Wie ich ein Freund kultivierter Unterhaltung wurde
Ich wäre da gar nicht hingegangen, wäre es nicht wegen der günstigen Tickets gewesen. Ich fand die Plakate nicht besonders ansprechend. Und ich hätte sie weiterhin ignoriert, hätte sich nicht herumgesprochen, dass Studierende der Uni Basel Karten für 10 Franken kaufen können. Das ist ja weniger als ein Kinoeintritt. Nun wollten plötzlich alle mal ins Theater gehen, mal Tchechows Möwe sehen – und ich wollte dann halt auch. Wir gingen also hin und es war gut.
Ich will jetzt nicht zu dramatisch klingen. Aber etwas hat sich verändert nach diesem ersten, quasi freiwilligen Theaterbesuch seit Jahren. Mein innerer Widerstand gegen die kultivierten Künste war in die Brüche gegangen. Mein Desinteresse gegenüber erwachsener Unterhaltung hatte einen ersten Knacks bekommen. Damals, das war im November, ahnte ich noch gar nicht, wie sich das auswirken würde.
Völlig ungewollt wurde ich tiefer hineingezogen. So wie Leute in den Drogenkonsum abrutschen (wann habt ihr das letzte Mal die Kinder vom Bahnhof Zoo gelesen oder geschaut? Lohnt sich!). Jemand wollte mir Aufnahmen des holländischen Balletts zeigen. Das sei etwas ganz tolles. Ich willigte ein. Eine sichere Sache, dachte ich mir, Ballett KANN ICH GAR NICHT schön finden. Alleine schon wegen dieser Röckchen. Wir haben uns die Aufnahme dann angeschaut, mit richtig guter Tonqualität und auf einem grossen Bildschirm. Die Leute trugen keine Tutus und die Choreographie war überhaupt nicht prinzessinenhaft, sondern abstrakt, radikal, perfekt, emotional. Ich war hin und weg.
Seinen Höhepunkt nahm das Ganze, als ich mich letzten Sonntag in ein klassisches Konzert in der Predigerkirche gesetzt habe. Die Komponisten waren Familienmitglieder von Bach, wenn ich das richtig verstanden habe (Mein Mitbewohner besteht darauf, dass es sich nicht um klassische Musik handelt, sondern um Alte Musik, item). Jedenfalls ging ich da wirklich nur hin, um jemandem eine Freude zu machen, NIE hätte ich mir freiwillig Kirchenmusik angehört. Die Idee war sogar gewesen, mich nach zehn Minuten wieder hinauszuschleichen. Wieder kam es anders. Die Sängerinnen und Sänger waren überwältigend. Ich konnte mich gar nicht wehren dagegen! So ungern ich klassische (Alte) Musik mag, ich war den Bachs ausgeliefert und blieb bis zum Schluss. Ich war sogar traurig, als es fertig war und fand es komisch, dass die Leute banalerweise einfach applaudierten und nach Hause gingen, nach so einem überirdischen Konzert. Es ging mir so, wie wenn im Club am Morgen die Lichter angehen und keiner so recht weiss, was tun, weil es eigentlich Zeit wäre, nach Hause zu gehen, es aber irgendwie schade ist, die gute Laune zu verschwenden und einfach zu schlafen.
So jedenfalls kann es kommen, wenn man für zehn Franken ins Theater geht. Beginnt alles ganz harmlos und plötzlich erwischt man sich dabei, wie man sich über deutsche Kirchenmusik freut. Und über Ballett. Ich kann mir noch gar nicht ausmalen, was das für Folgen hat. Gehöre ich jetzt zu den Leuten, die gerne klassische Musik hören? Werde ich jetzt regelmässig am frühen Sonntagabend in Konzerte gehen? Bin ich denn nicht eher der Typ fürs Trashige? Werde ich eines Tages sogar in die OPER gehen?!
1 Kommentar
Fr, 21. Juni 2024 / 00:17 Uhr
Lässig geschrieben, i like :) 👍