Ein ehrlicher, allzu ehrlicher Erfahrungsbericht über den Wahlbereich

Wenn ich jemanden erzähle, dass ich Physik studiere, folgt sehr schnell die Frage: «In welcher Richtung hast du dich spezialisiert?» Schwierig zu beantworten, denn im Physikstudium lernt man bis zum Ende des Bachelors nur Grundlagen, die Module sind sehr starr. Es gibt jedoch eine nicht zu unterschätzende Möglichkeit, um den liberalen Wind des Studiums zu spüren: den Wahlbereich.

56 von 180 Kreditpunkten sind im Physik-Bachelor allein für den Wahlbereich reserviert. Dabei müssen mindestens 30 KP innerfakultär (d.h. aus Mathe/Physik) und mindestens 20 KP ausserfakultär absolviert werden. Die restlichen 6 KP sind hier frei verteilbar.

Meine Erfahrung mit diesem grossen Wahlbereich war sehr positiv: Was man schlussendlich wählt, ist einem selbst überlassen, aber er bietet eine gute Möglichkeit, um übergreifende Kompetenzen zu erlangen. Dabei kann man Wert auf ganz unterschiedliche Dinge legen: «Welche Sachen sollte ich verbessern und werden in meinem Studium eher nur am Rande angesprochen?», «Was wird schlussendlich in der Industrie wichtig?», «Was für Vorlesungen/Seminare sprechen mich auf eine ganz persönliche Art an?», «Gibt es Vorlesungen/Seminare die mich im Leben weiterbringen? Hobbies ergänzen etc.?»

Für mich war es von Anfang an recht klar: Im innerfakultären Bereich wähle ich Sachen, die mir vor allem in späteren Semstern helfen werden, wie höhere Mathematikveranstaltungen oder Physikveranstaltungen ,die mich besonders interessieren. Und im ausserfakultären Bereich werde ich mich komplett austoben.

Während viele meiner Kommilitoninnen und Kommilitonen Vorlesungen der Wirtschaftswissenschaften oder Finanzmathematik besucht haben, um Industriekompetenzen zu stärken, sind andere ihren Interessen nachgegangen und haben Vorlesungen der Psychologie oder Geowissenschaften besucht.

Für mich persönlich kam immer nur ein Fach in Frage: Philosophie. Es gab nichts Besseres als sich im Kollegienhaus wiederzufinden und mehr über Nietzsches Sicht auf das Individuum zu erfahren. Man ist leider oft sehr aufs eigene Fach versteift und vergisst den Blick über den Tellerrand.

Gerade interdiziplinärer Austausch wird für Probleme heutiger Zeit zunehmend relevanter, was mich an eine schöne Anekdote aus einem Søren Kierkegaard-Seminar erinnert: Nichts erwartend habe ich mich damals für das Seminar eingeschrieben und habe mich in einem viel zu vollen Raum an den Rand gesetzt und die Menge beobachtet. Vorne sassen zwei Professoren. Wie sich herausstellte, wurde das Seminar interdiziplinär von einem Theologie- und einem Philosophie-Professor geleitet.

Neben Besuchenden aus anderen Fächern (wie mir) war der Seminarraum gefüllt mit Theologie- und Philosophiestudierenden. Genau diese Dynamik, die dadurch in Diskussionen enstanden ist, habe ich so noch nie erlebt und es war wunderschön zu sehen, wie Menschen aus verschiedenen Bereichen gemeinsam fruchtvolle Gespräche anregen konnten. Am Ende der Veranstaltung habe ich mich oft dabei erwischt, wie ich mit mir völlig fremden Leuten über das gerade Erlernte gesprochen habe.

Man kann also den Wahlbereich sehr gut nutzen, um an eigenen Schwächen zu arbeiten und auch Stärken gegebenenfalls noch den nötigen Feinschliff zu verleihen. Oder um es in den Wörtern von Nietzsche zu sagen:

«Im Gebirge der Wahrheit kletterst du nie umsonst: entweder du kommst schon heute weiter hinauf oder du übst deine Kräfte, um morgen höher steigen zu können.»
Friedrich Nietzsche in «Menschlisches, Allzumenschliches»

Danial Chughtai

Der Versuch, absolute Erkenntnis zu erlangen, führte Danial Chughtai zum Physikstudium. Dass dieses Vorhaben zum Scheitern verurteilt ist, merkt er besonders abends um sieben - bei der vierten Tasse Kaffee. Wenn er nicht gerade ein neues Album hört, sich in fremde Vorlesungen verirrt oder überlegt auf Tee umzusteigen, ist er damit beschäftigt, seine Klamottenauswahl auf Vordermann zu bringen. Gerne vergnügt er sich mit den einfachen Dingen des Lebens; wenn's sein muss bei einem Roadtrip quer durch Europa.

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