Horizon Europe: «Wissenschaft macht keinen Halt vor Staatsgrenzen»

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Was bedeutet es, wenn die Schweiz nicht Teil von Horizon Europe ist? (Bild: zvg)

Als im vergangenen Juli das Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU scheiterte, wurden die Schweizer Universitäten aus dem Europäischen Forschungs- und Innovationsrahmenprogramm Horizon Europe ausgeschlossen. Was diese Nichtassoziierung für die Schweizer Forschungslandschaft aber auch die Universität Basel und ihre Student*innen konkret bedeutet, hat Gastautorin Alina Gander Prof. Dr. Torsten Schwede und Anita Soltermann gefragt.

Seit 2018 ist Torsten Schwede im Amt des Vizerektors Forschung an der Universität Basel tätig. Anita Soltermann ist die Leiterin des Grants Office der Universität Basel, welches Forscher*innen, die an der Beantragung von EU-Fördermitteln interessiert sind, unterstützt.

Welche Nachteile ergeben sich für Schweizer Forscher*innen durch die Nichtassoziierung der Schweiz?
Torsten Schwede: Für die jungen Forscher*innen sind die ERCs [European Research Council Grants] ein sehr wichtiges Instrument, weil das Qualitätslabel «ERC» ein wertvoller Erfolgsfaktor für die Karriere von Nachwuchsforschenden ist. Unter dem früheren Status der Vollassoziierung konnten Schweizer Forscher*innen direkt am Horizon Programm im europäischen Wettbewerb teilnehmen. Die Schweiz war diesbezüglich sehr erfolgreich mit Forschungsprojekten betreffend Life-Sciences, aber auch in der Physik und anderen Bereichen. Diese ERCs sind nun weggefallen und eine Teilnahme ist nicht mehr möglich.

Gibt es vergleichbare Alternativprogramme für die Schweiz?

Schwede: Nein. Das Horizon Europe Programm ist effektiv einzigartig. Es gibt zum Glück «Übergangsmassnahmen» des Schweizerischen Nationalfonds SNF, die die finanziellen Aspekte teilweise ausgleichen. Was diese Programme aber nicht ersetzen können, ist die Teilnahme am europäischen Wettbewerb. Und im Lebenslauf hat ein Ersatzprogramm ehrlicherweise auch nicht einen gleichgrossen Stellenwert, wie ein erfolgreicher ERC Grant.

Es herrscht unter den Kollegen in der Schweiz und in Europa oft auch eine gewisse Unsicherheit, wie genau die verschiedenen Ersatzprogramme funktionieren und in welchen Teilen von Horizon Europe Forscher*innen aus der Schweiz antragsberechtigt sind. Das führt zu viel Verwirrung, Kommunikations- und bürokratischem Zusatzaufwand.

Anita Soltermann: Solche Missverständnisse können im schlimmsten Fall dazu führen, dass Schweizer Partner*innen nicht mehr eingeladen werden oder ihre Projekte abgelehnt werden. Gute Kommunikation ist hier also essentiell! Die Schweiz kann sich auch als nicht-assoziierter Drittstaat als Partner in Verbundprojekten beteiligen.

Gesprächssituation Torsten Schwede und Alina Gander

Vizerektor Torsten Schwede im Gespräch mit Gastautorin Alina Gander (Bild: Universität Basel).

Sind Tendenzen erkennbar, die zeigen, dass Schweizer Forscher*innen die Schweiz verlassen und ihre Projekte nun eher in vollassoziierten Staaten im Ausland realisieren?
Soltermann: Das Problem ist weniger, dass Leute die schon hier sind weggehen, sondern dass es schwierig wird, den Standort Schweiz für Berufungen aus ganz Europa attraktiv auszugestalten, wenn sich Schweizer Institutionen nicht vollumfassend beteiligen können.

Schwede: Neben dem ERC Programm ist für etablierte Forscher*innen das Leiten und Koordinieren europäischer Netzwerkprojekte interessant, weil man so die Richtung der Forschungsrichtung im eigenen Gebiet mitgestalten kann. Dies ist nun aber für Forscher*innen in der Schweiz nicht mehr möglich, und damit werden Schweizer Hochschulen für erfolgreiche internationale Forscher*innen weniger attraktiv.

Als Konsequenz können Schweizer Forscher*innen auch nicht mehr direkt auf Fördergelder des Horizon Europe Programms zugreifen, sondern erhalten diese über den Schweizerischen Nationalfond (SNF) bzw. das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI). Hat dies negative Folgen?

Schwede: Die finanziellen Unterschiede werden oft zu Unrecht in den Vordergrund gestellt. Solange die «Übergangsmassnahmen» des Schweizerischen Nationalfonds die Finanzierungslücken ausgleichen, ändert sich finanziell für die Schweizer Forscher*innen nicht sehr viel, es ist in erster Linie ein anderer administrativer Mechanismus. Viel wichtiger ist es für uns, Teil von wissenschaftlichen Netzwerken sein zu können, damit wir uns konstruktiv einbringen, effizient mit unseren Kollegen kollaborieren, und Karrieren von Nachwuchsforschenden fördern können. Was wir befürchten ist ein schrittweiser Rauswurf aus wichtigen Netzwerken, weil es unseren europäischen Partner*innen zu mühsam wird, sich mit dem Sonderstatus der Schweiz auseinanderzusetzen.

Führte der Wegfall des Horizon Europe Programms zu einem verstärkten innerkantonalen Wettbewerb?
Schwede: Der Wettbewerb zwischen den Forschenden besteht grundsätzlich immer und gehört zur Wissenschaft dazu. Es ist aber wichtig, dass die «Übergangsmassnahmen» in vergleichbarer Grössenordnung wie Horizon Europe ausfallen, sonst laufen wir Gefahr, dass die Förderquoten des SNF in der Projektförderung weiter unter Druck kommen, und das wäre für den Forschungsstandort Schweiz keine gute Entwicklung.

Horizon Europe befasst sich mit globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel, Digitalisierung oder Gesundheit. Ist es nicht fatal für den Einfluss und das Renommee der Schweiz, an diesen wichtigen Fragen nicht vollumfänglich teilnehmen zu können?
Schwede: Wir sehen diese Problematik beidseitig. Für die Schweiz ist es ein Verlust, da wir nicht an Technologieentwicklungen teilhaben können und so auch bei wichtigen gesellschaftlichen Fragen wie dem Klimawandel oder der Digitalisierung nicht vollumfänglich mitentwickeln und voneinander lernen können.

Für Europa ist es aber auch ein Verlust, weil die Schweiz als Hightech-Nation in vielen Bereichen massgeblich beitragen könnte. Basel zum Beispiel bildet den nationalen Forschungsschwerpunkt (NCCR) für Quantencomputing in der Schweiz, kann aber nicht an europäischen Projekten in der Quantenforschung mitwirken. Was Klimafragen betrifft, hat die Schweiz zum Beispiel im Bereich Engineering oder Modellierung viel zu bieten. Und in den Life Sciences gibt es kaum eine innovativere Region in Europa als die Nordwestschweiz, aber bei der Innovationsförderung in Horizon Europe sind wir auch nicht dabei.

Am Ende verlieren wir alle, die Schweiz verliert, Europa verliert, die Welt verliert.

Torsten Schwede

«Es ist aber auch für Europa ein Verlust, weil die Schweiz als Hightech-Nation in vielen Bereichen massgeblich beitragen könnte.» (Bild: Universität Basel).

Wie sind Student*innen von der Nichtassoziierung konkret betroffen?
Soltermann: Student*innen können an diesen Forschungsprojekten noch nicht teilnehmen. Für Postdoktorierende wären die Marie Curie Fellowships wichtig, welche die internationale und sektorübergreifende Karriere von Wissenschaftler*innen fördern, die auch weggefallen sind. Der SNF hat jedoch auch dafür Ersatzmassnahmen getroffen.

Schwede: Durch den Wegfall des Erasmus-Programms ist die Studierendenmobilität in der Schweiz im Europäischen Vergleich stark zurückgefallen, obwohl sie so wichtig ist. Es herrscht hier definitiv ein Nachholbedarf, da diese mangelnde Studierendenmobilität durchaus einen Karrierenachteil für Schweizer Student*innen bedeutet.

Was genau trägt die Universität dazu bei, um die Situation zu verbessern?

Schwede: Die Universität Basel ist stark engagiert, um die Herausforderungen der aktuellen Situation auf allen politischen Ebenen deutlich zu machen. Zum Beispiel waren wir zusammen mit Vertreter*innen der Handelskammer beider Basel und Novartis in Bern und haben versucht, Mitgliedern des National- und Ständerats die Problematik zu erläutern und die Dringlichkeit deutlich zu machen. Die beiden Trägerkantone der Universität, Basel-Stadt und Basellandschaft, haben gleichlautende Standesinitiativen eingereicht, um den politischen Prozess voranzutreiben. Es werden Kontakte zu Parlamentsvertreter*innen geknüpft, Presseinterviews gegeben, Kollegen in der EU um Unterstützung angefragt, …

Soltermann: Der Bundesrat ist sich einig darüber, dass der Status der Vollassoziierung angestrebt werden muss. Wir müssen also auch die EU vermehrt adressieren. Mit Initiativen wie Stick-to-Science können wir zeigen, dass wir diese Vollassoziierung wiederhaben möchten und vor allem aber auch, dass Wissenschaft keinen Halt vor Staatsgrenzen machen darf. Stick-to-science.eu ist eine gesamteuropäische Initiative, mit der sich alle Forscher*innen und jede Universität, aber auch Privatpersonen einbringen können. Es geht darum, bei Politiker*innen und Verantwortlichen zum Ausdruck zu bringen, wie wichtig diese Vollassoziierung effektiv für uns alle ist. Auf diversen Wegen wie über Social Media, aber auch in Diskussionen oder durch Briefe nach Bern, kann die Wissenschaftscommunity deutlich machen, dass die aktuelle Lage nicht haltbar ist.

Bis wann kann mit der Assoziierung gerechnet werden?

Soltermann: Laut dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation nicht mehr dieses Jahr. Aber wir hoffen, dass wir 2023 für das laufende Horizon Europe vollassoziiert werden. Wie realistisch das ist, lässt sich nur schwer sagen. Die Schweiz ist während des Vorgängerprogramms einmal herausgefallen, als 2014 die Masseneinwanderungsinitiative angenommen wurde. Damals konnte der Wiedereinstieg durch die Unterzeichnung des Kroatienprotokolls sehr schnell realisiert werden.

Schwede: Damals lag es genau an einer Frage. Diesmal ist es komplexer, die Aufnahme in Horizon Europe lässt sich nicht an einem Punkt festmachen. Unsere momentane Strategie ist also zweigleisig: Einerseits bleiben wir beharrlich gegenüber der Regierung, den Politiker*innen und der EU und betonen immer wieder, dass man die Vollassoziierung sobald wie möglich — am besten noch im laufenden Programm und hoffentlich zusammen mit Erasmus — erreichen sollte.

Parallel dazu müssen sinnvolle Ausgleichsmassnahmen angeboten werden. Der SNF setzt dabei neben den «Übergangsmassnahmen» für Horizon Europe verstärkt auch auf bilaterale Zusammenarbeit mit anderen Staaten, zum Beispiel Initiativen zur Kollaboration mit aussereuropäischen Partnern wie Japan, Neuseeland oder den USA. Diese neuen internationalen Zusammenarbeiten sind natürlich sehr wertvoll und können den ERC und die Zusammenarbeit in Europäischen Netzwerken ergänzen, aber keinesfalls ersetzen.

Soltermann: Gleichzeitig ist geplant, eine Ersatzlösung für die Hochtechnologien wie Quantenforschung und Digitalisierung zu realisieren. Aber eben, das sind Themen, für die der Austausch essentiell ist und die die Schweiz alleine für sich nicht lösen kann.


Was ist Horizon Europe?
Bei Horizon Europe handelt es sich um das Rahmenprogramm der Europäischen Union für Forschung und Innovation, welches von 2021–2027 durchgeführt wird. Mit einem Budget von 95,5 Milliarden Euro ist es das weltweit grösste Forschungs- und Innovationsförderprogramm und soll zusammen mit weiteren Programmen der EU nachhaltige und digitale Entwicklungen vorantreiben. Die Schweiz beteiligte sich bereits von 2014-2020 am Vorgängerprogramm Horizon 2020 und hatte ab 2017 den Status eines vollassoziierten Staats inne. Diesen gilt es auch für Horizon Europe wieder zu erreichen, da der momentane Zustand von allen Seiten als unbefriedigend empfunden wird.

Ein aktuelles Beispiel, was aus ERC-Projekten entstehen kann, findet sich z.B. auf der Website der Universität Basel. Es gelang einem Forschungsteam, Oberflächen von Zellen zu markieren und verändern, ohne dass die Zelle ihre Eigenschaft verändert. Mithilfe eines Investors soll dieser Ansatz für den klinischen Einsatz weiterentwickelt werden, damit Patienten in Zukunft von dieser Art Zelltherapie profitieren könnten. Das zeigt auf, wie eine «high-risk/high-gain-Idee», die typischerweise nur der ERC finanzieren würde, auch grosse Auswirkungen auf die Gesellschaft haben kann.

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