Mein treuer Begleiter im Studium: die Depression – ein anonymer Erfahrungsbericht

Bild: Toa Heftiba | Unsplash

«40 seconds of action». Am World Mental Health Day ruft die WHO dazu auf, 40 Sekunden unserer Zeit zu investieren, um uns für die Suizidprävention einzusetzen. Wir vom Beast-Blog haben uns dazu entschlossen, einen anonymen Erfahrungsbericht über Depressionen im Studium zu veröffentlichen – um auf die Problematik hinzuweisen, aber auch um Lösungswege und Hilfsangebote aufzuzeigen.

Ich habe bereits mehrere depressive Phasen hinter mir. In diesen Zeiten komme ich morgens nicht mehr aus dem Bett, schaffe es nicht in die Vorlesung, bleibe abends lange wach, obwohl ich müde bin. Ich entferne mich von Menschen, die mir eigentlich sehr gut tun. Die Symptome einer Depression können genau wie die Ursachen vielfältig sein.

Bei mir hat es in der frühen Pubertät angefangen. Ich sass stundenlang auf der Bettkante und habe mir für alles die Schuld gegeben, was bei mir und in meinem Umfeld schiefgelaufen ist. Auf einmal war die Leichtigkeit der Kindheit weg, eine Schwere zog in mein Leben ein. «Fühlt es sich so an, erwachsen zu werden?»

Ich kannte diese emotionale Last nicht und wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Ich verletzte mich selbst, fing an zu rauchen, konsumierte übermässig viel Zucker, stürzte mich in kurzlebige Partnerschaften, alles nur, damit mein Körper etwas Dopamin ausschüttet. Langfristig war dies natürlich keine Lösung.

«Mir geht’s gut, macht euch keine Sorgen!»
Während der depressiven Phasen verlor ich mich in negativen Gedankenspiralen – aber auch körperlich legte mich die Depression komplett lahm. Ich war so platt, dass ich mich nur noch ins Bett verkriechen wollte. Gegen aussen zeigte ich meinen Gemütszustand nicht. Meinem Umfeld spielte ich vor, dass es mir gut geht.

Dazu kam das permanente schlechte Gewissen. Natürlich wusste ich, dass es mir gut getan hätte, in die Vorlesung zu gehen. Doch die Depression war oft stärker. Das ist das Paradoxe daran: Aktiv zu sein hilft, doch genau das ist in einer akuten Phase schwer.

Erste Hilfe: Musik
Musik hat mich immer abgeholt und aufgefangen. Diese unbeschreiblichen Gefühle der Lustlosigkeit und Schuld waren ja nicht nur auf mich beschränkt, auch viele andere kannten dies – und brachten das in ihren Songs zum Ausdruck.

Ich habe mich so sehr in Musik vertieft, dass mich das bis heute noch stets begleitet. Egal, wie es mir geht, die Musik ist für mich eine harmlose Art und Weise, Geborgenheit zu fühlen.

Doch gelöst ist dadurch noch lange nichts. Ich habe knapp vier bis fünf Semester meines Studiums depressiv «vor mich hinstudiert» und viel Zeit fehlinvestiert. Heute habe ich es zum Glück geschafft, mein Studium abzuschliessen. Rückblickend war das eine sehr anstrengende Reise. Neben der Musik haben mir dabei gewisse Coping-Strategien geholfen.

«Wenn es dir psychisch schlecht geht, versuche doch wenigstens, dass es dir körperlich gut geht.»
Ich habe mir die Frage gestellt, woran ich in meiner Situation etwas ändern kann – und da kam mir die Idee, dass ich darauf achte, dass es mir zumindest körperlich gut geht. Also arbeite ich eine kleine Checkliste ab, die ich immer im Kopf habe, denn selbst kleine Selbstverständlichkeiten können einem schwer fallen: «Hast du genug gegessen? Getrunken? Geduscht? Warst du ein bisschen an der frischen Luft? Hattest du einen angenehmen sozialen Kontakt? Hast du dich so angezogen, dass du dich wohl fühlst? Hast du dich ein wenig bewegt?».

Diese Liste hat mir bisher fast immer geholfen. Nur, wenn es mir nicht extrem schlecht ging, funktionierte selbst sie nicht mehr.

Vor ein paar Monaten war ich kurz davor, mir das Leben zu nehmen. Suizid wird von vielen als eine einfache Charakterschwäche abgetan. Doch so funktioniert das leider nicht. Suizid ist nicht nur ein Mental-State, er ist Symptom einer Erkrankung.

Warum erging es mir so? Ich konnte meine Gedanken nicht mehr hören. Geplagt von all den Schuldgefühlen wollte ich nur Ruhe. Aber sie kam nicht. Nicht einfach so. Ruhe ist ein Privileg, verdrängen kann nicht jeder Mensch einfach so.

In diesem Moment hat mich irgendetwas gerüttelt. Irgendetwas. Ich weiss es nicht. Ich hatte das Glück, das andere nicht haben. Ich rauchte eine Zigarette und lief im Regen nach Hause. Erschöpft habe ich eine Suizid-Hotline angerufen und mir Hilfe geholt.

Man täuscht sich oft selbst und denkt: «Ich habe doch Freunde und Familie, ich brauche keine professionelle Hilfe, was will mir so jemand schon sagen? Wie soll er mir helfen?»

Ein grosser Trugschluss. Seit ich mir Hilfe geholt habe, geht es bei mir so schnell aufwärts wie seit Jahren nicht. Professionelle Hilfe bedeutet nicht zwingend Medikamente. Ein Psychiater kann einem dazu ausführlich beraten.

Meiner Meinung nach ist auch eine Psychotherapie wichtig. Ob eine Verhaltenstherapie (um aus obsessiven Gedanken zu entfliehen) oder andere Therapieformen (zum Beispiel um Ursachen auf den Grund zu gehen) muss jeder für sich selbst herausfinden. Entscheidend ist, dass man sich rechtzeitig Hilfe holt – und nicht erst, wenn Beziehungen zu Bruch gehen oder man kurz vor der Exmatrikulation steht.

Antidepressivum Sport
Das beste Antidepressivum auf dem Markt kommt von keinem Pharmakonzern. Das beste Antidepressivum ist für mich Sport. Die Ruhe im Kopf, wenn man sich vollends auf sein Training konzentriert und die noch stärkere Ruhe nach dem Training, wenn der Cortison-Spiegel im Keller ist, hat mir am meisten geholfen. Nach wenigen Wochen des regelmässigen Trainings änderte sich spürbar etwas in meinem Kopf.

Mein Studium und Leben wurden stark geprägt von meiner Erkrankung. Ich schreibe diesen Text auch, da ich hoffe, dass wir als Gesellschaft einen Zustand des Respektierens und Akzeptierens erreichen. «Awareness» als auf Twitter geprägter politscher Kampfbegriff geht mir da nicht weit genug. Die Leute wissen, dass Depression existiert, und sie wissen auch, dass es Betroffene lähmt. Awareness kann helfen, um das Stigma zu lockern, doch Depression muss als zu behandelnde Krankheit angesehen werden. Nicht nur das Umfeld, auch Betroffene selbst müssen das einsehen.

Aber selbst mit einer Pathologisierung ist noch nicht alles gelöst. Für «Krankheiten» ist die Lösung für die heutige symptombekämpfende Medizin oft eine Pille, die «Gesundheit» verspricht. Man sollte vorsichtig sein, ich habe sechs Medikamente ausprobiert, bis mein Körper eines davon vertragen hat. Und selbst das kommt bei meiner Dosis noch lange nicht an die positive Wirkung von Kraftsport heran.

Mir geht es heute nach einer langen Reise besser. Vor ein paar Monaten hätte ich das nicht für möglich gehalten. Vor einigen Tagen habe ich das erste Mal in einer sehr langen Zeit die nackte Erleichterung gespürt. Ein für mich so fremdes Gefühl, dass ich lachen musste.


Falls du selbst psychische Schwierigkeiten oder Suizidgedanken hast, findest du hier die Anlaufstellen der Universität Basel für psychologische Hilfe und hier die Dargebotene Hand, bei der du dich telefonisch, per Mail oder Chat in Krisensituationen melden kannst.

1 Kommentar

  1. Anonym
    Do, 10. Oktober 2019 / 10:48 Uhr

    Danke für diesen Bericht! Es ist so wichtig, solche Erfahrungen teilen zu können.
    Gerne weise ich hier auch auf das Angebot des Studierendenvereins Mind-Map hin, der offen über Themen der psychischen Gesundheit an der Uni Basel spricht, Hemmschwellen zu den Anlaufstellen der Uni abbauen möchte sowie selber eine studentische Anlaufstelle bietet.
    Let’s talk about mental health @mindmap.students und alles gute für deine Zukunft!
    Zur Webseite: mindmapstudents.jimdofree.com

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