Wie es heute ist zu studieren, das wissen wir alle nur zu gut. Wie war es aber vor circa dreissig Jahren, als meine Eltern die Vorlesungen besuchten, ähnliche Gleichungen lösten und weltrettende Zusammenhänge verstehen mussten? Wie unterscheidet sich unser Studium von ihrem?
«Bier getrunken und gefeiert, das habt nicht ihr erfunden», meint mein Vater mit einem leicht schelmischen und ein wenig verlegenen Lächeln. Ich löcherte für diesen Beitrag meine Eltern und einige Bekannte, um mehr über ihre Studienzeit zu erfahren. Mein junger Vater mit Schnurrbart und seine ebenfalls ihre Oberlippenbehaarung pflegenden Kollegen. Meine schöne Mutter von Schweden mit ihrer lockeren Verspieltheit. Haben sie sich vielleicht auch schon beim ‚Flunkyball‘ überschätzt oder eine mündlich Prüfung vermasselt?
Computerlos: Planlos?
Zu jener Zeit hatte noch kaum jemand einen Computer zu Hause. Der hätte zu jener Zeit wahrscheinlich kaum in ein Studentenzimmer gepasst. «Wir mussten immer in die Bibliothek und alles in dicken Büchern nachschlagen. Dort konnte man auch Computer benutzen und das war der Wahnsinn. Texte schreiben auf dem Computer! Faszinierend!», meint ein Bekannter mit einem leichten Kopfschütteln, sogar für ihn scheint diese Zeit unvorstellbar.
Meine Mutter hatte sich eine ganze Enzyklopädie beschafft, um nicht immer eine Bücherei aufsuchen zu müssen. Ganz generell: Wer etwas wissen musste, ging in die Bibliothek. Wenn ich daran denke, wie vollgestopft die UB in der letzten Lernphase war, dann will ich nicht einmal wissen, wen man früher für ein bescheidenes Plätzchen bestechen musste. Ein Platz mit Fensterblick; wohl eine teure Angelegenheit.
Man hatte natürlich auch kein Handy zu dieser Zeit. «Früher musste man viel mehr auf Menschen zugehen und mit ihnen reden. Man machte etwas ab und hielt sich dann an die Verabredung und zwar pünktlich. Auch wenn im Nachhinein etwas viel Spannenderes aufgetaucht ist», kommentiert meine Mutter und wirft mir einen leicht vorwurfsvollen Blick zu. Ja, ich weiss, ich komme immer zu spät.
Wer den Rappen nicht ehrt, ist den Franken nicht wert
Viele wohnten so lange wie möglich zuhause, andere lebten in Wohngemeinschaften und einige fanden ganz einzigartige Lösungen: Ein Kollege meines Vaters machte es sich bei einer 80-jährigen Dame gemütlich, welche ihn immer zum Abendessen einlud und dabei immer dieselbe dreckige Serviette des Vortags auftischte.
Im Allgemeinen sei das Studentenleben für meine Eltern eine ‚lockere, leichte, lustige Zeit‘ gewesen. Man hatte nicht viel, musste sich deshalb auch nicht um viel kümmern. «Am Ende des Monats habe ich mich nur noch von Knäckebrot ernährt», gesteht meine Mutter. «Da bleibt nicht viel übrig für kostspielige Unterhaltung.» Die Not förderte aber auch die Kreativität: «Gute Gesellschaft, gute Laune und ein wenig Bier. Mehr brauchte es nicht, um einen tollen Abend zu verbringen.» So ist es heute noch. Doch Flunkyball und andere ähnliche Spiele waren nicht aktuell, vielmehr redete man miteinander.
Das Geld, um viel zu reisen, war meist nicht vorhanden. Klar, die Flüge waren auch um einiges teurer. «Es ist toll, dass ihr die Möglichkeit habt. Wir hatten diese Chance nicht. Wenn man früher reisen wollte, musste Zeit, meistens ein Jahr, investiert und in den besuchten Ländern gearbeitet werden. Sonst konnte man sich dieses Abenteuer nicht leisten. Wenige Wochen lange Aufenthalte in einem anderen Kontinent waren schier unmöglich.» Ein Beispiel dazu: Meine Mutter musste mehrere Monate sparen, um sich ein Zugticket in die Schweiz leisten zu können. Die Liebe hat eben seinen Preis.
Der Vogel
Wie streng war das Studium denn früher? «Ich habe das Gefühl, dass die Studienzeit früher lockerer war als heute. Man hat jetzt immer den Stundenplan ständig und aktuell bei sich, es gibt mehr Pflichtvorlesungen, die Prüfungen sind pingeliger. Ausserdem wird viel mehr Detailwissen abgefragt als bei uns damals. Wir mussten die Zusammenhänge verstehen», behauptet mein Vater, der in seiner allerersten Vorlesung vom Dozenten den Rat ‚Mut zur Lücke‘ aufgeschnappt und sich sehr zu Herzen genommen hat. Man sah ihn nie wieder an der Universität, stattdessen ging er joggen. Man nannte in auch ‚Der Vogel‘. Er war ausgeflogen. An den mündlichen Prüfungen wurde er manchmal von den Dozenten gefragt, ob er wirklich studiere, man habe ihn nie zuvor gesehen. Bestanden hat er seine Prüfungen trotzdem immer. «Ich würde es wieder so tun», verkündet er stolz. Ich kriege meinen Mund kaum zu vor Staunen.
Warum Flunkyball zum Studium gehört
Alle, die ich befragt habe, sind sich einig: Die Studienzeit soll man geniessen und nutzen, um neue Sachen auszuprobieren. Beispielsweise den Unisport mit diesem heutigen breiten Angebot gab es damals nicht. «Ich hätte auch gern mal Fechten ausprobiert», schwärmt mein Vater. Das hätte auch bestens zu seinem damaligen Schnurrbart gepasst.
Was dieser Generation aber sehr am Herzen liegt, ist die Sozialkompetenz. «Nie wieder hat man die Möglichkeit, so viele Menschen kennen zu lernen wie im Studium. Das ist ein idealer Ort, um Sozialkompetenz zu erwerben bzw. zu steigern. Na klar, man muss am Ende des Studiums in seinem Gebiet wissen, wovon man redet. Ohne soziale Fähigkeiten bringt dir aber das ganze Wissen auf dieser Welt nichts.» Wir sollen also unbedingt Flunkyball spielen, lachen, quatschen und Dinge unternehmen. Sich mal mit den Mitbewohnern streiten, sich durchsetzen, nachgeben. So lernt man Menschen kennen, kommt sich näher.
Zum Schluss möchte ich die Lebensphilosophie meines Vaters nochmals hervorheben: «Mut zur Lücke!» Alles zu wissen, wäre zwar schön, ist aber utopisch. Also spreize deine Flügel und hebe mit leichtem Gepäck ab. Denn schon Sokrates erkannte: «Klug ist, wer weiss, was er nicht weiss!»
2 Kommentare
Do, 15. März 2018 / 12:08 Uhr
Ein schöner Artikel über die Studienzeit deiner Eltern.
Warum du dem sehr persönlichen Text aber die allgemeine Formulierung „unsere Eltern“ voranstellst, verstehe ich nicht. Wer heute studiert, muss nicht Eltern haben, die ebenfalls studiert haben.
Fr, 16. März 2018 / 08:47 Uhr
Liebe Leonie, ich kann deine Kritik gut verstehen. Beim Schreiben des Artikels habe ich ‚unsere‘ Eltern verwendet, weil ich damit versuchen wollte ein Gemeinschaftsgefühl zu schaffen. Mir war nicht klar, dass es provokativ aufgefasst werden könnte. Deshalb ändere ich ‚unsere‘ Eltern in ‚meine‘ um. Danke für deinen Kommentar!