Lernphasen: Man bewegt sich zwischen Genie und Wahnsinn, bis endlich die langersehnte Erlösung kommt. Als müsse man erst Busse tun, bis das gestörte Verhältnis zwischen Universität und Studierenden wiederhergestellt ist. Lernen kann anstrengend sein. Für einen selbst, die Familie, die Freunde, selbst die Hauskatze scheint den Cortisolspiegel zu spüren, wenn sie wieder einmal mit der pelzigen Zunge die Tränen aufsammelt, die sich gerade entlang der Wangen bewegen. Der Kopf brummt, der Nacken schmerzt, die Sehnenscheide erfüllt ihre scheinbar einzig biologisch relevante Funktion erfüllt: Sie entzündet sich. In dieser Zeit bauen Studierende nicht nur zu Stift und Papier eine enge Beziehung auf, sondern auch zur Bibliothek. Die Bibliothek ist weit mehr als nur Lernraum, sie nimmt gar den Platz eines zweiten Zuhauses ein. Da sollte man sich die Frage stellen, wie man sich den Aufenthalt möglichst angenehm machen kann. Und auch: Was sollen andere Mitlernende beachten und respektieren?
Die UB hat zwei Gesichter. Zum einen erfüllt sie den Archetyp der fürsorglichen Mutter: Man hat ein grosses Angebot an allerlei Getränken und Speisen, kann sich mit Studierenden des eigenen Fachs wie auch scheinbar fremden Personen über politische Themen unterhalten à la «WAS hat Präsident X schon wieder getan?!» oder auf der Terrasse Vitamin D tanken. Zum anderen ist man aber zum Lernen dort und hat dementsprechend das Schwert der bevorstehenden, noch zu bestehenden Prüfungsleistung über dem Nacken schweben.
Ein respektabler Umgang, das bedeutet im Klartext: Still sein an Orten, in denen strikt gelernt wird; höflich auf begrenzte Plätze hinweisen, falls ein Student wieder mit einem Badehandtuch einen Stuhl besetzt; den Tisch in der Cafeteria nach einem Tupperwaren-in-der-Mikrowelle-erhitztem-Essen-Festmahl sauber hinterlassen; ein Feuerzeug anbieten, wenn jemand vor der Eingangstür sichtlich Schwierigkeiten hat eine Zigarette anzuzünden; nicht mehr Steckdosen als notwendig besetzen; Musik über Kopfhörer unter dem Dezibelbereich eines Amphitheaterkonzertes zu justieren; auf Menschen zu achten, die zu lautes Schmatzen als störend empfinden; die netten Mitarbeitenden in der Garderobe nicht alle fünf Minuten nach der Jacke zu fragen; nicht zu oft und nicht zu aufdringlich zu fragen, was man denn nach dem Studium so vorhabe; weinende Studierende in der Ecke weinen lassen, aber auch hilfsbereit sein, wenn die Tränen augenscheinlich versiegen. UB-Knigge gewissermassen.
Lernen ist anstrengend. Oder besser: Kann anstrengend sein, daher sollte man mit etwas Witz und Empathie möglichst ans Kollektiv denken und sich vor Augen führen, dass man im selben Boot sitzt. Wer ohnehin schon den Kopf nicht in den Wolken – sondern gerade eher gen Schreibtisch richtet, der möge sich stets überlegen, wie man möglicherweise in der UB seinen inneren Frieden findet.
Wie wäre es mit einer Jogginghose und einem viel zu grossen Hoodie? Man kann es sich nicht nur gemütlich machen und den lauwarmen Tee aus der Thermoskanne genüsslich trinken, während man unangenehme Erfindungen wie z.B. den Hosengürtel oder den Respekt Karl Lagerfelds vergisst, sondern man meidet hoffentlich auch die Real-Life-Tinder-Anmachversuche von Leuten, die es für eine gute Idee halten, nach den Festtagen und dem Winterschlaf eines viel zu turbulenten Silvesters noch Nummern klar zu machen. «Nein! Meine Handynummer gibt es erst wieder im Frühling und jetzt lass mich bitte in Ruhe! Mein Gott, wie dreist manche Menschen doch sein können, ich bin es einfach nur satt, dass Leute sich jede wache Minute um meine Präsenz streiten!», ist ein Gedanke, den ich (natürlich!) viel zu oft habe.
Sozialer Kontakt ist schön, sich über hochkomplexe geopolitisch relevante Themen zu unterhalten auch, aber meine Liebe und Aufmerksamkeit ist nur einem gewidmet: der nächsten Prüfung. Die wahre Liebe, die jeder Studierende pflegen sollte. Wir haben uns selbst das Studium eingebrockt, also sollte man auch wenigstens mit ein bisschen Mut und Rückgrat versuchen, die Sache in einem guten sauberen Rutsch hinter sich zu lassen. Das wir auf unsere psychischen Bandscheiben aufpassen müssen, ist nicht zu vernachlässigen. Pausen, gerade mit einer Tasse Kaffee in der Cafeteria, sollten dabei Pflichtprogramm sein.
Damit wir aus der Geschichte lernen und der schwarze Freitag des Prüfungsmorgens nicht so schwarz wird, empfehle ich, sich auch in der UB nicht zu sehr stressen zu lassen. Die Mitte finden. Wie wäre es mit Yoga am Waschbecken?