Wer eine Kulturwissenschaft wie Slavistik, Islamwissenschaft, African Studies, jüdische Studien, Skandinavistik oder Ähnliches studiert oder studieren will, wird oft in seinem Umkreis – und nicht zuletzt von den Eltern – mit der gleichen Frage konfrontiert werden. Ich erinnere mich noch, wie ich anno 2011 meiner Mutter meinen Entscheid zum Wechsel von Psychologie zu Islamwissenschaft per Telefon mitteilte. Zwischen unseren Hörern herrschte zuerst eine peinliche Stille, bis sie mich schüchtern, wenn nicht gar verzweifelt fragte: “Was… Was willst du denn damit später machen?”
Ich wusste es nicht. Ich weiss es nach wie vor nicht. Mal schauen.
Ein kulturwissenschaftliches Studium bietet allerdings sehr wohl berufliche Möglichkeiten. Sogar viel mehr als nur das: Ein Freund, der damals mit mir Arabisch zu studieren begann und mit dem ich zwei Monate eine Wohnung in Kairo teilte, lernte während des Sprachaufenthalts eine Ägypterin kennen, die zur Liebe (und als Nebeneffekt auch Arabisch-Lehrerin) seines Lebens geworden ist. Damit will ich natürlich nicht postulieren, dass ein kulturwissenschaftliches Studium einen exotischen Lebenspartner oder gar die Liebe seines Lebens zur Folge hat. Was das Beispiel meines Freunds allerdings veranschaulicht: Eine Kulturwissenschaft animiert zum Reisen ausserhalb der Tourismusindustrie und kann damit einen Ausbruch aus den Alltagsmustern mit sich bringen (Massentourismus per Billigflug kann m.E. inzwischen als Teil der westlichen Alltagsmuster gezählt werden, auch wenn er nicht alle Tage stattfindet). Wer Osteuropastudien, Islamwissenschaft, Afrikastudien, Hispanistik oder Ähnliches (ohne schon vorher besondere Verbindungen zu den entsprechenden Ländern zu haben) studiert, hält die besten Karten in der Hand, in fremde Welten samt deren Sprachen einzutauchen und Neues zu erleben. Bei einem gewöhnlichen, verkrampft auf Karriere ausgerichtetem Studium stehen da die Chancen deutlich schlechter.
Das Beispiel meines Freundes spiegelt ebenfalls das wider, was viele bezüglich Berufsmöglichkeiten der Kulturwissenschaften zu übersehen scheinen. Kulturwissenschaften eröffnen den Zugang zu einem neuen Kulturraum und damit zu einem neuen Arbeitsmarkt. Unter Umständen kann in einem anderen Kontext als Westeuropa alleine die Beherrschung der deutschen Sprache für wunderbare Berufsmöglichkeiten ausreichen. Ferner ist man als Absolvent einer solchen Studienrichtung Teil eines Nischenbereichs und sticht damit bei einer Flut an Bewerbungen für die gleiche Arbeitsstelle heraus. Ich selbst darf beispielsweise Sportjournalismus für die Tageswoche betreiben, unter anderem weil ich Interviews auf Ägyptisch mit den ägyptischen FCB-Spielern Salah und El Neny führen sollte.
Ich bin sehr froh, dass ich damals mein Studienfach wechselte. Ansonsten wäre ich zwar inzwischen mit meinem Bachelor fertig, würde allerdings vermutlich in einem Organisationspsychologischen Praktikum bei der Human Resources-Abteilung irgendeiner Firma hocken, um mich auf meine spätere Karriere in einem solchen Büro vorzubereiten. Das mag zwar manche reizen, doch mich nicht. Es bietet mir zu wenig geistiges Momentum, zu wenig Horizonterweiterung, um das jeden Wochentag zu machen.