Wer sich in den letzten drei Semestern für ein Auslandssemester entschieden hat, ist eine besondere Reise angetreten. Die Pandemie hat das Studieren im Ausland, wie wir es bisher kannten, auf den Kopf gestellt. Dennoch scheint das Interesse an Austauschprogrammen seit Ausbruch der Pandemie kaum nachgelassen zu haben. Welche Formen des Austausches sind aktuell noch möglich und weshalb entschliessen sich Studierende trotz der widrigen Umstände für ein Semester an einer Universität im Ausland?
Als sich im vergangenen März das Coronavirus in Europa ausbreitete, war ich gerade dabei, mich in München einzurichten. Dort wollte ich mein Erasmus-Semester verbringen. Doch dieses wurde von der Pandemie erst unterbrochen und dann komplett durcheinander gewirbelt.
Ich habe mir nachträglich oft die Frage gestellt, ob ich trotzdem abgereist wäre, wenn ich gewusst hätte, was auf mich zukommen würde. Ich kenne die Antwort bis heute nicht. In einer Umfrage hat die Europäischen Kommission Ende April Erasmus-Studierende über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf ihren Auslandaufenthalt befragt. 55 Prozent der Befragten gaben an, dass sie es bevorzugt hätten, ihre Mobilität zu verschieben, bis sich die Situation wieder normalisiert.
Damals glaubten wir ja irgendwie auch noch, Covid-19 sei ein schlechter Scherz, den man übermorgen getrost wieder vergessen würde. Dass sich die Situation aber leider eben nicht so schnell normalisieren wird, ist uns mittlerweile allen klar. Ich habe mich also gefragt, wie das aktuell so läuft, mit dem Studieren im Ausland, was noch möglich ist und weshalb einige Studierende trotz der schwierigen Umstände dennoch ein Auslandsemester antreten.
Im Gespräch mit Andrea Delpho, Co-Leiterin Student Exchange, erfahre ich, dass keines der Austauschprogramme der Universität Basel sistiert wurde und dass auch das Interesse an Auslandaufenthalten seit Ausbruch der Corona-Pandemie kaum nachgelassen habe. Dieser Umstand mag auch damit zusammenhängen, dass man sich teils über ein Jahr im Voraus für ein Auslandssemester anmelden muss. Wer also aktuell im Ausland studiert, hat sich womöglich bereits vor Ausbruch der Pandemie dafür entschieden.
Nicht alle jedoch, die sich für einen Auslandaufenthalt anmelden, können auch tatsächlich verreisen. «Aktuell können wir nicht garantieren, dass physische Mobilitäten stattfinden. Wir führen jedoch den Anmeldeprozess ganz regulär durch. Zum Teil müssen Studierende ihre Mobilität auch verschieben. Da sind sowohl wir als auch die meisten Partneruniversitäten, wo immer es geht, sehr flexibel.»
Wer wegen der Reisebeschränkungen nicht ins Zielland einreisen kann, muss jedoch nicht zwingend sein Auslandssemester absagen. Andrea Delpho erklärt mir, dass durch die Umstellung auf die Online-Lehre ganz neue, hybride Formen des Austausches entstanden sind. «Viele Austauschstudierende nehmen das Online-Angebot der Gastuniversität war, egal wo sie sich gerade aufhalten, und besuchen gleichzeitig auch Veranstaltungen an der Universität Basel. Was früher eher die Ausnahme war, kommt im Moment häufig vor. Da könnte sich ein neuer Trend für die Zukunft abzeichnen.»
Das Online-Auslandssemester werde die physische Mobilität aber in Zukunft nicht ablösen, da ist sich Andrea Delpho sicher. Aber diese neuen hybriden Formen des Austausches bergen viel Potential. All jene, die sich unter ‘normalen’ Umständen aus finanziellen oder familiären Gründen ein Austauschsemester nicht leisten konnten, hätten bei der Verstetigung dieses Trends dann die Möglichkeit, wenigstens ein digitales oder hybrides Semester im Ausland zu studieren.
Nicht alle jedoch bestreiten ihren Auslandaufenthalt online von Zuhause aus. Es gibt auch viele, die sich trotz der schwierigen Umstände dazu entscheiden, ein Semester physisch im Ausland zu bestreiten. Ich habe mit drei Erasmus-Studentinnen Kontakt aufgenommen, um sie nach ihren Beweggründen und Befindlichkeiten zu befragen.
Sophie Dieffenbacher studiert im Master Psychologie mit Schwerpunkt «Klinische Psychologie und Neurowissenschaften» an der Universität Basel. Momentan wohnt sie in Amsterdam, von wo aus sie bequem ihren Online-Kursen an der Universiteit Utrecht folgen kann.
«Im Bachelor war ich bereits in Berlin und konnte das volle Erasmus-Leben geniessen. Ich habe mich von Anfang an darauf eingestellt, dass dieses Auslandsemester ganz anders sein wird. Für mich ist es aufregend, Dinge wie Kochen, Spazieren oder Ausflüge in den Supermarkt nun wenigstens in einer anderen Stadt zu machen. Es gibt in der Umgebung einiges zu entdecken und deshalb geniesse ich den Ortswechsel sehr.»
Für Leonie Lüscher bedeutete der Ortswechsel auch ein Sprachwechsel. Sie studiert an der Universität Basel im Master European Global Studies und wollte eigentlich bereits im Herbst für ein Erasmussemester nach Italien, musste dies jedoch wegen der Pandemie auf das Frühjahr verschrieben. Im Februar ist sie schliesslich nach Ravenna gereist, um ihr Auslandssemester anzutreten. Ihr Beweggrund für die Abreise war vor allem die Verbesserung der Sprachkenntnisse.
«Ich habe bereits ein Jahr vor meinem Austausch an der Universität Bologna mit dem Italienischlernen begonnen und wollte meine Kenntnisse weiter vertiefen. Da man eine Sprache natürlich am schnellsten vor Ort lernt, war für mich eigentlich immer klar, dass ich gehen möchte, sofern es möglich ist. Ich hatte Glück: Meine beiden Mitbewohner sprechen nur Italienisch!»
Für Hannah Beck stellte das Erasmus-Semester im Ausland eine Chance dar, ein Lichtblick in diesen elend lang erscheinenden und öden Monaten der Pandemiemüdigkeit. Hannah studiert im Bachelor Philosophie und Geschichte an der Universität Potsdam und bestreitet ihr Erasmus-Semester in Basel. Das Spazieren sei wieder spannender, an diesem ihr fremden Ort, und auch die vielfältigen Angebote für Erasmus-Studierende geniesst sie sehr.
«Nicht mehr nur das eigene Zimmer, die gleiche Person und die gleiche Stadt zu sehen kann schon viel bewirken, auch wenn es im Vergleich zu Erasmus-Semestern vor Corona vielleicht sehr bescheiden erscheint», schreibt sie mir auf Whatsapp. Zudem seien die Einschränkungen für sie, anders als vielleicht noch vor einem Jahr, absehbar gewesen und dadurch habe sie sich auf die Situation vorbereiten können. «Ich wusste ja, bevor ich in die Schweiz gekommen bin, dass es nicht ‘normal’ wird. Der Vergleich zur Normalität fällt natürlich schrecklich schwer, aber das trifft ja nicht nur auf Erasmus-Studierende zu. Auch wenn es kein ‘normales’ Semester ist, erlebe ich hier viel Neues und Schönes, was gerade in Potsdam nicht möglich wäre.»
Sie sei sehr froh, dass sie diesen Schritt gewagt habe und würde dies auch jederzeit weiterempfehlen: «Ich könnte jeder Person gerade empfehlen ein Erasmus-Semester zu machen, weil es momentan weniger um das Perfekte geht, sondern eher darum, Routinen zu brechen, um Abwechslung und neue Erfahrungen – auch wenn diese vielleicht anders sind und in einem anderen Rahmen stattfinden, als man sich es vorgestellt hat.»
Ein ziemlich gutes Schlusswort, wie mir scheint.