Zum zehnjährigen Jubiläum lädt das Queer Film Festival „Luststreifen“ mit Workshops, Talks, Filmen und diversen anderen Angeboten zu Diskussion und Neugier ein. Ich habe mit Vivianne (Festivalleitung) und Ledwina (Programmation) über neue Einsichten, selbstbestimme Sexualität und die Besucher des Festivals geredet.
Love Love Love; Diversity is the new Normality; Queer revolts! Die Plakate, die momentan überall in der Stadt zu finden sind, erinnern an Demoschilder der queer-Bewegung. „Luststreifen“, so heisst das Queer Film Festival, zu welchem die Plakate gehören. Neben Filmen werden am Festival Talks mit Filmemachern, Workshops und Konzerte angeboten. Mit Vivianne und Ledwina treffe ich mich im Büro des Festivals und spreche mit ihnen über Luststreifen.
Für einige wird der Besuch des Festivals vielleicht der erste Einblick in neue sexuelle Perspektiven und Ansichten.
Vivianne: Einige Bereiche, die in den Filmen behandelt werden, sind durchaus bekannt: Lesbische Liebe, Bisexualität, verschiedene Formen von Transidentitäten. Im letzten Jahr ist sehr viel von diesem Wissen an die mediale Oberfläche gelangt, gerade mit dem Women‘s March oder dem Schweizer Aufschrei.
Ledwina: Wenn man diesen Diskurs verfolgt, entwickelt man eine Neugier für die Thematik. Die Filme sind dazu da, diese Neugierde zu stillen. Die Vorstellung von anderen Identitäten, die nicht binäre Heterosexualitäten sind, ist oftmals sehr schwammig. Daher kann man am Filmfestival auch einiges lernen. Alle schauen zwar Pornos, aber wir zeigen, wie Sexualität jenseits davon aussieht: Wir zeigen selbstbestimmte Sexualität.
Vivanne: Solche Kunstfilme können schon eine Herausforderung für das Publikum sein, aber das ist für mich nicht anders. Auch die, die nicht regelmässig Pornos konsumieren, kennen die typischen Bilder. Die Bilder in den Filmen, die wir am Festival zeigen, sind allerdings für die meisten ganz neu.
Andjelka: Im Film „Être Cheval“ begibt sich eine Person bei einem Cowboy in die Pferdedressur. Ich habe mir den Trailer angeschaut und gedacht, dass ich mir den nicht ansehen mag. Ist meine Abneigung erlaubt oder stelle ich mich dabei gegen die Idee des Festivals?
Ledwina: Gar nicht. Aber wenn man sich für diese Themen interessiert, kann man die Filme dazu oftmals nur an Festivals sehen, sonst nirgends. Es sind teilweise Filme über eine kleine Minderheit von Menschen. Die Filme sind aber nicht exponierend, sondern begegnen den Protagonisten mit einem liebevollen Blick. Zunächst denkt man vielleicht, dass das komische Lebensweisen sind, und ob du dir das anschauen willst, ist dir überlassen. Aber es gibt nun einmal Menschen, die so fühlen, und der Film soll ihnen Bild und Ton geben, um sich selbstermächtigend über ihre Lebensweise zu äussern. Damit soll auch verstanden werden, dass sie das Recht dazu haben, ihr Leben zu leben, wie sie es wünschen. Die Erfahrung mit den Filmen wird mit den angebotenen Q&A’s mit dem Publikum dann umso wertvoller.
Vivanne: Wir achten sehr darauf, dass der Blick auf die Personen selbstbestimmt und respektvoll ist, und nicht voyeuristisch. Es geht also darum, einen neuen Blick auf bekannte oder unbekannte Themen zu werfen. Auch Menschen mit einer heterosexuellen Identität leben verschiedene Formen aus. Die Norm ist klar: Mann, Frau, Haus, Labrador und drei Kinder. Aber es gibt viele verschiedene Beziehungsformen in der Heterosexualität, wie Wohnprojekte und Co-Parenting. Das ist ja das Schöne, dass wir nicht alle genau das gleiche wollen, nicht alle genau gleich lieben und nicht alle gleich Sex haben, nicht die gleiche Geschlechtsidentität haben, etc. Wir enttabuisieren diese Diversität.
Andjelka: Eure Filme behandeln eine breite Palette an Themen: Von Bondage bis hin zum hobbyhorse–Kult in Finnland<. Was verbindet alle Filme miteinander?
Ledwina: Es sind Filme, die einen kritischen Blick auf die Gesellschaft werfen, die ästhetisch und inhaltlich einen hohen Anspruch haben, aber nicht unbedingt bekömmlich sind. Sie zeigen Subkulturen und brechen Geschlechternormen auf.
Vivianne: Wir haben jedes Jahr einen neuen Fokus, dieses Jahr ist es „The future ist queer“. Der Spruch lehnt sich an die Protestbewegungen des letzten Jahres an, genauso wie unsere Plakate und der Trailer zum Festival. Unser Programm ist breit, aber alle Filme zeigen Menschen, die einen respektvollen Umgang mit ihrer eigenen Geschichte pflegen. Wir haben aber auch Filme, die sehr bekömmlich sind, zum Beispiel „Bar Bahar“. Ein wunderschöner Film über drei palästinensische Frauen in einer WG in Tel Aviv.
Ledwina: Oder auch „Close Knit“, welcher zwar auch dramatisch, aber eigentlich eine Familienkomödie ist. Dieses Jahr ist das Motto deshalb auch speziell, weil die Filme Utopien aufzeigen: Leben, von denen man nicht dachte, dass sie so gelebt werden.
Andjelka: Welche Resonanz bekommt ihr nach dem Festival?
Ledwina: Die Besucher wollen darüber reden, diskutieren und sich austauschen. Jeder hat seine eigenen Trigger, auf die wir im Übrigen vor dem Screening aufmerksam machen. Das Festival ist intensiv, aber nicht so, dass die Leute nicht mehr kommen wollen, sondern im guten Sinne.
Vivianne: Der Name des Festivals, „Luststreifen“, suggeriert die Sexpositivität. Viele Filme, die bei uns laufen, sind auch sehr witzig. Das Festival ist ein dynamischer und kommunikativer Ort der Begegnung. Wir haben es auch wahnsinnig lustig am Festival. Letztes Jahr ist mir echt aufgefallen, wie wild unser Publikum eigentlich ist!
Andjelka: Welche Ziele setzt ihr euch für die zukünftigen Festivals?
Ledwina: Dieses Jahr haben wir zum ersten Mal zwei Spielstätten, das kult.kino und das neue kino. Dies ist sicher auch der Auftakt für eine weitere Vergrösserung des Festivals. Wir werden näher mit dem kult.kino zusammenarbeiten und weiterhin auf hochqualitative Filme setzten. Was ebenfalls neu ist, sind die Nachveranstaltungen. Ziel ist, damit eine ganzjährige Präsenz von Luststreifen zu schaffen. Dieses Jahr verleihen wir auch zum ersten Mal den Lust-Award. Der Award soll weitergeführt und ausgebaut werden, um den Austausch über die Filme lebendig zu halten.
Das zehnte Luststreifen Queer Film Festival findet vom Donnerstag, 28. September bis Sonntag, 1. Oktober 2017, im kult.kino und dem neuen kino statt.