Während einem Jahr habe ich im Auslandsaufenthalt Erinnerungen gesammelt; nicht nur in meinem Kopf, sondern auch viele materielle Dinge. Muscheln wie Sand am Meer zieren meine Möbel, sowie die ergatterte Dreikönigskrone, weil ich innerlich noch ein kleines Kind bin. Hinzu kommen Gegenstände, die man im Alltag benötigt; kleine Kerzen für die kühlen Sommerabende, Abstaubtücher, Mehl, die Kundenkarte meines Supermarktes… Kurzum; es gibt unzählige Sachen, die ich alle loswerden möchte, bevor ich zurückkehre, um mich freier, beweglicher und abflugbereit zu fühlen. Leichtes Gepäck eben. Was folgt, ist mein Versuch eines minimalistischen Lebens:
«Eines Tages fällt dir auf, dass du 99 Prozent nicht brauchst. Du nimmst all den Ballast und schmeisst ihn weg, denn es reist sich besser mit leichtem Gepäck», dröhnt mir Silbermond in meine Gehörgänge, während ich mich fassungslos um 360 Grad in meinem Zimmer drehe. Mein Fleck der Schande ist wirklich die Dreikönigskrone, welche meine Standuhr krönt und jedem Besucher verrät: Hier wohnt eine stolze Gewinnerin. Die Krone landet im Abfalleimer. «Zeit erwachsen zu werden», rüge ich mich selber.
Weniger ist mehr
Das Ziel meiner Zimmerrazzia soll sein, dass ich nur jene Dinge mitnehme, die ich regelmässig benutze. Ungenutztes, Unnötiges soll in den Abfalleimer und alles, was zur Grauzone dazwischen gehört, soll verschenkt oder verkauft werden. Mein Zimmer kann es bestätigen; ich habe keine Ahnung von Minimalismus. Ich hole mir also Rat im Internet:
«Eat the Frog first», «KonMari-Methode», sowie Korb- und Kartonmethode springen mir ins Auge. Beim Verzehr des Frosches geht es darum, einen liebsten Gegenstand weiterzureichen, um die Hemmschwelle für das Verzichten auf die weiteren angesammelten Sachen von Anfang an hinunter zu setzten. Bei der «KonMari-Methode» soll man sich von allem trennen, was keine positiven Emotionen auslöst. Wecker? Anatomiebücher? Ich fange an den Minimalismus zu mögen… Für Fortgeschrittene ist das Leben aus dem Karton zu empfehlen: Man verpackt alle Besitztümer in Umzugskisten und lebt einige Tage/Wochen aus den Kisten. Alles, was in dieser Zeit benutzt wurde, darf bleiben. Der Rest kommt weg.
Ich gehöre nicht zu den Fortgeschrittenen und entscheide mich deshalb für die Korbmethode, auch Anti-Shopping genannt. Motiviert hole ich einen grossen Sack hervor; los geht’s:
Der Kampf gegen das Beschwerende
Wie von Mr. Google empfohlen, gehe ich eine Sektion nach der anderen durch. Mein Büro ist mein erstes Opfer: Notizen, die ich in Mappen versteckt habe, türmen sich jetzt im Altpapier. Stifte, die nicht mehr funktionieren, fliegen im Imitationsversuch von Michael Jordan in hohen Bögen in den Abfalleimer. «Drei Punkte!», juble ich, obwohl meine Drei-Punkte-Linie bei knappen zwei Metern liegt. Medizinbücher, bei denen ich mir bereits den Kopf zerbrochen habe, warten nun hämisch, aber immerhin schön gestapelt im Bücherregal auf meinen Erasmusnachfolger. Ich habe Blut gerochen; mein Portemonnaie wird ausgebeutet. Die Supermarktkarte und das Schwimmbadabonnement gesellen sich zu den Medizinbüchern, Visitenkarten verschwinden vielmehr im Vielfrass-Sack. Alles, was ich in den Eimer fallen lasse oder unter Triumphgeschrei versenken kann, setzt in mir Endorphine frei. Ich bin berauscht von der Leichtigkeit des Seins und schwupps, meine abgelatschten, roten Lieblingsstiefel landen im Das-Muss-Weg-Sack…
Davon habe ich genug
Ich staune nicht schlecht beim Anblick meiner allumfassenden Handcrème-Sammlung, vor allem weil ich keine einzige dieser pflegenden Produkte selber gekauft habe. Im vollen Bewusstsein, dass sehr viel Liebe in der Anschaffung der betörend duftenden Salben steckt, bitte ich alle meine Freunde in Zukunft mir lieber ein Buch über Minimalismus zu schenken. In die Schweiz zurückkehren werde ich aber mit den best-gepflegten Händen aller Zeiten; ich möchte schliesslich einige der Dosen aufbrauchen.
Recycling
In unserer konsumverrückten Welt muss man natürlich versuchen, möglichst Vieles zu reparieren oder weiterzugeben statt wegzuschmeissen. Zum Beispiel habe ich auf meinen 24. Geburtstag ein Playmobil-Set mit einem Spielzeug-Röntgengerät von meiner Wohngemeinschaft zugeschickt bekommen. Ich möchte nicht zu viel darüber nachgrübeln, was das über meinen Reifheitsgrad aussagt, aber: was für ein geniales Geschenk! Hingegen sehe auch ich ein, dass jenes Spielzeug bei einem Kleinkind doch besser aufgehoben ist als bei mir. Weshalb ich es einer jungen Familie verschenkt habe und das fühlt sich doppelt gut an; leichteres Gepäck und ein kleines, süsses Lächeln auf dem rosigen Gesicht des koketten Kindes.
Als Folge meines Räumungskommandos habe ich zudem das erste Mal in meinem Leben einen Schuhmacher besucht, um meinen treuen Rucksack, der mit mir bereits viele Lasten getragen hat, wieder ein wenig aufzupolieren. Ich würde mich nach meinem einmaligen Befreiungsschlag nicht als Minimalistin bezeichnen, aber hoffentlich als bewusstere Konsumentin. Es tut gut, sich um sein Hab und Gut zu kümmern und seine Einkäufe zu hinterfragen.
Heimreise mit leichtem Gepäck
Bevor ich gehe, werde ich noch eine kleine Feier schmeissen, um alle meine Essensreserven aufzubrauchen, ganz viel Handcrème benutzen und meinem Stellvertreter alles hinterlassen, was er brauchen könnte. Ich bin mir ganz sicher, dass meine beste Freundin mich immer noch auslachen würde, wenn sie die Quantität meines endgültigen Gepäcks sieht, aber ich fühle mich deutlich erleichtert. Wer weiss, vielleicht reise ich anfangs August lediglich mit Handgepäck nach Hause, völlig gepackt vom Minimalismus-Fieber. Probiers doch auch einmal aus! Shopping zu Hause, ein wenig Anabolismus in der konsumorientierten Welt. Denn wie Bernhard Freidank sagt: «Genug ist besser als zu viel.»