Iris ist 27, studiert Geschichte im Master in Basel und ist seit mehr als zehn Jahren von Endometriose betroffen. Wie Iris mit einer chronischen, unsichtbaren Krankheit umgeht, erfahrt ihr im Gastbeitrag von Annika.
«Am schwierigsten finde ich immer noch die Momente, in denen mir jemand sagt, er oder sie sei auch müde. Denn obwohl ich verstehe, dass es empathisch und nett gemeint ist – es ist nicht dieselbe Art von Erschöpfung, die wir spüren. Durch einen solchen Satz fühle ich mich noch abgeschotteter. »
Man sieht Iris nicht an, dass sich Zellen, die eigentlich in ihrer Gebärmutter sein sollten, in ihr verbreiten und an diverse Organe anheften. «Die ziehen da, im Rhythmus meiner Hormone, ihre eigene kleine Mens durch. Und ich habe noch Glück. Kennst du die Gruselgeschichten von den Frauen, die Blut weinen? Die hatten Endometriose im Auge!», lacht Iris. Ich frage mich, woher dieses Lachen so schnell kommt, denn wenige Sekunden vorher sprachen wir noch über die immer wiederkehrenden, wochenlang anhaltenden Schmerzen. Schmerzen, die Iris als zerreissenden Druck beschreibt, so als würde ihr Inneres mit einem nadelbesetzen Löffel ausgehöhlt werden.
«Alles fing mit fünfzehn plötzlich an. In den darauffolgenden Jahren wurde ich immer öfters nach dem Einsetzen meiner Tage ohnmächtig vor Schmerzen. Ich bekam stärkere Schmerzmittel verschrieben und mehrere Ärzte sagten mir, das sei halt so, bei Frauen ziehe und drücke es einmal im Monat etwas, mein Kreislauf sei wohl etwas schwach. Die eigentliche Diagnose habe ich erst fünf Jahre später gekriegt.»
Das geht vielen Frauen mit Endometriose so. Obwohl rund zehn Prozent der Frauen davon betroffen sind, ist wenig über diese chronische Krankheit und ihre Ursachen bekannt. Die durchschnittliche Diagnoseverzögerung beträgt acht bis zwölf Jahre. Endometriose kann operiert, aber nicht geheilt werden, ein unerfüllter Kinderwunsch ist eine häufige Folge.
«Inzwischen habe ich gelernt, damit umzugehen. Was nicht heisst, dass alles gut ist. Aber ich kann in etwa einschätzen, wann die Schmerzen kommen, und versuchen, meinen Alltag darum herum zu organisieren.» Etwas, das während dem Studium zwar einfacher ist, aber nicht immer gelingen muss. Iris fehlt deutlich häufiger als andere Studierende, fixe Abgabetermine können zu Problemen werden und Prüfungstermine nehmen keine Rücksicht auf ihre Agenda, in der die voraussichtlich schwierigen Tage rot eingefärbt sind. Ein Vollzeitstudium ist durch die mit der Krankheit einhergehende Erschöpfung nicht zu bewerkstelligen und nicht zu wissen, ob man auch den Ersatzabgabetermin vor lauter Schmerzen verpassen wird, verursacht zusätzlichen Stress.
Anlaufstelle «Studieren ohne Barrieren – StoB»
Solchen Problemen versucht die Universität Basel mit ihrem Disability Statement, mit dem sie sich zur Gleichberechtigung von Studierenden mit Behinderung, chronischen und psychischen Krankheiten bekennt, etwas entgegenzuhalten. Mit «Studieren ohne Barrieren – StoB» wird eine Anlaufstelle geboten, die sich als die Interessensvertretung Studierender mit Handicap engagiert. und diese beispielsweise beim Beantragen eines Nachteilsausgleichs unterstützt.
Ein Angebot, von dem Iris zu Beginn ihres Bachelors nichts wusste. «Ich versuchte immer direkt mit den Lehrpersonen zu kommunizieren, was manchmal schlecht klappte. Eine Dozentin verstand meine Probleme überhaupt nicht, meinte das Verschieben eines Abgabetermins wäre unfair den Anderen gegenüber – Dabei geht es ja bei solchen Massnahmen genau darum, Fairness zu schaffen für diejenigen, die schwierigere Startbedingungen haben.»
Iris ist froh, dass die Uni durch den Nachteilsausgleich ihre Beeinträchtigung offiziell anerkennt und dadurch die Kommunikation mit Dozierenden erleichtert wird. Sie findet aber, dass gesellschaftlich noch viel gemacht werden muss: «Schlussendlich verlasse ich die Uni ja in eine leistungsorientierte Welt, in der Menschen mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten immer noch auf sehr viele Hindernisse treffen und man nur von denjenigen hört, die es ‘trotzdem’ geschafft haben. Ich hoffe, dass der Diskurs über solche Themen wächst und mehr Verständnis geschaffen wird. Gerade auch bei ‚Frauenthemen‘, über welche sonst nicht gerne gesprochen wird.»
Später an diesem Tag trifft sich Iris mit ihren «Spoonies» – so bezeichnen sich Mitglieder der chronischen Schmerz-Community im Netz. Sie hat die drei durch ein Inserat am Anschlagsbrett gefunden und obwohl die Krankheiten unterschiedlich sind (von Morbus Crohn über Migräne zu Fibromyalgie) sind viele ihrer Erfahrungen ähnlich. «Wir unterstützen uns gegenseitig, können mitfühlen und uns gemeinsam darüber lustig machen, wenn uns jemand beispielsweise zum x-ten Mal Heilung durch Yoga, Joggen oder grüne Smoothies verspricht. Wir lachen viel – chronische Schmerzen passen zu schwarzem Humor. Und obwohl es manchmal verdammt schwierig sein kann, sind unsere Leben nicht trauriger oder weniger lebenswert als andere. Die Welt und die Uni könnte aber gerne noch ein bisschen besser eingerichtet sein für Menschen wie mich.»
*Name geändert