Es ist Sommer und ich sollte Seminararbeiten schreiben. Also koche ich zum fünften Mal Tee, wische endlich den Balkon und klicke mich durch YouTube-Dramen. Ich mache weder etwas fürs Studium noch etwas, was mir wirklich Spass macht. Natürlich hat das Internet, auch hierfür eine Lösung parat: Monotasking.
Monotasking, irgendwo zwischen kapitalistischer Selbstoptimierung und westlicher Yogi-Philosophie verortbar, würde von meiner Grossmutter wohl so beschrieben werden: «Eis oms Ander.» Sie macht das seit Jahren: Zum Telefonieren setzt sie sich hin, beim Kochen hört sie keine Musik, löst sie Kreuzworträtsel, macht sie nichts anderes. Ich wäre gerne so entspannt wie sie und fände es sehr angenehm, alle meine Ängste zu überwinden. Am allerliebsten will ich aber einfach meine Seminararbeiten fertigkriegen.
Da ich für einfache Erfolgsversprechungen empfänglicher bin, als mir lieb ist, und sich meine Nerven häufig überreizt anfühlen, entscheide ich mich für einen Selbstversuch. Auch weil Monotasking ansatzweise wissenschaftlich fundiert zu sein scheint: Multitasking erhöhe die Produktion der Stresshormone Cortisol und Adrenalin, erklärt beispielsweise Neurowissenschaftler Daniel Levitin. Durch das schnelle Wechseln von Aufgabe zu Aufgabe würden wir eine Dopamin-Sucht entwickeln und bei Ablenkungen ein belohnendes Gefühl spüren. Dieses erhöhe dann wiederum die Wahrscheinlichkeit, Facebook doch nochmals zu öffnen.
So nehme ich mir vor, während einer Woche nur eine Aufgabe aufs Mal zu erledigen, maximal ein Browser-Tab geöffnet zu haben (ausser bei Recherchen), den kommenden Tag am Abend vorher zu planen, während des Schreibens den «Nicht Stören»-Modus einzuschalten, Emails etc. nur abends und mittags abzuchecken.
Gähn!?
Schon am ersten Tag zeichnet sich mein Scheitern ab. Monotasking ist verdammt schwierig: Ich werde fast wahnsinnig vor Langeweile, beispielsweise beim Essen ohne Serien oder während der leisen Stunden vor dem Schlafen. Ständig muss ich mich unter Kontrolle halten, das Natel vor mir verstecken, mich mit meinen Gedanken beschäftigen, die wie anstrengende kleine Kinder danach betteln, mich doch bitte abzulenken. Ich fluche über den ständigen Selbstverbesserungszwang und lobe die süssen Freuden der Ablenkung. Wie gerne liesse ich mich in die Weiten des Internets forttragen.
Dann stoss ich auf Cathy Davidson, Englischprofessorin an der Duke University und Verteidigerin der Ablenkung: Erstens gäbe es Monotasking nicht wirklich, ausser jeder Fokuswechsel zähle als neue Aufgabe, dann wäre aber alles immer «Monotasking», auch Katzenvideos mit einem Unibuch auf dem Schoss und Chips in der Hand; zweitens seien kleine Ablenkungen wie ein Glas Wasser fürs Hirn: Sie bringen Erfrischung und neue Ideen. Monotasking führte drittens bei Studienteilnehmenden nur zu einer Illusion von Produktivität, die aber nicht nachgewiesen werden kann. Viertens sei das Hin-und-Her-Wechseln zwischen Aufgaben für das Hirn viel weniger anstrengend als der konstante innere Dialog und die Erfahrung von Langeweile und fünftens seien (Liebes-) Kummer, emotionale oder physischen Traumata und Zukunftssorgen viel stärker ablenkend als E-Mails.
Eine Auseinandersetzung mit diesen Gefühlen hilft dann vielleicht mehr als das Wegsperren ‘böser Ablenkung’ (Natel) und der Beschäftigung mit ‘guter Ablenkung’ (Auseinandersetzung mit den strengen Regeln des Monotaskings).
Gerade als ich «Ha! Wusst’ ich’s doch» rufen will, kommt sie aber dann doch: Die Ruhe, nach der ich mich gesehnt hatte, der etwas tiefere Schlaf, die Fragestellung der Seminararbeit.
Während mir also das vorgängige Planen und der «Nicht Stören»-Modus beim Schreiben geholfen haben, schädigte eine rigide Selbstkontrolle mein Wohlbefinden. Was ein Monotasking-Selbstversuch aber sicher allen bieten kann, ist ein Einblick in das Bouquet an Gedanken und Sorgen, von denen man sich sonst lieber abschottet. Ob man sich dann damit auseinandersetzen will oder lieber in die farbige Welt der Ablenkung taucht, ist eine andere Frage.
1 Kommentar
Fr, 6. Juli 2018 / 12:26 Uhr
Die Lektüre dieses Blogeintrags war durchaus eine willkommene kleine Ablenkung. Viel Erfolg bei der Seminararbeit! Ich widme mich jetzt wieder meiner… oder doch noch ein bisschen aufräumen davor? :)