Nach einem guten Jahr Forschungserfahrung in der klinischen Intensivmedizin am Universitätsspital wollte Núria Zellweger ihren Horizont erweitern. Die 27-Jährige, die in Basel Humanmedizin studiert, fuhr dafür nach Kopenhagen, um zu erleben, wie am Rigshospitalet geforscht wird.
Nachdem ich all die Hürden aus Covidschutzkonzepten, speziellen Massnahmen und Zollbefragung hinter mich gebracht hatte, war ich nun also endlich da. Bepackt mit viel Unsicherheit aber auch Vorfreude, trat ich Anfang April meinen ersten Arbeitstag am Rigshospitalet an. Sogleich wurde ich freundlich vom Professor und Leiter der Forschungsgruppe in Empfang genommen – das «Du» hatte er mir schon beim allerersten Telefonat 6 Monate zuvor angeboten – the danish way.
Rasch lernte ich den Rest des Teams, bestehend aus mehreren PhD-Studierenden, Ärzt*innen und Pflegenden kennen. Ich erhielt Laptop, Badge und Arbeitskleidung und konnte mich so ab Tag eins im Spital bewegen, als wäre ich schon immer hier gewesen – wenn nur die Sprachbarriere nicht wäre. Dies war aber nicht weiter schlimm, da praktisch alle mehr oder weniger fliessend Englisch sprachen, was gerade den Einstieg ins Team enorm erleichterte.
Schnell fielen mir deutliche Unterschiede bezüglich des Arbeitsalltages auf: Es schien alles etwas entspannter, gemeinsame Pausen waren wichtig und auch das Privatleben sollte Platz haben. Und doch oder vielleicht genau deshalb schien es mir, dass während der effektiven Arbeitszeit sehr viel erledigt wird.
Da ich vor meiner Abreise aus der Schweiz nicht die geringste Ahnung hatte, welche Arten von Arbeiten mir übertragen würden, war ich überrascht, als ich bereits am ersten Tag sehr klare Aufgaben erhielt; einerseits die Umsetzung einer eigenen kleinen deskriptiven Studie, andererseits die Mithilfe beim PhD-Projekt eines Arbeitskollegen, der eine Systematic Review plante.
Deskriptive Studie: Crystalloids and Colloids
Die Studie, mit dessen Durchführung ich im Rahmen des Forschungsaufenthaltes begonnen habe, trägt den Titel: «Use of Crystalloids and Colloids in Europe per year from 2010 to 2019: Protocol for an international descriptive study». Ich werde anhand von pharmakologischen/industriellen Daten untersuchen, inwiefern sich der Vertrieb verschiedener Infusionslösungen in Europa zwischen 2010 und 2019 verändert hat. Dies ist von Interesse, weil in den vergangenen 20 Jahren viel Forschung im Bereich der Flüssigkeitstherapie betrieben wurde. Dabei ging es nicht nur um die Menge an Flüssigkeit, die den Patient*innen intravenös verabreicht wird, sondern auch um die Art der Infusionslösung. Die zwei grossen Gruppen von Infusionslösungen, die heute standardmässig eingesetzt werden, sind die Kolloide und die Kristalloide. Besonders die Anwendung von Kolloiden wurde in den vergangenen Jahren stark diskutiert: Es gibt Hinweise, dass diese die Sterblichkeit von Patient*innen erhöhen und zu mehr Komplikationen führen.
Inwiefern verschiedene Studien die klinische Praxis in Europa verändert haben, ist nicht klar. Dies möchte ich anhand meiner deskriptiven Studie herausfinden. Noch weiss ich nicht, von wie vielen europäischen Ländern mir die Datenakquirierung gelingen wird. Ich hoffe jedoch, dass ich vor allem von den grossen Ländern komplette Datensets erhalte.
Während meines Aufenthaltes habe ich für diese Studie das Studienprotokoll verfasst, das kürzlich publiziert wurde. Das Verfassen und Publizieren von Studienprotokollen ist bei dieser Art von Studie nicht unbedingt nötig. Es zwingt einen im Planungsprozess jedoch dazu, sich schon sehr konkret Gedanken über das Design und die Durchführung der Studie zu machen. Ein publiziertes Studienprotokoll dient so einerseits als Leitfaden für die Durchführung, andererseits ist es ein Qualitätsmerkmal. Falls nach Publikation der eigentlichen Studie von Aussenstehenden Fragen zum Design oder den Resultaten auftauchen oder etwas in Frage gestellt wird, kann man genau nachweisen, weshalb man wie vorgegangen ist und dass man die Studie so durchgeführt hat, wie diese geplant war. Auf diese Weise ist die Forschung nachvollziehbar und transparent – zwei Merkmale, die im heutigen Wissenschafts-Dschungel und einer Zeit, in der «evidence-base» das Mass aller Dinge ist, von grosser Wichtigkeit sind.
Freizeit
Nach dem anfänglich harschen Wetter hielt Anfang Mai endlich der Frühling Einzug. Auch die Coronamassnahmen wurden gelockert, was den Wochenenden wieder mehr Leben einhauchte. Auf Empfehlung eines Freundes besuchte ich in Humlebæk «Louisiana», das Museum für Moderne Kunst. Es liegt wunderschön auf einem Hügel, direkt über dem Meer und schon alleine wegen des Gartens mit den Skulpturen und der herrlichen Aussicht lohnt sich ein Besuch. Als ich dort war, gab es gerade eine Sonderausstellung zum Thema Mutterschaft, welche mir gut gefallen hat.
Doch auch Kopenhagen selber bietet neben einer wahnsinnig langen Einkaufsstrasse viele schöne Ecken mit Parks und Cafés, die zum Verweilen einladen. Und ähnlich wie in Basel ist man auch in Kopenhagen am einfachsten mit dem Fahrrad unterwegs. Auf den breit ausgebauten Fahrradwegen machte dies in Dänemark sogar noch mehr Freude als zu Hause. Wenn ich Lust hatte, der Grossstadt etwas zu entfliehen, fuhr ich mit dem Zug nach Køge, einer kleinen Küstenstadt südwestlich von Kopenhagen und besuchte eine gute Freundin von mir. Das Leben so nah am Meer war für mich eine neue Erfahrung und ich kann gut nachvollziehen, was die Menschen in diese kleinen Küstenorte zieht zum Wohnen.
Fazit
Auch wenn die Coronapandemie zu Beginn die möglichen Freizeitaktivitäten eingeschränkt hat und nur wenige soziale Kontakte zuliess, so darf ich doch auf zwei intensive, lehrreiche, spannende und inspirierende Monate zurückblicken. Ich werde mich bestimmt immer wieder gerne an den Frühling in Kopenhagen zurückerinnern.