Auf der Longlist des Deutschen Buchpreises, auf der Shortlist des Schweizer Buchpreises: Damit hat Michelle Steinbeck wohl nicht gerechnet, erst recht nicht, weil es sich um ihr Debüt handelt. Der Erstlingsroman der Studentin der Universität Basel (Soziologie & Philosophie), „Mein Vater war an Land ein Mann und im Wasser ein Walfisch“, ist surrealistisch, wundersam, überraschend und scheidet die Geister der Leserschaft. Meine Rezension zum Buch:
Am 20. August überfordert Steinbecks Buch zur Belustigung und Empörung des Publikums den „Literaturclub“ des SRF (ab 36:30) zusehends. Elke Heidenreich, eine renommierte Literaturkritikerin, wird (zurecht) Unprofessionalität nachgesagt, wenn sie die Autorin aufgrund dieser skurrilen Bilder „krank“ nennt und dabei konstatiert: „Wenn das die junge Generation ist, dann gnade uns Gott“. Da greifen sich Germanistikstudierende und Literaturwissenschaftler schon mal beschämt an den Kopf, wenn Autorin und Protagonistin gleichgestellt werden. Was hat dieses Buch, dass es die Literaturkritikerin so dermassen aufwühlt?
Loribeth, eine junge Frau, wirft ein Bügeleisen aus dem Fenster und trifft damit ein Kind am Kopf. Es scheint tot zu sein, sie packt es in einen Koffer, der ihrem verschwundenen Vater gehörte, und begibt sich damit auf den Friedhof. In einem Ofen eines grossen Hauses trifft sie auf eine Wahrsagerin, die ihr prophezeit, den Koffer und dessen Inhalt zu ihrem Vater bringen zu müssen.
Nein, du musst das nicht noch einmal nachlesen, du hast nichts falsch verstanden. Ein totes Kind im Koffer, eine Wahrsagerin in einem Ofen, die Leiche muss zum Vater, so. Mal abgesehen davon, dass das Kind dann zwischendurch, wenn es immer mal wieder von innen gegen den Koffer klopft, gar nicht so tot wirkt, sind das grob gesagt die ersten paar Seiten der Geschichte.
Steinbecks Buch ist ein einziger langer Traum, den man aber nicht wirklich als Albtraum, aber auch nicht als gewöhnliches, allnächtliches Bild abstempeln kann. Sie gibt akribisch genaue Traumbeobachtungen wieder, in welchen man die eine oder andere Parallele zu den eigenen Träumen wiederfinden kann. Ihr Buch ist voller Szenenwechsel, denen man kaum folgen kann und Bilder, die schwer zu denken sind. Es ist eine Reise, bei der man froh ist, sie nach dem Aufwachen doch nicht antreten zu müssen. Wer begegnet schon gerne drei sprechenden, angriffslustigen Doggen, explodierenden Häusern und dem Innern eines Walfischs?
Wie soll man da mitkommen? Ist Heidenreichs Gefühlsausbruch mit diesem Sammelsurium an skurrilen Begebenheiten vielleicht gerechtfertigt? Trotz den schwer zu lesenden Bildern ist das Buch keinesfalls verstörend oder unzugänglich, wie es zwei der drei Literaturkritiker im Literaturclub behaupteten. Es sei einfach nicht das, was man erwartet, wenn man ein Buch anfängt zu lesen. Umso schöner eigentlich.
Loribeths Reise ist das Abenteuer eines jeden jungen Menschen. Genauso surreal wirkt die Reise der Jugend und die damit verbundene Schwermut und Schönheit. Keine Ahnung, wo es hingeht; keine Ahnung, wie es ausgeht; keine Ahnung, ob man schon angekommen ist oder je ankommen wird. Belastende Verantwortungen und Beziehungen, Erklärungsversuche für das eigene Ich, von der Protagonistin beim Vater gesucht. Wo es sich früher unbeschwert träumen liess, ist es heute umso schwerer, die Ungewissheit auszuhalten: In der Jugend. Jung sein ist eine emotionale Herausforderung und genau die zeigt Steinbecks Geschichte auf eindrückliche Art und Weise in einem ebenso ungewissen Traum.
Wer Steinbeck selbst einmal hören will, kann das im Rahmen der BuchBasel am 11. und 12. November im Volkshaus. Die Verleihung des Schweizer Buchpreises findet am 13. November im Theater Basel statt.