Was wir aus dem Lockdown lernen können

«Es ist der dritte Monat März, jeder Tag ist Mittwoch und die Uhrzeit ist entweder hell oder dunkel», lautet ein Twitterpost, den ich heute irgendwann geteilt habe. Oder war es gestern? Seit der Lockdown vor gut zwei Monaten begonnen hat, zerfliesst mein Verständnis von Zeit. Und jetzt mit den ersten Lockerungen frage ich mich: wie weiter?

Schon bevor wir alle präventiv ins Homeoffice und Zoom-Seminar verlagert wurden, zeichnete sich ab, dass die nächsten paar Wochen eine bisher unbekannte Lage darstellen würde. Zuhause bleiben, das Sozialleben und die Mobilität einschränken, irgendwie eine Tagesstruktur aufrechterhalten und in dieser ganzen Absurdität eine Art Alltag einkehren lassen.

Ich selber brauchte einige Wochen, um zu realisieren, dass das alles real ist. In ein paar Jahren wird der Frühling 2020 in meiner Erinnerung wohl eine zähe Masse aus lang wachbleiben, mehr oder weniger produktiv vor dem Laptop sitzen und daraus resultierenden Rückenschmerzen, spontanen Fahrradausflügen und Animal Crossing sein.

Aber das ist nur mein eigenes, persönliches Erleben. Das in einer privilegierten Bubble von finanzieller Sicherheit, wenig gefährdeter Gesundheit und der irgendwann bewusst getroffenen Entscheidung, mich von Nachrichtenseiten fernzuhalten, geprägt ist.

Doch wie schaut es für diejenigen aus, die ihren Job nicht ins Wohnzimmer verlegen konnten, für die eine ernsthafte gesundheitliche Gefährdung besteht, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, die in der Isolation noch mehr vereinsamen, oder die neben der Kinderbetreuung die geforderte Produktivität nicht aufrechterhalten können? Werden wir unseren Umgang ändern oder in alte Strukturen zurückkehren?

Krisensituationen können uns aufzeigen, welche Jobs und welche Strukturen eine wirklich essenzielle Basis für eine auf Sparflamme laufende Gesellschaft bilden. In den letzten Monaten hat sich gezeigt: es ist unter anderem das ärztliche und Pflegepersonal, Personen im Lebensmittelverkauf und Reinigungspersonal, die an der Front stehen und nicht von Zuhause aus arbeiten können. Klatschen ist zwar eine nette Geste, reicht aber an Wertschätzung langfristig nicht aus.

Ein Freund von mir, der in der Pflege arbeitet, musste sich jahrelang anhören, er wische ja den ganzen Tag nur Hintern ab – Wollen wir so weiterhin mit Pflegepersonal umgehen, kombiniert mit tiefen Löhnen und vielen Überstunden? Oder ist dies nicht eine Chance, unsere Haltung zu ändern und uns zum Beispiel bei zukünftigen Wahlen und Abstimmungen für bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen?

Zumindest in meinem Sozialleben hat mir der Lockdown viele schöne Momente beschert: von fünfstündigen Zoom-Gesprächen im Freundeskreis über Gruppen-Blumengiessen in Animal Crossing bis hin zur Queerantäne, einer Aktion der Milchjugend, in der während eines ganzen Monats jeden Tag mindestens ein Livestream auf Instagram zu den unterschiedlichsten LGBTQ+-Themen stattfand.

Es ist der dritte Monat März, wie immer Mittwoch und aktuell gerade dunkel. Irgendwie nimmt das Leben gerade wieder etwas an Schwung auf und ich bin noch nicht wirklich bereit dafür. So sehr ich mich aufs Rausgehen freue, es bleiben ein schaler Nachgeschmack und der Wunsch, dass wir alle ein bisschen weniger Leistungsdruck und ein bisschen mehr Verständnis füreinander daraus mitnehmen. Langfristig.

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