Ein Interview mit Christine Calabrese, Oberärztin an den UPK, über die psychiatrische Studierendenberatung
Studierende der Universität Basel können bei psychischen Krisen die Krisenintervention der universitären psychiatrischen Kliniken Basels kontaktieren. Die Sprechstunden sind zwar nicht kostenlos und werden über die Krankenkasse abgewickelt, doch bieten sie einen wesentlichen Vorteil gegenüber einer privaten Praxis: elektive Termine. Das bedeutet, dass Studierende in diesen Kliniken viel schneller einen Termin erhalten können als in einer privaten Praxis. Um mehr über das Angebot der Krisenintervention zu erfahren habe ich mich mit der zuständigen Oberärztin Christina Calabrese zum Interview getroffen.
Guten Tag Frau Calabrese. Ausnahmsweise werden Sie heute selbst befragt. Ganz psychologisch gefragt: Wie fühlen Sie sich dabei?
Jetzt aktuell im Gespräch? Gut.
Gibt es bestimmte Arten von Krisen oder Beschwerden, die für Studierende eher typisch sind?
Die Gründe, warum Studierende hierher kommen, sind sehr unterschiedlich und vielfältig. Es gibt zum Beispiel junge Studierende, die kommen, weil sie Probleme in der Bewältigung der Studienanforderungen (Studium, Beruf usw.) haben. Es kommen auch Studierende, die Schwierigkeiten in anderen Bereichen haben, wie z.B. im Elternhaus oder in der Partnerschaft. Auch gibt es Studierende, die bereits längere Zeit psychische Probleme haben, und sich nun trauen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Was erhoffen sich Studierende von einer psychologischen Beratung?
Manche sind bereits erleichtert, wenn sie die Möglichkeit bekommen, in einem neutralen und professionellen Rahmen ihre Probleme zu verbalisieren. Die meisten, die hierher kommen, verspüren einen ausgeprägten Leidensdruck und wünschen sich eine adäquate Hilfe. Viele fragen sich, was mit ihnen los ist, oder was sie tun können, damit es ihnen wieder besser geht. Da ist es meine Aufgabe, sie fachspezifisch zu beraten. Nach einer ausführlichen Exploration und Diagnosestellung erfolgt ein Therapievorschlag. Wenn beispielsweise jemand eine Angststörung wie etwa Prüfungsangst hat, kann man ihn beispielsweise bezüglich der Therapieform beraten. Wir helfen dem Patienten, einen passenden Therapeuten zu finden und unterstützen ihn in der Weitervermittlung. An dieser Stelle muss zusätzlich darauf hingewiesen werden, dass nicht alle Studierende, die hier her kommen, eine Therapie benötigen. Bei manchen reichen zur Problemlösung ein bis zwei Termine. Das bedeutet, dass nicht jeder mit einem Anliegen automatisch eine Diagnose bekommt!
Wie läuft ein solches Gespräch typischerweise ab?
Beim ersten Termin findet eine ausführliche Exploration statt. Die oder der Studierende berichtet zunächst spontan, was sie bzw. ihn ihn in die Studierendensprechstunde der Akutambulanz führt. Viele haben einen sehr hohen Redebedarf. Zudem stelle ich Fragen, die nötig sind, um eine genaue Problemanalyse zu machen bzw. eine Diagnose zu stellen.
Viele vermeiden eine psychiatrische Beratung, weil sie ein gewisses Stigma damit verbinden. Kriegen Sie das auch in Ihrer Sprechstunde zu spüren?
Nicht bei allen, aber bei einigen spürt man Schamgefühle. Manche werden auch von ihren Eltern geschickt und sagen : «Ich weiss gar nicht was ich hier eigentlich soll.“ Aber es gibt auch welche, die sehr offen mit ihren Problemen umgehen und froh sind, dass es die Studierendensprechstunde gibt. Es ist ausserordentlich wichtig, dass sich der Patient in der Sprechstunde wohlfühlt und die Scheu verliert, über sich zu sprechen. Meine Erfahrung zeigt, dass sich bei den meisten die Unsicherheit und auch die Vorurteile rasch auflösen. Viele haben anfangs keine Vorstellung, was im Gespräch auf sie zukommt und sind dann positiv überrascht, wie gut sie aufgenommen werden und wie das weitere therapeutische Vorgehen besprochen wird. Es gibt schlussendlich sehr viel positives Feedback.
Als ich früher selber Psychologie in Zürich studierte, wurde uns berichtet, dass im Verhältnis mehr Geisteswissenschaftler als Natur- oder Wirtschaftswissenschaftler eine psychiatrische Beratung in Anspruch nehmen. Könnten Sie sich Gründe dafür vorstellen?
Das habe ich in unserer Sprechstunde so nicht beobachtet. Da kann man sich verschiedene Hypothesen vorstellen, die aber rein spekulativ sind. Beispielsweise könnte man sich denken, dass die naturwissenschaftlichen Fächer vielleicht mehr mit dem Kopf arbeiten und Affekte und Emotionen nicht so sehr nach aussen getragen respektive Probleme überhaupt weniger wahrgenommen werden. Vielleicht macht sich ein Geisteswissenschaftlicher mehr Gedanken über sich und seine Emotionen. Für jemanden, der Psychologie oder Medizin studiert, stellt es vielleicht auch weniger ein Tabu dar, zum Arzt zu gehen. Aber das ist alles, wie gesagt, sehr spekulativ.
Gibt es Menschen, für denen sich eine psychiatrische Beratung nicht eignet?
Jeder, der ein Anliegen psychischer Art hat, kann kommen. Manchmal kristallisiert es sich heraus, dass eine körperliche Erkrankung, die die psychischen Beschwerden verursacht, vorliegt. Deswegen ist eine ausführliche Exploration erforderlich. Bei Verdacht auf eine körperliche Erkrankung haben wir die Möglichkeit, diagnostische Massnahmen einzuleiten bzw. zu veranlassen. Übrigens: Die Sprechstunde ist nicht spezialisiert. Es ist egal, ob man Liebeskummer, eine Angststörung oder eine Depression hat. Jeder kann kommen, der sich belastet fühlt und psychische Beschwerden hat.
Wo stossen Sie als Therapeutin an Ihren Grenzen?
Grenzen haben wir nur von der Kapazität her. Leider können wir nicht alle, die zu uns kommen, weiter behandeln. Aber wir helfen jedem, der eine weitere Therapie benötigt, einen adäquaten Therapieplatz zu erhalten.
Sie haben ja selbst studiert. Würden Sie sagen, dass die psychischen Strapazen eines Studiums heute anders sind als früher?
Das ist nicht leicht zu beantworten. Vielleicht ist das auch vom Fach abhängig. Ich könnte mir vorstellen, dass sich bei manchen Universitäten die neuen Studierenden ganz schnell an den Ansprüchen, die ihnen gestellt werden, zurecht finden müssen und teilweise überfordert sind. Wenn das Ganze eher anonym, also weniger familiär, abläuft, könnte ich mir vorstellen, dass es schwieriger für einen jungen Mensch ist, sich zu integrieren und einzufinden. Der Ablösungsprozess vom Elternhaus und vom „alten“ Freundeskreis spielt sicher auch eine grosse Rolle. Vielleicht ist der Leistungsanspruch und Druck höher geworden. Da kann auch der Ehrgeiz eine Rolle spielen.
1 Kommentar
Fr., 24. April 2015 / 08:32 Uhr
unter http://www.doc24.ch findet jedermann/frau einen niedergelassenen Psychiater oder eine Psychologin der freie Termine hat. Das erspart einem die Stigmatisierung der kriseninterventionsabteilung.