Vom neuen Minimalismus in der Covid-19-Krise

Auf einem Berg von Klopapierrollen, Discounter-Spaghetti und N95-Masken mache ich es mir gemütlich. Ich kratze eine Thunfischdose aus, die wohl auch einen nuklearen Erstschlag überstehen würde. Ich schaue auf die leere Dose und frage mich, wie es so weit kommen konnte. Brauche ich all das? Mein Smartphone leuchtet auf, eine Benachrichtigung von Twitter: «Land XY hat schon wieder Tote falsch gezählt!», «62 Impfstoffe werden getestet!». Ich lege das Handy weg, alles beim Alten also.

Neben Hamstern und Eichhörnchen, Panikmachern und täglichen Entwarnungen, gibt es eine Flut an internationalen Informationen, die uns gerade übermannt. Dabei sollen wir uns aber nicht lähmen lassen, gemässigt soll man sein, sich Sorgen machen, den Virus respektieren, aber bloss nicht zu viel! Die Gesellschaft hat einen Zustand des Equilibriums erreicht, psychische Gesundheit während einer solchen Zeit ist schliesslich wichtig.

Ich beschreite daher den Weg des Minimalismus: Festhalten an alten Mustern, die mich schon immer meine Mitte haben finden lassen: Sport, Musik und Filme. All das jongliere ich mit meinem Studium. Eigentlich alles beim Alten oder nicht?

Und doch war auf einmal alles anders. Statt Granaten flogen Klopapierrollen, statt Senfgas vergiftet uns ein altbekannter prähistorischer Feind: das Virus. Und damit fühlt sich alles neu an: Entschleunigt, ruhig, manche würden sagen «unwirklich», andere würden es eher «romantisch» nennen.

Beim Blick auf die Nachrichten schnappe ich das Wort «Weltkrieg» auf. Diesmal nicht gegeneinander, sondern miteinander gegen primitive parasitäre (Quasi-)Lebensformen. Gestern planten Leute noch ihren Urlaub, den nächsten Konzertbesuch oder das Business-Meeting im Ausland. Heute hat man andere Dinge zu erledigen: online noch schnell Luftpolsterfolie kaufen, falls man irgendwann nur noch lustige Bilder über Pakete teilen kann, exotische Trainingsmethoden ausprobieren, im Homeoffice der wirtschaftlichen Maschinerie das Gefühl geben, man «arbeite».

In solchen Momenten ändert sich der Blickwinkel: Ich beobachte dieselben Sachen wie sonst auch. Schaue aus dem Fenster, die Strasse hinab. Mir fallen auf einmal die Autos auf: «Sind schon immer so viele durchgefahren?», «Haben Leute nichts besseres zu tun als so oft am Tag mit ihrem Hund laufen zu gehen?» Der Blick ist gleich. Ich schaue auf die selben Sachen die ich seit Jahren beobachte. Aber es fühlt sich anders an.

Die Ruhe vor dem Sturm? Wohl kaum: «Die Zahl der Infizierten sinkt!», rufen die Leute von den billigen Plätzen, «Danke! Ich kann auch lesen», rufe ich zurück. Man will alles rückgängig machen. Der Drang ist gross. Der Drang nach Gewohnheit, Normalität. Gewohnheit? Normalität? Was ist das überhaupt? Gewöhnen wir uns an den jetzigen Zustand? Wie lange bleiben wir zuhause? Nun ist von Lockerung die Rede. Eine schrittweise Integration in vergangene Zeiten. Ob das funktioniert oder eine zweite Infektionswelle hervorruft, wird sich zeigen.

Verzicht ist das wichtige Wort in dieser Debatte. Verzicht auf Kleinigkeiten, die man später erledigen kann, Verzicht auf Aktivitäten, die Spass machen würden, sofern man nicht in einem Stuhlkreis mit einem Sicherheitsabstand von zwei Metern pro Stuhl sitzen würde. Verzicht auf zu viele Nachrichten.  Minimalismus auf allen Ebenen. Ausharren, durchbeissen, mit den Liebsten Zeit verbringen und geduldig sein.

Ich verzichte wie viele andere gerade auf vieles, aber nicht auf die zweite Thunfischdose.

Danial Chughtai

Der Versuch, absolute Erkenntnis zu erlangen, führte Danial Chughtai zum Physikstudium. Dass dieses Vorhaben zum Scheitern verurteilt ist, merkt er besonders abends um sieben - bei der vierten Tasse Kaffee. Wenn er nicht gerade ein neues Album hört, sich in fremde Vorlesungen verirrt oder überlegt auf Tee umzusteigen, ist er damit beschäftigt, seine Klamottenauswahl auf Vordermann zu bringen. Gerne vergnügt er sich mit den einfachen Dingen des Lebens; wenn's sein muss bei einem Roadtrip quer durch Europa.

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