turbulenten Zeiten, viel diskutiert, gelacht und gefühlt. Ich habe den Perspektivwechsel gewagt, mich in langen Spaziergängen verirrt, eine Einheit zur Natur gesucht. Ich habe mich stunden- und tagelang mit mir beschäftigt, wenn es ging. Abstand genommen, wenn mir Sachen zu intensiv wurden, aufgehört, Nachrichten über COVID-19 zu lesen, wenn es mich nur noch gestresst hatte.
Die guten Momente mit der Familie genossen, wenn es diese gab. Wenn es keine guten Momente gab, wurde viel geredet und versucht, gemeinsam am Ball zu bleiben. Nachbarn beim Einkaufen geholfen, wenn es notwendig war, Musik mit geschlossenen Augen auf dem Bett gehört, um sie zu fühlen. Es war für mich eine Zeit der Intuition. Wo stehe ich, was möchte ich, wo soll es hin?
Die Welt war auf einmal entschleunigt, reinste Romantik für mich. Endlich konnte ich mich zurücklehnen, die Welt mit meinem Tempo erfahren. Bewusst ist mir, es ist kein Wettbewerb.
Nicht jeder konnte die Zeit vollumfänglich geniessen wie ich. Viele mussten hart arbeiten, da sein, damit alles funktioniert. Jedoch habe ich vieles über mich kennengelernt, Stärken und Schwächen erkannt, von denen ich nichts wusste. Es tut gut, keine Angst vor einer Introspektion zu haben, sich mit dem eigenen Kopf zu beschäftigen. Die Aufgabe, meine Hand für Probleme anderer offen zu halten, mich in meiner Freizeit, mit den Ecken und Kannten meiner Seele zu beschäftigen, hat mich nicht nur psychisch gesünder, nein sogar stärker durch die Pandemie gebracht.
Heute gibt es die Tendenz, immer alles kaputt zu differenzieren, alles wird dekonstruiert. Dabei ist die Lösung nicht immer die wachsende Spezifizierung, sondern oft eine andere: Harmonie, Einheit und Beisammensein. Wenn nicht physisch, dann wenigstens im Herzen. Und auch wenn ich jetzt vielleicht klinge wie ein Neuzeithippie: Traut euch zur Ruhe zu kommen.
Ich habe angefangen zu schreiben. Das habe ich vorher nicht. Jetzt habe ich etwas, was ich aus dieser Zeit gelernt habe und ich hoffe, andere haben das auch.