«Sexuelle Belästigung beginnt dort, wo persönliche Grenzen nicht respektiert werden und Macht über andere ausgeübt wird.» Die Definition, die Rektorin Andrea Schenker-Wicki in ihrem Mail an alle Studierende und Mitarbeitende der Universität Basel gebraucht, hat mich zum Nachdenken gebracht: Wo liegen die persönlichen Grenzen, wann wird die Würde verletzt? Ich habe mich umgehört und festgestellt: Die Wahrnehmung unterscheidet sich doch sehr.
Jede vierte Frau und jeder zehnte Mann gibt an, am Arbeitsplatz von sexueller Belästigung betroffen zu sein. Jeder Zehnte, jede Vierte! Sexuelle Belästigung kann dabei viele Formen annehmen: Gesten, Worte, Taten.
Für die Recherche habe ich verschiedene Menschen beiderlei Geschlechts und mit unterschiedlichen Vorstellungen befragt. Hier sind ihre (anonymisierten) Antworten:
Was ist sexuelle Belästigung für dich?
«Für mich ist eine sexuelle Belästigung ganz klar dann präsent, wenn es physisch wird. Bei einer unerwünschten Berührung ist es klar, dass eine Belästigung vorliegt. Man kann sich aber sicher schon von Blicken und Sprüchen bedrängt fühlen. Das ist dann aber eine sehr individuelle Wahrnehmung. Ich fühle mich von unterschiedlichen Menschen auch anders bedrängt. Manchmal reicht ein Blick. Bei Menschen, die ich besser kenne, reicht meine Toleranzgrenze weiter.»
«Es ist schwierig, den Unterschied zwischen Flirten und sexueller Belästigung festzulegen. Man kann niemandem den Hof machen ohne die gemochte Person anzuschauen, mit ihr zu reden oder sie zu berühren. Das würde ja bedeuten, dass man täglich jemanden belästigt. Auf jeden Fall kann man das beim ersten Annäherungsversuch nicht wissen. Die Reaktion des Gegenübers ist wichtig. Die Grenzen für eine unangenehme Anmache ist bei jedem verschieden. Die Erwiderung des Gegenübers definiert für mich sexuelle Belästigung.»
«Sobald Berührungen der Genitalbereiche ins Spiel kommen, liegt eine sexuelle Belästigung vor. Der Rest ist schwierig zu definieren.»
«Sexuelle Belästigung geschieht in meinen Augen oft auch mental. Frauen, die sich auftakeln, viel Haut und Dekolleté zeigen, die es ganz einfach mit den weiblichen Reizen übertreiben, provozieren die Männer. Natürlich sollten die Frauen deshalb nicht vergewaltigt werden. Sie machen die Männer aber fertig, psychisch. Nicht nur die Frauen werden belästigt, sondern auch die Männer. Das darf man nicht vergessen!»
«Meine intimen Stellen darf niemand ohne meine Erlaubnis anfassen. Bei Fremden genügt es mir aber schon, wenn sie mir in die Flanken piksen, damit ich mich unwohl fühle. Blicke und obszöne Gesten, da stehe ich drüber.»
Wurdest du nach deiner subjektiven Auffassung schon einmal sexuell belästigt?
«An einer Home Party hatte ich einen speziellen Drink gemixt und bot anderen, auch Unbekannten, zu trinken an. Sie tranken alle aus einem Strohhalm. Einer kam dann zu mir und flüsterte mir ins Ohr: ,,Ist das jetzt so, als würde ich von deiner Zitze trinken? Deinen Titten?“ Ich nahm mein Getränk zurück und ging. So ein Idiot.»
«Ich wurde in den Ferien einmal belästigt. Ich wartete im Hotel im Pyjama vor der Toilette, als mich der Rezeptionist überfiel. Er küsste mich und berührte mich, überall. Ich war wie versteinert vor Schock. Ich konnte mich nicht einmal wehren. Kein Schrei kam über meine Lippen. Gelähmt. Ein anderer Gast trat in der Korridor und unterbrach die ganze Situation. Der Rezeptionist verschwand so schnell, wie er gekommen ist. Am nächsten Tag verliess ich das Hotel und begegnete ihm dabei bei der Rezeption. Er benahm sich so, als ob er mich noch nie gesehen hätte. Ich fühlte mich ausgenutzt, dreckig. Es ging so schnell und man ist der Situation völlig ausgeliefert.»
«Sie fasste mir an meinen Hintern. Einfach so, ich kannte sie nicht. Ich bat sie darum, ihre Hand wegzunehmen, doch sie antwortete nur mit: ,,Tu nicht so, als würde es dir nicht gefallen, wenn eine Frau dich begrapscht!“ Ich war total vor den Kopf gestossen! Nur weil ich ein Mann bin, darf sie das tun? Denkt sie etwa, dass Männer keine Grenzen haben? Ich redete mit meinen Freunden darüber, doch ich habe das Gefühl, dass man die sexuelle Belästigung bei Männern nicht so ernst nimmt. Aber wirklich, es kommt vor.»
«Die Person nahm immer wieder meine Hand, obwohl ich mehrmals deutlich meine eigene zurückgezogen habe. Ich ging ihm aus dem Weg, versuchte immer gewisse Gegenstände zwischen uns zu bringen, mehrere Stühle, Tische, Türen. Er schaffte es aber trotzdem mir aufzulauern, von hinten den Arm um mich zu legen und mir dabei an die Brüste zu greifen. Das Schlimmste war aber, dass er so tat, als wäre das alles unabsichtlich passiert. Er war so geschickt, dass man ihn kaum für etwas beschuldigen konnte. Wenn ich daran zurückdenke, wird mir immer noch schlecht. Man fühlt sich so hilflos.»
Mehr zur Kampagne gegen sexuelle Belästigung findet ihr hier: www.unibas.ch/belaestigung
Sexuelle Belästigung kann verschiedene Formen annehmen, hat aber immer eine starke Auswirkung auf das Opfer. Was bedeutet sexuelle Belästigung für dich? Schreibe einen Kommentar!