Wusstet ihr, dass Ragusa zu wesentlichen Teilen aus Haselnüssen besteht, weil der Schokoriegel 1942 auf den Markt kam und damals nicht nur Krieg, sondern auch Kakaomangel herrschte? Eine Ausstellung im Historischen Museum Basel spürt den Jahren von 1933 bis 1945 nach und stellt die Frage, inwiefern die nationalsozialistische Diktatur und der Zweite Weltkrieg die Region Basel prägten.
Ich muss ehrlich zugeben, dass mich das Plakat zur Ausstellung «Grenzfälle» eher abgeschreckt als angelockt hat. Zentriert auf einer Schwarz-Weiss-Fotografie eines Grenzzauns ist ein Schriftzug platziert. In Grossbuchstaben sind die Worte «Grenz» und «Fälle» illustriert, als stünden sie hinter und vor dem Zaun. Ich habe grundsätzlich Mühe mit visueller Kommunikation, die zu offensichtlich Aufmerksamkeit erhaschen möchte – wie die Schlagzeile der Blick-Titelseite.
Meine ästhetischen Vorurteile überwindend habe ich mir die Ausstellung im Historischen Museum Basel dennoch angeschaut; zum Glück, wie ich im Nachhinein feststellen durfte.
Die nicht chronologisch aufgebaute Ausstellung beleuchtet den Zeitraum von 1933 bis 1945 in der Region Basel. Wie reagierte die Basler Bevölkerung auf die Machtergreifung der Nationalsozialisten? Welche Unternehmen profitierten von Geschäften mit dem NS-Regime? Wie erging es der Bevölkerung während des Kriegs und wie ging man in der Grenzregion Basel mit Geflüchteten um? Die Ausstellung vermeidet es bewusst, klare Antworten zu liefern und betont damit die Vielschichtigkeit der Beziehung von Basler*innen zu Deutschland während des Nationalsozialismus.
Auftakt der Ausstellung bildet ein Blick auf die Gegenwart. Bevor man die Treppen in die dunklen Ausstellungsräumlichkeiten hinuntersteigt und damit in vergangene Zeiten eintaucht, stellt sich die Ausstellung die Frage, welche Spuren des Zweiten Weltkrieges in unserem Alltag nach wie vor zu finden sind.
Ausgestellt ist da beispielsweise das Buch «Verbannte Wörter – wo wir noch reden wie die Nazis und wo nicht» von Matthias Heine, in dem der Autor die Rhetorik des Nationalsozialismus untersucht. «Lügenpresse» und «entartet» kennen wir alle, aber wer hätte gedacht, dass der Begriff «Kulturschaffende» 1933 erstmals von den Nationalsozialisten eingeführt wurde?
Unter dem Titel «befürworten und ablehnen» werden in einer ersten Station der Ausstellung politische Verstrickungen der Grenzregion Basel beleuchtet. Dort lernt man, dass es auch in Basel ab 1933 eine Auslandsorganisation der NSDAP gab, deren Mitgliederzahl auf bis zu 4’000 Personen anwuchs. Als in deren Gründungsjahr am Badischen Bahnhof eine Hakenkreuzflagge gehisst wurde, führte das jedoch zu heftigen Krawallen.
Auch mit der Herstellung jener Fahnen ist Basel verstrickt. Das Basler Unternehmen Geigy (eine Vorgängergesellschaft von Novartis) belieferte Nazideutschland mit Polarrot, einem Farbstoff, der verwendet wurde, um Hakenkreuzflaggen und Parteiuniformen rot einzufärben.
Eine weitere Station der Ausstellung widmet sich der geistigen Landesverteidigung, einem Abschnitt der Schweizer Geschichte, in dem man sich auf Werte und Traditionen besann, die als schweizerisch deklariert wurden. Dies schlug sich sogar in der Themenwahl der Globi-Kinderbücher nieder, der fortan nicht mehr auf Weltreise ging, wie in der Ausgabe von 1935, sondern die Landes-Ausstellung besuchte (1939), Soldat (1940) und Bauer (1941) wurde.
Auf «einschliessen und abgrenzen» folgt «vorsorgen und reagieren». Diese Station setzt sich mit der Reaktion Basels auf den Kriegsbeginn auseinander und zeigt beispielsweise Glühbirnen, die zur Verdunkelung genutzt wurden, die ab 1940 von General Guisan angeordnet wurde. Da sich die Schweizer Armee in den Alpenraum ins Réduit zurückzog, war Basel nicht mehr militärisch verteidigt und damit bis Kriegsende eine ‘offene Stadt’.
Die letzten beiden Stationen der Ausstellung beschäftigen sich mit der fremden- und judenfeindlichen Flüchtlingspolitik und mit den zahlreichen nichtstaatlichen Initiativen zur Verbesserung der Situation der Geflüchteten in der Schweiz. Wie viele Asylsuchende an den Schweizer Grenzen tatsächlich weggewiesen wurden, lässt sich nicht mehr genau beziffern. Von den Schweizer Behörden wurden 25’700 Flüchtlinge registriert, denen man die Einreise in die Schweiz verweigerte. Diese Zurückweisung wird in der Ausstellung mit einem Stück aufgerolltem Stacheldraht symbolisiert, der damals als Grenzzaun zwischen Deutschland und der Schweiz fungierte.
Beim Verlassen der Ausstellung läuft man nochmals am Eingang vorbei. Auf einem kleinen Monitor läuft dort das Musikvideo zum Song «Das Boot ist voll» des Zürcher Songwriters Faber. Der Songtitel bezieht sich auf eine Rede von 1942, in der Bundesrat Eduard von Steiger die Schweiz mit einem «stark besetzten, kleinen Rettungsboot mit beschränktem Fassungsvermögen», das nicht unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen könne, verglich. Damals wusste man bereits von den Massendeportationen von Juden in die Vernichtungslager in Osteuropa.
Parallelen zwischen damals und heute sind plötzlich unübersehbar: die zunehmende Rückbesinnung auf die vermeintliche Heimat, der krude Sprachgebrauch von Rechtspopulisten, Bilder von überfüllten Flüchtlingslagern auf Griechenland und Schiffe von Hilfsorganisationen, die auf offenem Meer vergeblich Häfen ansteuern, an denen man ihnen das Anlegen verweigern wird. «Wenn sich 2019 ‘33 wieder einschleicht», singt Faber mir beim Verlassen der Ausstellung ins Ohr.