Die 22-jährige Samira Marti studiert Ökonomie und Soziologie an der Universität Basel. Eigentlich unterscheidet sich Samira dabei kaum von ihren Komilitoninnen, ausser dass sie gelegentlich für die Nationalratswahlen in Basel-Land als Jungsozialistin antritt und die Wogen für ein neues Weltwirtschaftssystem glätten will. Nebenbei arbeitet sie als Hilfsassistentin des Ressorts Chancengleichheit und in der Geschäftsleitung der JUSO Schweiz. Wie sie all das mit ihrem Studium in Einklang bringt, erzählt uns Samira Marti im Interview.
Hallo Samira! Wieviel hätte denn noch gefehlt, dass du bei den letzten Wahlen in den Nationalrat geschafft hättest?
Die SP Baselland hatte bis jetzt immer zwei Sitze und dieselben PolitikerInnen sind wieder angetreten. Gestandene PolitikerInnen, die seit 30 bis 40 Jahre bekannt sind, überholt man nicht so schnell. Ich bin jetzt auf dem 2. Nachrückendenplatz und bin damit zufrieden.
Lässt sich Politik denn gut mit dem Studieren vereinbaren?
Politik ist ein leidenschaftliches Hobby, aber ich verdiene kein Geld damit. Ich mache es, weil ich das Gefühl habe, damit etwas zu verändern. Ich könnte nicht mit mir leben, ohne sagen zu können, dass ich etwas zu verändern versuche. Mein Studium steht aber an erster Stelle, dann die Arbeit und dann die Politik. In der Realität vermischt sich das ein bisschen, aber eigentlich ergänzt es sich.
Was würdest du gerne verändern?
Ich bin überzeugt, dass früher oder später eine Demokratisierungswelle der Wirtschaft kommen muss. Eigentum muss neu definiert werden. Schlussendlich orientiere ich mich stark an sozialistisch-marxistischen Visionen, die ich mit heutigen visionären Ökonomen, die sich nicht unbedingt als Sozialisten bezeichnen würden, kombiniere. Die zwei grossen Fragen drehen sich bei mir um Demokratie und Eigentum.
Wie würdest du Eigentum neu definieren?
Momentan werden Privateigentum und Geld mit der Entscheidungsmacht über die Produktion gleichgesetzt, unabhängig davon, was die Bedürfnisse der Menschen sind, oder was nachhaltig auf unsere Umwelt wirkt. Solche Fragen stehen im Konflikt mit der reinen Gewinnmaximierung privater Unternehmen. Ich glaube, dass Menschen immer danach streben, dass es ihnen gut geht. Allerdings nicht im Sinne einer rein monetären Nutzenmaximierung. Ich glaube, dass man da ein neues System einführen muss, die dem Wert des sozialen und ökologischen Nutzens auch Rechnung trägt. Dann würde sich die Definition von Eigentum und Demokratie ändern.
Wie ist es da für dich Wirtschaft zu studieren?
Als ich mit dem Wirtschaftsstudium anfing, war meine erste Vorlesung «Einführung in die Volkswirtschaftslehre». Als allererstes verteilte der Dozent einen selbst verfassten Artikel aus der Basler Zeitung gegen die 1:12 Initiative. Bei dieser Initiative war ich sehr aktiv, sodass ich mir schon nach dem ersten Tag überlegte, das Studium wieder hinzuschmeissen. Dann habe ich lange darüber nachgedacht und es mir anders überlegt. Die Wirtschaftswissenschaften sind zwar anstrengend, aber nicht so, dass es meine Energie verbraucht. Es ist eher ermächtigend. Dadurch weiss ich genau, welcher Diskurs in den Wirtschaftswissenschaften vorherrscht und kann ihn verstehen. Dadurch dass ich ihn immer wieder reproduzieren muss, kann ich auch immer wieder meine eigenen Positionen überdenken und festigen.
Würdest du die Wirtschaftswissenschaften also als eher ideologisch bezeichnen?
Aus meiner Perspektive ist es schon sehr gefärbt. Zumindest im Bachelorstudiengang werden gewisse Prämissen grundsätzlich unreflektiert die ganze Zeit von Dozenten und Studierenden reproduziert. Zum Beispiel der Glaube an den freien Markt, die unsichtbare Hand, die alles unsichtbar verteilt und die Selbstregulierung des Marktes, die für den Menschen am besten sein soll. Es gibt sehr wenige Momente, in denen man über Lohndumping oder ökonomische Gerechtigkeit spricht, ausser, ein Dozent scherzt gerade darüber, dass das Ökonomen eben genau nicht zu diskutieren haben. Es gibt aber Ausnahmen, wie in der Vorlesung «Öffentliche Finanzen», wo der destruktive Steuerwettbewerb in der Schweiz diskutiert wird.
Bringst du solche Inputs denn je während den Vorlesungen ein?
Früher habe ich das öfter gemacht. Vor 300 Leuten ist das aber sehr frustrierend, weil man rein pädagogisch keine Diskussion mit so vielen Leuten führen kann. Wir haben praktisch reinen Frontalunterricht. Das würdigt die Tatsache, dass die Wirtschaftswissenschaften zu den Sozialwissenschaften gehört, nicht wirklich. Ich glaube auch nicht, dass die anderen Studierenden das Bedürfnis haben, zu diskutieren.
Bringst du dich politisch auch in universitären Organisationen ein?
Ich vertrete seit dem Frühjahrssemester 2016 die philosophisch-historische Fakultät im Studierendenrat. Der politische Alltag der Uni Basel scheint mir aber noch sehr unpolitisch.
Woran liegt das?
Ich glaube, dass es ein Negativkreislauf ist. Einerseits gibt es keine politischen Entscheidungskompetenzen als Studierende. Das führt dazu, dass eher unpolitische Menschen die Ämter besetzen und das Ganze zu einer Party-Organisationskultur verkommt. Deshalb hat man wiederum kein Interesse mehr, sich als politischer Mensch einzubringen. Vielleicht ändert sich das aber jetzt. Anstatt immer nur zu kritisieren, dachte ich, dass ich es selber mal ausprobiere. Wir haben vor kurzem eine Juso-Offensive gestartet. Weil niemand kandidiert, dachten wir, dass wir mal ganz viele Jusos in den Studierendenrat einbringen und sehen, was passiert.
Ist das eure Antwort auf die Burschenschaft-Offensive von vor einem halben Jahr?
Genau, wir haben uns gedacht, dass es nicht sein kann, dass eine Studentenverbindung den politischen Spielraum der Uni Basel besser ausnützt, als eine Jungpartei, die sehr aktiv ist.
Wurdest du je mit dem Vorwurf konfrontiert, eine junge, idealistische Studentin zu sein?
Ja, beispielsweise in anonymen E-Mails. Vor allem aber an Podiumsgesprächen. Bei den öffentlichen Diskussionen während den Wahlen habe ich beispielsweise bei gewissen Themen manchmal keine inhaltlichen Antworten erhalten. Man warf mir vor so zu denken, weil ich eine junge Frau bin.
Wie reagierst du auf so etwas?
Meistens lache ich und sage dass solche Antworten erst kommen, wenn man inhaltlich nicht weiter weiss. Das Ganze kommt oft aus der rechten Ecke, die sonst immer vom Volk und dem Volkswillen redet. In solchen Situationen kann man das Gegenüber aber gut entlarven. Wenn sie von direkter Demokratie und Volkswillen reden und mir gleichzeitig meine politischen Mitsprachkompetenzen absprechen, ist das eine gute Gelegenheit, diese Widersprüche aufzuzeigen.