«Comment tu t’appelles?», «Where are you from?», «Come stai?» – Mein Start ins Erasmusjahr

Es ist Zeit, die wärmende Sommersonne in Gedanken noch weiter erstrahlen zu lassen. Zeit den Rucksack zu packen, den Wecker zu stellen: Die Universität fängt wieder an. Wie ich meine ersten Tage an der Universität Bordeaux erlebt habe und wie man als Erasmus Freunde findet, liest du hier:

Je suis Erasmus, je viens de la Suisse
Für Erasmusstudierende beginnt das Semester Ende August, sogar noch eine Woche früher als für alle anderen Studis hier in Bordeaux, und zwar mit einem Sprachkurs. Damit werden gleich zwei Fliegen mit einem Streich geschlagen: Man kramt in den Gehirnwindungen das verstaubte Französisch-Vokabular wieder heraus und lernt dabei Leute kennen, denen die Verzweiflung ebenso auf die Stirn geschrieben steht wie einem selber.

Wäre der Sprachkurs nur etwas besser gewesen und gäbe es den Strand nicht, würde ich sicher nicht bereits am zweiten Tag schwänzen. Immerhin, Erasmus funktioniert: ich finde gleich Freunde, mit denen ich an den Strand fahren kann. Der Sprachkurs fällt aber nicht ganz aus, denn schliesslich bestellen wir ein Eis auf Französisch, lesen Strassenschilder und im Bus nach Hause werden meine Sprachkenntnisse wirklich auf die Probe gestellt: Eine halbe Stunde lang unterhalte ich mich intensiv mit einem Franzosen über Opern. Von Opern habe ich ebenso viel Ahnung wie von Französisch, aber das macht nichts, denn Minus und Minus ergibt ja bekanntlich Plus. Das Plus in diesem Fall resultiert in einem kleinen französischen Ständchen am Ende der Busfahrt.

Der Turmbau zu Babel
So erfolgreich im Ergattern von Handynummern wie in dieser ersten Erasmuswoche war ich noch nie. Jeder möchte jeden kennenlernen und am liebsten gleich mit allen noch etwas trinken gehen. Viele warme Abende verbringt man an der Garonne (≈ Rhein), die Stimmung ist euphorisch, der Wein fliesst, wir sind ja schliesslich in Bordeaux. Aus jeder Ecke hört man eine andere Sprache: «Comment tu t’appelles?», «Where are you from?», «Come stai?», «Hur länge kommer du att stanna?» Verwirrung hoch zehn. Da kommt es schon mal vor, dass man mit einer Italienerin «Schwiizerdütsch» redet oder einfach mal zur Pantomime umsteigt. Im Grunde genommen sprechen wir aber alle dieselbe Sprache, wir sind einfach glücklich hier zu sein und einander gefunden zu haben.

Das Studium beginnt: Fertig lustig
Mit neu gefundenen Freunden im Gepäck und einer notwendigen Portion Mut ausgerüstet geht der richtige Unialltag los. Für Medizinstudierende in Bordeaux bedeutet das: Morgens Praktikum im Spital, nachmittags und abends Vorlesungen. Viele Medizinstudierende verbringen dann nach dem Abendessen noch weitere Stunden vertieft über den Büchern, da es in Frankreich unheimlich wichtig ist, gute Noten zu schreiben. Hier entscheiden nach beendetem Studium die individuellen Ergebnisse darüber, welche Fachrichtung man an welchem Ort praktizieren darf. Will man also Kardiologin in Paris werden, muss man mehr büffeln und wissen als alle anderen. Ich erkläre die Hungerspiele hiermit für eröffnet!

Erste Station: Neurologie
Das erste Mal seit zwei Monaten streife ich mir wieder den weissen Kittel über. Ich bin noch nicht bereit, den Sommer gehen zu lassen, vor allem bin ich noch nicht bereit, mich den Herausforderungen zu stellen, die mich in diesem weissen Kittel erwarten. Ich werde wohl niemals bereit sein, also wage ich einfach den Sprung ins kalte Wasser:

Das erste Praktikum verbringe ich auf der Neurologie. In der ersten von insgesamt elf Wochen werde ich mit einer Französin namens Tania, meinem persönlichen Engel, zusammengespannt, damit ich mich an den Klinikalltag gewöhnen, Fragen stellen und auch das ein oder andere Wort für die Anamnese noch aufschnappen und verinnerlichen kann. Trotz dieser Vorsichtsmassnahme fühle ich mich nach einer Stunde Praktikum kleiner als ein Atom. Die Internes (Assistenzärzte) schmeissen mit Anweisungen, Tipps, Dos und Don’ts nur so um sich. Die Hälfte des Gesagten verstehe ich nicht, sie nuscheln zu viel. Ein Viertel der Kommandos kriege ich mit, den Rest verstehe ich zwar, weigere mich aber den Inhalt zu akzeptieren, wie zum Beispiel: «Ihr müsst dann in anderen Spitälern anrufen und dort Termine, Ergebnisse, etc. erfragen. Et voilà, c’est simple.» Nein, das kann nicht sein. Das habe ich sicher falsch verstanden. Ganz sicher.

Vorlesungen
Mittagspause von eins bis zwei, danach geht es ab in einen kleinen Vorlesungssaal. Das Essen hat meine Lebensgeister wieder geweckt und ich freue mich auf die vier Stunden Vorlesungen, die mich jetzt erwarten. Keine Steckdose, kein WLAN. «Ach, es geht auch ohne!», denke ich mir, zücke Stift und Papier. Die Vorlesung beginnt; die Angina wird besprochen. Nach fünf Minuten Einführung stellt der Professor eine Frage, die in Basel als rhetorisch eingestuft würde. In diesem kleinen Vorlesungssaal aber vibriert die Luft von den vielen verschiedenen Antworten, die dem Professor von 50 unabhängigen Personen gleichzeitig geboten werden. Naja, 49 Personen; eine Studentin sitzt mit offenem Mund da, ohne einen Laut von sich zu geben.

Nach eineinhalb Stunden schaue ich ungeduldig auf die Uhr. «Machen wir nicht bald einmal eine Pause?», meldet sich mein koffeinabhängiges Wesen in mir: «Ah! Da kommt der nächste Professor schon, dann kann man sicher kurz zum Kaffeeautomaten flüchten…» Falsch gedacht: Der USB-Stick wird kurz ausgewechselt und zack: «Moi aussi, je vous souhaite la bienvenue, c’est parti: Sinusites… » Das mit den fliessenden Übergängen haben die Franzosen allemal drauf.

Aller Anfang ist schwer
Ja, die erste Woche war hart. Auch die zweite. Aber es wird stetig ein wenig besser! Ich bin auch ungemein motiviert alles zu lernen, was es zu lernen gibt! Denn vielleicht muss ich morgen im Praktikum einen Parkinson-Patienten untersuchen und dann will ich auch verstehen, wieso der Nacken jetzt so steif ist und wieso es so schwierig ist für den Erkrankten, sich beim Laufen um 180 Grad zu wenden, ohne dabei zu stürzen.

Vom Praktikum erzähle ich dir das nächste Mal mehr! Als kleiner Vorgeschmack: Nein, ich habe die Internes nicht falsch verstanden; das Telefon wird von den Medizinstudierenden fast so häufig benutzt wie der Reflexhammer…

À bientôt!

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