Impfpressions – was sich mit einer Corona-Impfung ändert

Schild "COVID-19-Impfzentrum" mit Pfeil, Menschen im Hintergrund
Unsere Autorin hatte beim Betreten des Zeltes ein mulmiges Gefühl, empfand den Impfstich aber als Befreiungsschlag (Kantonsspital Aarau, zvg).

Chris und Lisa sind beide jung und gegen COVID-19 geimpft. Wie es dazu kam, wie sich das anfühlt, Impfstoff im Körper zu haben, und wie sich der Alltag nach der Impfung verändert, erfährst du hier im Gespräch.

Lisa: Chris, du hattest kürzlich deinen zweiten Impftermin. Anscheinend sollen die Nebenwirkungen bei der zweiten Dosis der mRNA-Impfstoffe heftiger ausfallen. Wie war das bei dir?

Chris: Ich hatte mich gedanklich auf das Schlimmste vorbereitet. Eine Arbeitskollegin hatte von ihren Erfahrungen berichtet. Sie war zwei Tage komplett ausser Gefecht gesetzt. Um 4 Uhr nachts ging es bei ihr los, Fieber, Brechdurchfall, Delir, und das, nachdem sie sich tagsüber eigentlich gut gefühlt hatte. Kurz vor dem Einschlafen ging mir noch der Gedanke durch den Kopf:  «Hoffentlich wache ich nicht mitten in der Nacht mit Krankheitssymptomen auf.» Aber tatsächlich konnte ich durchschlafen, lediglich ein leichter Druckschmerz um die Einstichstelle am linken Arm hat mich noch an die Impfung erinnert. Hattest du denn Nebenwirkungen?

«Da ich in meiner Arbeit von Patienten*innen-Zimmer zu Patient*innen-Zimmer springe und das auch stationsübergreifend, war der Verantwortungsdruck plötzlich hoch.»

Lisa: Auch ich hatte bei der ersten Impfung keine Nebenwirkungen, ausser ein bisschen Muskelkater im Oberarm. Nächste Woche darf ich dann zum zweiten Mal unter die Nadel. Ich hoffe, das geht bei mir auch so glimpflich, wie du es hier schilderst. Sag mal, weshalb konntest du dich eigentlich so früh schon impfen lassen, seid ihr in Deutschland einfach schneller?

Chris: Ich weiss nur, dass ich zu diesem Zeitpunkt einen leichteren Zugang zum Impfangebot in Deutschland hatte. Ob Deutschland grundsätzlich schneller war, kann ich so genau gar nicht sagen. Bereits im Februar hatten Personen zwischen 18 und 64 Jahren, die in medizinischen Einrichtungen mit einem erhöhten Expositionsrisiko in Bezug auf das Coronavirus SARS-CoV-2 tätig sind, in Deutschland das Recht, sich online für einen freien Impftermin einzutragen. 

Lisa: Und das hast du dann direkt gemacht?

Chris: Ich habe mich erst später beworben, am 12 März um genau zu sein, nachdem ich eine israelische Studie mit vorläufigen Daten zur Ansteckungsgefahr durch Geimpfte gelesen hatte. Die Prognose sah damals sehr gut aus, eine möglicherweise deutlich verringerte Gefahr der Virusweitergabe durch Geimpfte nach einer Comirnaty-Impfung. Da ich in meiner Arbeit von Patienten*innen-Zimmer zu Patient*innen-Zimmer springe und das auch stationsübergreifend, war der Verantwortungsdruck plötzlich hoch. Ich hatte dann auch Glück: Beim ersten Einloggen hatte ich den Termin. In drei Wochen sollte ich das erste Mal mit dem Vektor-Impfstoff von AstraZeneca geimpft werden.

«Als junge Person hatte ich irgendwie das überhebliche Gefühl, dass mir dieses Virus nichts anhaben kann.»

Lisa: Und dann kam das AstraZeneca Chaos?

Chris: Ja, und nein. Global gesehen auf jeden Fall, AstraZeneca und mögliche Zusammenhänge mit Fällen von Hirnvenenthrombose mit der Impfung waren medial omnipräsent. Andere Länder hatten bereits den Impfstopp eingeleitet. Da hiess es dann plötzlich zwei Tage vor meiner Impfung, dass nun auch in Deutschland keine unter 60-Jährigen mehr mit dem AstraZeneca Impfstoff geimpft würden. Für mich persönlich war es dann aber überhaupt nicht chaotisch, ich habe vor Ort Comiraty als Ersatzimpfstoff geimpft bekommen, ohne dass ich mich um etwas hätte kümmern müssen. Der Termin blieb gleich.

Blick auf das Impfzelt des Kantonsspital Aarau

Mit Corona verloren Zelte ein Stück ihrer Unbeschwertheit – neben dem Outdoorspass sind sie jetzt auch Teil der Pandemiebekämpfung (Kantonsspital Aarau, zvg).

Und du, wie kam der Impf-Stein bei dir ins Rollen?

Lisa: Ich habe mich Ende März für einen Impftermin im Kanton Aargau angemeldet und dann erstmal gewartet. Am 17. April kam dann die Nachricht mit den beiden Impfterminen.

Chris: Und was hat dich damals zur Anmeldung bewegt?

Lisa: Für mich war eigentlich sofort klar, dass ich mich impfen lassen will. Ich habe Typ 1 Diabetes und gehöre damit zur Risikogruppe. Erstaunlicherweise habe ich mir zu Beginn der Pandemie noch wenig Sorgen um meine körperliche Unversehrtheit gemacht. Als junge Person hatte ich irgendwie das überhebliche Gefühl, dass mir dieses Virus nichts anhaben kann. Im Verlauf des vergangenen Jahres wurden dann aber immer mehr Studien veröffentlicht, die aufgezeigt haben, dass Menschen mit Diabetes oft schwerere Krankheitsverläufe haben. Das hat mich verunsichert. Ich hatte ständig das Gefühl, wegen meiner chronischen Krankheit extra vorsichtig sein zu müssen. Diese latente Sorge, die irgendwie immer abstrakt geblieben ist, war mit der Zeit echt belastend. Du kannst dir also vorstellen, wie ich dieser Impfung entgegengefiebert habe. Bei dir war die Entscheidung aber eher eine pragmatische …

«Im zentral aufgestellten Fernseher lief ein Werbespot der Polizei zum Thema Enkeltrick-Betrug – ein Hinweis auf den vorherrschenden Altersschnitt.»

Chris: Das stimmt, ich habe den Impfprozess relativ nüchtern betrachtet. Ich hatte vor der Impfung keine richtige Angst vor einer möglichen Infektion gespürt und nach der Impfung auch keine Angst vor möglichen Impffolgen. Wie hätte ich auch noch ängstlich sein sollen, nachdem ich die ganze Pandemie in Spitälern verbracht habe? Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft an einer Zimmertür  «Isolation» stand. Der Impftermin war für mich mehr eine Notwendigkeit und ein zusätzlicher Zeitfaktor in einem vollen Terminkalender.

Lisa: Hm, interessant. Für mich war der ganze Impfprozess irgendwie sehr emotional. Ich war am Tag der Impfung nervös und hibbelig. So wie man sich früher als Kind auf den eigenen Geburtstag gefreut hat, damals, als älter werden noch aufregend war. So habe ich mich vor der Impfung gefühlt. Als ich den Impfstoff schon intus hatte und das Zentrum verliess, hätte ich die ganze Welt umarmen können. Das mag pathetisch klingen, aber ich habe mich tatsächlich sehr erleichtert gefühlt. Und während der Zugfahrt nach Hause hat auch meine Aerosolphobie schon beträchtlich nachgelassen.

Chris: Gut, wenn ich so drüber nachdenke, auf der Arbeit habe ich dann schon bemerkt, dass ich mich beim Betreten eines Patient*innen-Zimmers ein kleines bisschen freier fühle. Apropos betreten, wie hast du das Betreten des Impfzeltes eigentlich erlebt?

Lisa: Da triffst du einen Nerv. Es hat mich tatsächlich sehr irritiert, als ich auf dem Areal des Kantonsspitals Aarau feststellen musste, dass das Impfzentrum kein eindrückliches, in der Landschaft emporragendes Gebäude ist, sondern ein aus weissen PVC-Planen bestehendes Zelt. Ich hatte mir das irgendwie, wie soll ich sagen, etwas beständiger vorgestellt. Aber vielleicht müssen wir uns auch einfach damit abfinden, dass Zelte nun Test- und Impfzentren sind, und dass die Zeiten vorbei sind, in denen die einfach nur das Airbnb für Outdoorbegeisterte waren.

Wurdest du auch in einem Zelt geimpft?

Chris: Teils, teils. Empfangen wurde ich in einem Zelt des Technischen Hilfswerkes, ich war früh dran und so bildete sich erst nach mir eine Schlange vor dem Zelt. Auf drei Stuhlpaaren sass ich den anderen Impfanwärtern gegenüber und wartete. Ein grosses Gebläse bliess kalte Morgenluft durch das Zelt und ich sah, dass die Dame mir gegenüber am ganzen Körper zitterte vor Kälte. Zum Glück wurden wir recht schnell reingerufen in die Sporthalle, an die das Zelt bündig angeschlossen war. Der Rest fühlte sich an wie ein Staffellauf, mit meinem Berechtigungsschreiben und meinem Impfausweis in der Hand wurde ich von Station zu Station geschickt. Erst Check-in,  dann Fiebermessen und Fragen beantworten, kurzes Anamnesegespräch, weiter zum Arzt zur Beantwortung etwaiger Fragen und direkt weiter zu Impfung. Zum Schluss durfte ich mich noch 15 Minuten in einem Wartezimmer zur Nachbetreuung hinsetzen, im zentral aufgestellten Fernseher lief ein Werbespot der Polizei zum Thema Enkeltrick-Betrug – ein Hinweis auf den vorherrschenden Altersschnitt.

«Seit der Impfung gehe ich etwas sorgloser durch meine Tage.»

Hast du dich auch etwas deplatziert gefühlt?

Lisa: Natürlich habe auch ich die demographische Struktur im Wartezimmer etwas aufgemischt, tatsächlich gab es aber auch noch andere jüngere Menschen, die sich mit mir zur Impfung in die Schlange stellten. Bei mir verlief der ganze Impfprozess ähnlich wie bei dir, und alles ging sehr schnell. Mein Termin war erst um 20 Uhr und als ich beim Impfzentrum ankam, war die Sonne schon untergegangen. Rosarote Zuckerwattewolken zierten den Himmel. Ich desinfizierte mir die Hände und betrat das Impfzelt. Dort wurde ich zunächst von einem Arzt im weissen Kittel über Allergien und Vorerkrankungen befragt. Nachdem er mir einen Sticker in meinen Impfausweis geklebt hatte, hätte ich im Wartezimmer Platz nehmen müssen. Bevor ich mich setzen konnte, wurde ich schon aufgerufen und in ein kleines Impfkabäuschen geführt. Dort wurde mir dann die Impfung gespritzt, danach musste ich 15 Minuten warten und der Spuk war vorbei!

Hat sich dein Alltag danach verändert?

Chris: Viel hat sich nicht verändert, mein Arbeitspensum ist gleich geblieben, Kontakteinschränkungen und Einschränkungen im öffentlichen Leben betreffen mich weiterhin, mein inneres Gefühl hat sich auch nicht merklich verändert. Ich bin dankbar für das Privileg, schöpfe Hoffnung für eine gesellschaftliche Rückkehr zur Normalität, aber solange diese noch nicht eingekehrt ist, stellt sich auch in meiner empfundenen Lebensqualität und meinem inneren Gefühlserleben noch keine wirkliche Veränderung ein.

Lisa: Das überrascht mich, denn für mich hat die Impfung gefühlt sehr viel verändert. Natürlich trage ich nach wie vor eine Maske, halte Abstand und werde in den nächsten Wochen nicht in Konzerthallen feiern gehen. Solange das Virus weiterhin weltweit grassiert, bleibt uns das Aufatmen verwehrt. Die Tatsache jedoch, auch wenn sie sich als falsch herausstellen sollte, dass mein Risiko an Covid-19 zu erkranken sich durch die Impfung um 95 Prozent verringert hat, verschont mich täglich von Gedankenkreisen und dem ständigen Abwägen potentieller Risiken. Seit der Impfung gehe ich etwas sorgloser durch meine Tage.

Chris: Schau mal, was ich noch gefunden habe, bezüglich deiner Frage vorhin: wer impft schneller?

Kurve der bereits geimpften Personen in Deutschland und der Schweiz, in Prozent.

Endlich mal wieder eine Kurve, bei der man sich über den steigenden Wert freuen kann: Anzahl Menschen, die mindestens einmal gegen Corona geimpft wurden, Zahlen aus der Schweiz und Deutschland (https://ourworldindata.org/covid-vaccinations).

Das sieht doch auf den ersten Blick gar nicht so schlecht aus. Ich habe das Gefühl, da spielt das Wettrennen auch gar keine Rolle mehr, es geht bergauf und das konstant. Wer hätte gedacht, dass man sich mal über eine steigende Kurve freut?

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