Welche Pflanzen wachsen eigentlich in unserer Region? Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten – schon seit Jahrzehnten wurde der Lokalflor nicht mehr untersucht. Der Verein Flora beider Basel und die Herbarien der Universität Basel möchten das nun ändern.
Gemeinsam mit der Bevölkerung, als Citizen-Science-Projekt, soll die Flora in Basel-Stadt und Baselland zentral dokumentiert, archiviert und der Gemeingesellschaft sowie der Wissenschaft zugänglich gemacht werden. Es geht also nicht um den eigenen Vorgarten und künstliche Blumenbeete, sondern einen fundierten und grossflächigen Einblick in die Biodiversität der in und um Basel heimischen Flora. Dafür suchen der Verein Flora beider Basel und die Herbarien der Universität Basel motivierte Helfer*innen mit einem Herz für Pflanzen. Wie das von statten gehen soll, was ein Botanisches Läckerli ist und welche grösseren Zusammenhänge hinter der Klassifikation von Pflanzen stehen, das erfährst du im Interview mit Ramon Müller, dem Geschäftsführer Regionalstelle Flora beider Basel, einem waschechten Naturenthusiasten.
Die Erstanmeldung läuft immer über dich und parallel über die Eintragung im Online-Feldbuch?
Genau, es wird so sein, dass Personen, welche am Projekt interessiert sind, sich bei mir anmelden. Ich stelle ihnen dann die gesammelten Informationen zum Online-Feldbuch zur Verfügung, zum Beispiel das zugehörige Manual. Wichtig ist einfach das Interesse am Projekt, die technischen Details folgen dann im Kontakt mit mir.
Und dann gibt es noch extra eine App?
Genau: Es gibt die Online-Variante, das Feldbuch, hier erfolgt das Datenmanagement. Dort kann man sich einloggen und eine Pflanzenmeldung mit Koordinatenangaben machen, zum Beispiel könnte man die Koordinaten und den Art-Namen einer gefundenen Pflanze wie zum Beispiel dem Saatmohn dort eintragen. Diese Angaben werden dann gespeichert. Das Tolle ist, dass diese über Info-Flora, wo sich das Feldbuch befindet, auch direkt an der richtigen Stelle für den Naturschutz zugänglich sind. Bei der Erstellung der neuen roten Liste kann dann das nationale Datenzentrum für schweizerische Pflanzen, mit denen wir eng zusammenarbeiten, die von uns generierten Daten unmittelbar für den Naturschutz nutzen.
In der App kann man direkt von unterwegs Eintragungen machen, wie zum Beispiel: Wuchsort, Aufnahme der Koordinaten und Grösse der Population. Wenn man auf der Flora-App ein Konto hat und Daten so anlegt, dann landen diese Daten auch automatisch im Online-Feldbuch. Es gibt immer wieder Leute, die wissen möchten, was sonst noch im Projekt läuft. Gibt es noch Arten, welche in meiner Nähe wachsen, die ich noch nicht kenne? Dann kann man in das Online-Feldbuch gehen und gucken, was andere Personen aus der Region angegeben haben. Alle Daten von allen Personen, die am Projekt mitmachen, sind später öffentlich ersichtlich.
Wie schwer ist es für einen Laien, die Pflanzen zuzuordnen? Gibt es da Hilfe mit der App?
Die App ist wirklich nur für die Bestimmung gedacht, für die Klassifikation gibt es andere Apps. Es ist nicht so, dass es sich mit einem Foto getan hat oder dass die App die Bestimmung übernimmt. Deshalb möchten wir auch eine grosse Diversität von Leuten ansprechen. Das heisst, im Projekt machen schon Leute mit, die sehr gute Botaniker*innen sind, es gibt aber auch Leute, die gerade erst angefangen haben, Biologie zu studieren und sich einfach für Pflanzen interessieren. Man muss schon eine gewisse Pflanzenkenntnis haben. Die Identifikation einer Margerite ist ein Anfang, dann muss man aber noch fragen: Was ist es denn für eine Margerite? Und auch, wenn man eine Art nicht kennt, muss man wissen, wie man diese identifizieren kann.
Wie ist das denn mit Studierenden, die gar nichts mit Biologie als Studienfach zu tun haben, aber trotzdem eine Faszination für die Natur mitbringen?
Das kommt extrem auf die Person an. Das Projekt hat sicher keinen Anspruch auf die Ausbildung oder Schulung von guten Botaniker*innen. Ich habe auch schon an anderen Projekten mitgearbeitet und habe dort am meisten Freude gehabt mit Leuten, welche zuerst gesagt haben, dass sie einfach mal mit machen möchten und sich dann, weil das Interesse so gross geworden ist, einfach selbst immer weitergebildet haben.
Wir machen zum Beispiel Bestimmungsabende, da können Leute hinkommen und mit uns Arten besprechen, die ihnen nicht vertraut sind oder die sie nicht kennen. Wir bestimmen diese dann gemeinsam. Das hat zwar keinen Ausbildungscharakter, aber man merkt, dass die Leute, die Interesse haben und regelmässig mitmachen, auch immer besser werden.
Und zur Ausrüstung gehört in jedem Fall die Lupe, der Notizblock, das Handy und … ?
Eigentlich gehören vor allem die Lupe und das Handy dazu. Im Moment ist alles über das Handy zugänglich, auch die Bestimmungsliteratur kann man auch auf das Handy laden. Leute, die nicht mit der App arbeiten wollen, können natürlich auch mit Notizblock, Karte und zum Beispiel GPS-Gerät auf die Suche gehen.
Was wäre dein Tipp für die Bestimmungsliteratur?
Für viele Sachen würde ich den neu aufgelegten Exkursionsführer Flora Helvetica empfehlen. Viele Studierende kennen auch den Binz noch, ich würde aber die Flora Helvetica mitnehmen, das ist für mich das beste Buch, das es gibt. Es gibt auch noch eine App, die kostet allerdings 100 Franken. Sie hat den Vorteil, dass sie eine Bestimmungsfunktion integriert hat und dass sie doch um einiges leichter ist als die Flora Helvetica mit ihren 1670 Seiten.
Wie wollt ihr die botanischen Laien für euer Projekt ansprechen?
Wir haben die Aktion «Botanische Läckerli» eingeführt, eine Möglichkeit für alle, nach Lust und Laune Funde zu melden. Das können einfach Pflanzen sein, zu denen man selbst einen Bezug hat. Die «Botanischen Läckerli» können als Bild an mich gesendet werden und werden dann auf unseren Social-Media-Kanälen hochgeladen. Die drei Fotos mit den meisten Likes gewinnen am Ende Preise. Das nächste Jahr werden wir dann Schatzsuchen zur Verfügung stellen und das Aufsuchen bestimmter, für den Naturschutz relevanter Arten in solche Schatzsuchen einbinden.
Wie findet denn der sonstige Austausch innerhalb des Projektes statt?
Es gibt die Bestimmungsabende, hier kann man Gleichgesinnte kennenlernen. Nächstes Jahr sollen dann auch noch Exkursionen und andere Events folgen, das ist im Moment, wegen Corona, noch schwierig. Ausserdem kann man sich auf Social-Media austauschen, aber ich schaue auch, dass sich die Leute untereinander vernetzen können. Ich hatte schon Anfragen von Leuten, die nicht allein rausgehen möchten. Hier möchte ich in Zukunft mehr Gewicht drauflegen und den Austausch untereinander sowie die Bildung von Gruppen ermöglichen.
Wie bist du persönlich auf das Pflanzenbestimmen gekommen?
Als Kind habe ich Frühblüher sehr spannend gefunden und dann bin ich irgendwie über Fleischfressende Pflanzen zum Biologiestudium gekommen. Die Vielfalt dort hat mich wirklich gepackt. Das war so toll, nach den ersten Kursen durch Wälder zu laufen und plötzlich die Vielfalt in dem zu entdecken, was für mich vorher nur Bäume gewesen waren. Allerdings ist gerade am Anfang die Pflanzenbestimmung extrem schwer – je mehr man weiss, desto einfacher wird sie. Wenn man es schafft, diese Rätsel zu lösen, dann wird man mit der unglaublichen Vielfalt der einheimischen Flora belohnt.
Es muss aber auch frustrierend sein, wenn man mit ansehen muss, wie die Biodiversität verschwindet.
Ja, es gab zum Beispiel einen Rebberg, auf dem jedes Jahr ganz viele Traubenhyazinthen blühten. Ich ging dort jedes Jahr hin – und jetzt ist er einfach weg. Der Bauer hat das ganze Gebiet umgepflügt und so ist vom einen auf das andere Jahr eine ganze Population zerstört worden. Einen anderen speziellen Fall hatte ich dieses Jahr, wo ich gerade noch rechtzeitig den kantonalen Naturschutz in ein Bauprojekt involvieren konnte. Es gab dort seltene Arten, die vernichtet worden wären. Aber ein grosser Teil der Population wurde dennoch zerstört.
Wie zielführend ist dieser Aktivismus in solchen Fällen?
Er ist sehr zielführend. Wenn neue Arten entdeckt werden und man dies meldet, kann über viele Stellen bewirkt werden, dass diese Orte geschützt werden oder zumindest Ersatzhabitate entstehen. Das ist auch das Ziel unseres Projektes: Nur, wenn man weiss, welche Arten wo wachsen, kann man sie auch schützen.
Ist die einheimische Flora, beziehungsweise die Biodiversität, in Gefahr ?
Ja, das zeigen auch die letzten wissenschaftlichen Erkenntnisse und die jünste rote Liste. Die Biodiversität nimmt stark ab, gewisse Lebensräume sind stärker betroffen als andere und auch die Abnahme der ganzen Pflanzenpopulation ist unumstritten.