Sie sind die stillen Hüter des öffentlichen Raumes, Angelpunkte im Stadtbild, Erinnerungen an historische Ereignisse, längst verstorbene Persönlichkeiten und vergessene Kunstschaffende. Seit Jahrzehnten stehen sie an Ort und Stelle, verlässlich wie das Vergehen der Jahreszeiten. Täglich gehen wir an ihnen vorbei und würdigen sie dennoch selten eines Blickes. Ein Versuch, Basels Denkmäler und Skulpturen im öffentlichen Raum von ihren Tarnumhängen zu enthüllen:
Es gäbe nichts Unsichtbareres auf der Welt als Denkmäler, meinte der österreichische Schriftsteller Robert Musil. Sie seien geradezu gegen Aufmerksamkeit imprägniert «und diese rinnt Wassertropfen-auf-Ölbezug-artig an ihnen ab, ohne nur einen Augenblick stehenzubleiben.», schreibt er in seinem Nachlass zu Lebzeiten (1936).
Noch heute lässt sich beobachten, dass die wenigsten Passanten bei Denkmälern tatsächlich stehenbleiben, inne halten und bereit sind, den monumentalen Werken auch nur ein Bruchteil ihrer Zeit zu widmen. Dies scheint paradox, denn das Denkmal sollte doch genau das Gegenteil eines flüchtigen Momentes darstellen. Es sollte die Vergangenheit vergegenwärtigen, an Schlüsselmomente der Geschichte erinnern, historische Personen würdigen und vor allem: zum Denken anregen.
Wir beginnen berühmt
Dass der Bildhauer der New Yorker Freiheitsstatue, Frédéric-Auguste Bartholdi, auch Basel mit einem Denkmal beglückt hat, weiss wohl nur ein kleiner Teil der Menschenmenge, die täglich aus dem Bahnhof und in die Stadt schwärmt. Dabei führt der Gang ins Zentrum unausweichlich am Strassburger Denkmal vorbei, das seit 1895 dem Centralbahnplatz zugewandt auf einem Sockel emporragt.
Erinnern soll es an die humanitäre Hilfe der Schweiz während des Deutsch-Französischen Krieges 1870. Auf Initiative eines Baslers konnte einem Teil der Zivilbevölkerung des belagerten Strassburgs in der Schweiz Schutz gewährt werden. Die Figurengruppe aus Marmor zeigt einen geflügelten Schutzgeist, der die Alsatia der Helvetia übergibt. Kinder begleiten die Personifikation des Elsasses, während die Helvetia schützend ihr Schild über die Zuflucht suchende Gruppe hält.
Eine ruhmvolle Aktion erhält ein monumentales Denkmal von einem renommierten Künstler. Trotzdem würde ich behaupten, dass ein Grossteil meiner Basler Freunde wohl nachfragen würde, wenn ich mich mit ihnen am Strassburger Denkmal verabredete.
Vorschlag eines zeitgemässen Denkmals
Unweit vom Strassburger Denkmal begrüsst bereits die nächste Helvetia mit ausgestreckten Armen all jene, die an der Haltestelle Denkmal die Tram verlassen. Eine ähnliche Feierlichkeit ausstrahlend, würdigt das St. Jakobsdenkmal einen weniger glorreichen historischen Moment der Schweizer Geschichte.
1444 kam es am Stadtrand Basels zu einer Schlacht zwischen französischen Truppen und den unterlegenen eidgenössischen Verbünden. Im 19. Jahrhundert glaubte man den Bestattungsort der gefallenen Eidgenossen gefunden zu haben und somit entstand die Idee, die blutige Niederlage an diesem Ort ruhmvoll zu ehren.
Das klassizistische Marmormonument wurde vom Basler Ferdinand Schlöth 1860 erstmals angedacht und erst zwölf Jahre später eingeweiht. Demokratische Entscheidungsfindung in ästhetischen Fragen scheint noch komplizierter als in politischen.
In seinem Text Denkmale argumentiert Robert Musil, dass Denkmäler selber schuld sind, wenn sich keiner nach ihnen umdreht. «Ruhig am Wege stehn und sich Blicke schenken lassen, könnte jeder; wir dürfen heute von einem Monument mehr verlangen.» Der Schriftsteller schlägt vor, dass auch Denkmäler mit der Zeit gehen müssen und demnach mindestens genauso anziehend wirken sollen wie Häppchenverteiler in Supermärkten. Vielleicht müsste die Helvetia des St. Jakobsdenkmals, um Blicke auf sich zu ziehen, den Passanten also nur zuzwinkern oder in ihrer Hand eine endlose Wurstschnur halten, an der sich die Vorbeigehenden verpflegen könnten.
Schreitende Statik
Einen Sprung in der Geschichte wagend und das gegen Ende des 19. Jahrhunderts gängige Pathos verlassend, bewegen wir uns in Richtung Innenstadt. Dort begegnen wir an beiden Enden der Mittleren Brücke den letzten zwei Bronzeplastiken, denen wir uns auf unserem kleinen Rundgang widmen.
Auf der Grossbasler Seite am Brückenkopf schreitet uns Carl Burkhardts Amazone, Pferd führend entschlossen entgegen. Ursprünglich war die Amazone für den Garten der Kunsthalle gedacht und wurde schliesslich nach dem Tod des Künstlers 1923 da aufgestellt, wo sie heute noch an Ort und Stelle voranschreitet, seit fast 100 Jahren. Eine treffende Umschreibung dieser misslichen Lage formulierte bereits Musil: «Denkmalsfiguren machen keinen Schritt und machen doch immerwährend einen Faux pas.»
Während zeitgleich im Kunstmuseum Basel andächtige Museumsbesucher in der Ausstellung Carl Burckhardt. Antiker Geist – Moderne Form das Gipsmodell der Amazone bestaunen, sich womöglich ans Kinn fassen und gedankenversunken durch die verdunkelten Räume schreiten, lehnt sich ein Junge bei der Mittleren Brücke an den Sockel der Amazone, verdrückt genüsslich sein Sandwich und schaut zu, wie der vorbeifahrende Bus der Amazone seine Abgasen ins Gesicht bläst.
Ruhendes Denkmal
Abschliessen wollen wir unseren Rundgang auf der Kleinbasler Seite der Mittleren Brücke, wo wir uns neben die überlebensgrosse Bronzefigur Helvetia auf Reisen setzten. Die Personifikation der Schweiz hat Speer, Schild, Mantel und Koffer abgelegt und ruht sich auf einer Mauer aus. Erschöpft blickt sie den Rhein hinunter, den Kopf aufgestützt und den linken Fuss in der Luft baumelnd.
Es handelt sich dabei um jene Helvetia, die seit 1874 auf dem Zweifrankenstück dargestellt ist. Einzig den Koffer hat die Berner Künstlerin Bettina Eichin der Helvetia hinzugefügt und sie damit auf Reisen geschickt. In Basel hat sie ihre Verkleidung abgelegt und sich zur Rast hingesetzt, befreit von der Anstrengung, stets etwas symbolisieren zu müssen.
Eine reisende Helvetia also, eine Personifikation, die ihre Attribute niederlegt und dadurch die eigene Aussagekraft in Frage zu stellen scheint. Ein Denkmal, das sich selber dekonstruiert und ein letztes Mal um Aufmerksamkeit bittet.