Als Geisteswissenschaftlerin in ein Prüfungs- und Beratungsunternehmen

Ana-Marija Plišo schloss 2018 an der Universität Basel ihren Master in Soziologie und Englische Sprachwissenschaft ab. Nun arbeitet sie als Offertenkoordinatorin bei dem führenden Prüfungs- und Beratungsunternehmen in der Schweiz. In ihrem Gastbeitrag gibt sie euch Tipps, wie als Geisteswissenschaftlerin der Einstieg in die Privatwirtschaft gelingen kann:

An unserer Diplomfeier hat die Studiendekanin eine Rede gehalten über die Wichtigkeit der Geisteswissenschaftler für die Gesellschaft. Es war eine sehr gute Rede, jedoch verliess ich den Saal mit einem unangenehmen Gefühl, weil man einmal mehr den Stellenwert unseres Studiums rechtfertigen musste. Dies machte mir Angst! Ich fragte mich, ob ich das der Welt da draussen immer wieder werde erklären müssen.

Nach meinem Studium wusste ich zwar nicht genau, was ich machen möchte, aber ich wusste, dass ich nicht sofort das Lehramt machen, sondern zuerst in der freien Marktwirtschaft meine Kompetenzen zum Einsatz bringen wollte. Ich habe schliesslich fünf Jahre lang studiert (ok, es waren dann schlussendlich doch noch acht) und wollte daher zuerst herausfinden, was ich mit meinem Abschluss überhaupt machen kann.

Bei manchen Berufen, beispielsweise Ärztin oder Anwältin, ist ein spezifisches Studium für die Berufsausübung erforderlich. Bei anderen Berufen steht nicht die Ausbildung selbst, sondern eher die vorzuweisenden Fähigkeiten im Vordergrund. Mit der richtigen Arbeitserfahrung und geschicktem Networking kann man vieles erreichen, vor allem dann, wenn der Studiengang nicht der wichtigste Erfolgsfaktor ist.

Viele Jobausschreibungen die ich interessant fand, gaben ein «abgeschlossenes Wirtschaftsstudium oder Ähnliches» als Bedingung an. Dieses «oder Ähnliches» fand ich frustrierend. Ähnelt ein Soziologie-Abschluss einem BWL- oder VWL-Abschluss?

Dies wollte ich herausfinden – und habe heute eine Festanstellung bei einem der Big4-Unternehmen in Zürich.

In diesem Artikel möchte ich euch ein paar Tipps geben, wie es mir gelungen ist, von einem Praktikum über ein Traineeship meine erste Festanstellung in der Privatwirtschaft bekommen zu haben.

1)    Praktika: Erfahrungen während des Studiums sammeln, nicht erst danach
Die Chancen einen Job zu finden, der gut bezahlt ist und dazu noch die Möglichkeit bietet Erfahrungen zu sammeln, in Bereichen, in denen man später arbeiten will, sind äusserst gering. Die meisten Studierendenjobs bieten entweder das eine oder das andere und zwei Jobs während eines Vollzeitstudiums zu haben, ist extrem anspruchsvoll. Ich habe zu Beginn des Studiums lange in der Gastrobranche gejobbt, um Geld zu verdienen. Für meinen Lebenslauf jedoch war das mit Sicherheit nicht das vorteilhafteste.

Praktika während des Wirtschaftsstudiums sind im Vergleich zu denen in den Geisteswissenschaften weit verbreitet. Hier fangen viele Studierende erst nach dem Studium an, Erfahrungen in den relevanten Tätigkeitsbereichen zu sammeln. Ich empfehle daher unbedingt frühzeitig (am besten bereits während des Studiums) ein Praktikum zu absolvieren.

2)    Fähigkeiten entwickeln und pflegen, mit denen man punkten kann
Fähigkeiten, die Sprach- und Sozialwissenschaftler während des Studiums erwerben, sind vielfältig. Dazu zählen unter anderem das Präsentieren, das Diskutieren, und das Analysieren.

Oft sind wir uns nicht bewusst, dass Studierende anderer Fachrichtungen diese Fähigkeiten während des Studiums nicht im gleichen Ausmass erwerben. Deswegen sollte man diese unbedingt im Lebenslauf aufführen. Sie sind schliesslich nicht selbstverständlich.

Viele Jobs, für die ich mich beworben hatte, erforderten ein abgeschlossenes Studium in BWL, VWL oder Kommunikation. Dank der gesammelten Erfahrung und den Fähigkeiten konnte ich bei den Vorstellungsgesprächen allerdings meistens punkten. Anstatt sich für das fehlende Wissen zu rechtfertigen, schneidet man besser ab, wenn man sich auf seine Stärken konzentriert, im Lebenslauf wie auch während des Vorstellungsgespräches. Man ist oft als Quereinsteiger eine Ergänzung für das Team, ein Exot sozusagen mit einer anderen Perspektive.

3)    Erfolgsstorys und Beispiele suchen
Falls du Menschen kennenlernst, die einen Job machen, den du auch gerne machen würdest, frag sie offen, wie sie zu dem Job gekommen sind. Viele trauen sich nicht, einen Fremden um Rat zu fragen, aber Menschen sprechen gerne über sich. Als Alternative, oder ergänzend dazu, kann man auf LinkedIn die Ausbildung und den Werdegang dieser Personen durchzuhauen.

4)    Interesse am ausserfakultären Angebot zeigen
In meinem Studium wurde von uns erwartet, 30 Kreditpunkte ausserfakultär zu machen. Ich empfehle jedoch grundsätzlich allen über den Tellerrand hinaus zu blicken, auch wenn es keine Pflicht ist. Dies hat nicht nur meinen Horizont erweitert, es hat mir auch viele Möglichkeiten geboten, neue Kontakte zu knüpfen und eine bessere Übersicht darüber zu bekommen, was man in anderen Fachrichtungen lernt. Als weiteren Vorteil sehe ich, dass man sich dadurch den Weg zu potenziellen Berufsfeldern bahnt. Diese Erfahrungen kannst du später in deinem Motivationsschreiben oder im Lebenslauf nennen.

5)    Bleib motiviert und gib nicht auf
Ich habe so viele Absagen bekommen, dass ich in Momenten der Verzweiflung angefangen habe, meine Bewerbungsunterlagen für die Pädagogische Fachhochschule auszufüllen. Einen Job in der Industrie als Geisteswissenschaftlerin zu bekommen ist schwer, aber es ist möglich, also gib nicht auf!


Ich musste in meinem Praktikum und während meines Trainees zwar nie Kaffee kochen oder Akten schreddern, dafür hatte ich andere triviale Aufgaben. Oft habe ich mir in solchen Momenten die Frage gestellt «Habe ich für das hier studiert?» Solche Aufgaben und Tage gibt es in jedem Beruf, man muss nur etwas Geduld haben, seine Stärke finden, und bald wird man mehr und mehr davon machen dürfen, was einem richtig gut gefällt.

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