oder: Warum Glücksklee auch im Regen wächst
Sophie Volmar studiert an der Universität Basel Psychologie im zweiten Semester. Mitten in der Klausurenphase hat sie im vergangenen Semester eine unerwartete Trennung erlebt. Was ihr geholfen hat, sich aus dem Loch zu befreien und wie sie trotz des anfänglichen Schocks gut durch ihre Prüfungen gekommen ist, beschreibt sie in ihrem Gastbeitrag:
Es soll die beste Zeit unseres Lebens werden: das Studium. Endlich dürfen wir die Spitze der Maslowpyramide erklimmen, also uns selbst verwirklichen, die Aussicht geniessen und einen Blick auf unseren weiteren Lebensweg erhaschen. Viele ziehen das erste Mal von zuhause aus, suchen sich eine WG oder – wie in meinem Fall – teilen sich die erste gemeinsame Wohnung mit seinem oder seiner Liebsten.
Ich persönlich war so glücklich wie nie zuvor – bis ich die alles verändernden Worte hörte: «Ich kann nicht mehr! Es ist aus!» Mitten in der Klausurenphase begann die Pyramide zu bröckeln, ein Stein löste sich unter meiner Sohle und kam mit mir ins Rollen. Verzweifelt versuchte ich mich noch an den sozialen Bedürfnissen festzukrallen, die aber mitsamt der Sicherheitsbedürfnisse zu Staub zerfielen. Schmerzhaft prallte ich ganz unten auf. Verwirrt und etwas benommen. Da muss mich wohl ein Stein der Selbstverwirklichung an der Schläfe getroffen haben. Unter Tränen wühle ich im Trümmerhaufen, versuche meine Träume auszugraben, will wenigstens die Spitze der Pyramide behalten dürfen. Doch schon bald wird mir klar, ich muss jetzt erstmal wieder von ganz unten anfangen.
So, wie es mir vor einigen Wochen ging, ergeht es vielen im Laufe ihres Studiums. Nicht jeder Partner möchte den Gipfel der Pyramide mit uns gemeinsam erklimmen, und doch fühlt man sich in solchen Momenten manchmal, als wäre man ganz alleine mit seinen Problemen. Ich hoffe, dass dieser Artikel dich erreicht, fallst du gerade mitten in einer stressigen Zeit verlassen wurdest und dass er dir Trost und Hoffnung spenden wird.
Stufe 1: Physiologische Bedürfnisse
Die Metapher der Maslowpyramide soll nicht nur die Fallhöhe verdeutlichen, sie bringt auch auf den Punkt, wie die ersten Tage nach der Trennung oft aussehen. Der Körper befindet sich erstmal im „fight and flight“-Modus, nicht im „rest and digest“. Plötzlich kommt man mit sehr wenig Schlaf aus, dabei wäre es so schön, einfach für einen halben Tag wegzudösen und alles zu vergessen. Auch der Appetit lässt oft zu wünschen übrig und nicht wenige leiden unter Bauchschmerzen. Das Grundbedürfnis nach Sexualität erscheint da wie ein schlechter Witz.
Das Schöne ist aber: Unser Körper ist sehr vertrauenswürdig. Er mobilisiert aktuell die nötigen Energien von ganz alleine. Wie oft sind wir unserem Körper dankbar, dass er uns so viel verzeiht? In dieser Phase fand ich es hilfreich, mir genau das zu vergegenwärtigen. Danke, liebe Füsse, dass ihr mich schon mein Leben lang ans Ziel tragt. Danke, liebe Zunge, dass du es mir ermöglichst, mich mitzuteilen. Danke, liebes Gesicht, dass du meine Gefühle erklärst, wenn es meine Zunge nicht mehr schafft.
In meiner Wahrnehmung ist das Gefühl Dankbarkeit das, was dem Gefühl Liebe am nächsten kommt und genau jetzt ist es wichtig, dass man Selbstliebe entwickelt. Das bedeutet auch, nachsichtig mit sich selbst zu sein. Dann tut man eben mal ein paar Tage nichts für die Uni. Die Zeit, die man jetzt in sich selbst investiert, ist alles andere als verschwendet.
Stufe 2: Sicherheitsbedürfnisse
Nach so einem Schock kann man sich sehr schutzlos fühlen. Man hat jemandem sehr vertraut und nun wird man einfach stehen gelassen. Vielleicht denkt man auch, man könne nie wieder vertrauen. Aber doch, das können wir.
Man ist nie zu alt, um sich von seiner Mutter, seinem Vater oder seiner besten Freundin in eine Decke einwickeln und mit warmen Kakao bedienen zu lassen. Sobald man sich wieder sicher fühlt, kann man sich den schönen Nebensachen des Alltags widmen und sich fallen lassen.
Wenn man daran zweifelt, dass man diese Sicherheit in sich selbst finden kann, ist es immer eine gute Idee, sich psychologische Unterstützung zu suchen, zum Beispiel beim Zentrum für Psychotherapie der Universität Basel. Oder wie wäre es, alleine zu einem Paartherapeuten zu gehen, um die Trennung aufzuarbeiten? Dafür braucht man sich nicht zu schämen. Ich kann mir sogar vorstellen, dass sich Paartherapeuten darüber freuen, mal nicht über Erektionsprobleme sprechen zu müssen.
Wichtig finde ich, sich in dieser Phase dem Unistoff wieder ganz locker anzunähern. Es wäre kontraproduktiv, jetzt in Panik zu verfallen, weil man so viel aufzuholen hat. Vielleicht können ja die Kommilitonen eine nette Sprachnachricht verfassen, in dem sie den verpassten Stoff geduldig erklären?
Stufe 3: Soziale Bedürfnisse
Wenn du nur einen Punkt aus diesem Artikel umsetzt, dann bitte diesen! Geh raus, unternimm etwas mit deinen Freunden, geh tanzen, wandern oder Billard spielen – und zwar egal, ob du Lust dazu hast oder nicht! Sonst läufst du Gefahr, dass du dir die Decke über den Kopf ziehst und grübelst. Gerade, wenn du wie ich keinen Trennungsgrund erfahren hast, sind solche Gedanken einfach nur Gift für dein Herz. Du wirst die Trennung vermutlich noch lange nicht verstehen können, vielleicht sogar nie. Deswegen sammle Erlebnisse und neue schöne Erinnerungen. Es kann sein, dass es anfangs keinen Spass machen wird. Aber es wird von Mal zu Mal einfacher und irgendwann ertappst du dich dabei, wie du einen schönen Abend hattest und stundenlang nicht an deine/n Ex gedacht hast.
Auch die Uni sollte langsam wieder interessanter werden. Sie ist jetzt die perfekte Gelegenheit, unter Menschen zu kommen, ohne grossartig etwas dafür tun zu müssen. Schenke am besten auch deinen Dozierenden deine ungeteilte Aufmerksamkeit und vielleicht einen Funken Faszination.
Stufe 4: Individualbedürfnisse
Wie viel Zeit hast du in deine Beziehung investiert? Wie viele Kompromisse bist du eingegangen? Wie oft hast du Spaghetti gegessen, obwohl du Lust auf Pizza hattest? Wie oft hast du auf Netflix Komödien anschauen müssen, weil dein/e Ex Angst vor Horrorfilmen und noch mehr Angst vor romantischen Dramen hat?
Jetzt kannst du dich selbst neu erfinden.
In Beziehungen lernt man so viel über sich selbst und in Trennungen kann man dieses Wissen nutzen, um die Person zu werden, die man gerne repräsentieren möchte. Es ist die Phase, in der der Regen aufhört und frischer Glücksklee seine Köpfchen in Richtung Sonne streckt.
Bestenfalls lassen jetzt auch Trauer und Wut nach und man wird froh, dass es so gekommen ist und dass man diese tollen Erfahrungen sammeln darf. Die Farben werden wieder bunter, die Gerüche intensiver und während du tage- oder wochenlang sehnlichst auf einen Anruf von ihm/ihr gewartet hast, würdest du das Telefon heute nicht abnehmen, weil du einfach keine Lust auf Diskussionen hast.
Jetzt wird auch die Uni wieder interessanter. Das Bedürfnis nach Anerkennung weckt einen unglaublichen Wissensdurst. Den kannst du nutzen, um den verpassten Stoff wieder aufzuholen.
Stufe 5: Selbstverwirklichung
Bevor man sich versieht, hat man neue Ziele, Träume und Perspektiven. Vorsichtig setzt man wieder einen Fuss auf den Gipfel, wählerischer, auf welchen Stein man sich verlässt und doch mutiger als je zuvor, denn man weiss, wenn man fällt, dann ist das nicht das Ende, es ist ein Anfang.
Dieser Aufschwung kann sich positiv auf dein Studium auswirken, denn in stürmischen Zeiten sind Konstanten im Leben sehr wertvoll und die Uni wird dich nicht eines Abends anrufen und sagen: «Ich kann nicht mehr! Es ist aus!»
Dass ich auf diese Art trotz Trennung gut durch meine Prüfungen gekommen bin, liegt auch daran, dass ich im Studium gute Freunde gefunden habe, die mich unterstützt haben, weil sie an mich geglaubt haben und daran, dass ich mich schon während des Semesters mit dem Stoff befasst habe. Wie wichtig dieser spiessige Ratschlag ist, wurde mir erst durch diese Erfahrung richtig bewusst.
1 Kommentar
So, 18. November 2018 / 16:41 Uhr
Liebe Sophie,
Gerade bin ich per Zufall auf deinen nun doch schon etwas älteren Beitrag gestossen und möchte dir danken. Ich habe mich kürzlich auch von meinem Freund getrennt und seit dem das Gefühl, das Studium zieht in Windeseile an mir vorbei und lange Zeit konnte ich mich in den Vorlesungen kaum konzentrieren und plötzlich ist Mitte November und du fragst dich: was habe ich dieses Semester eigentlich erreicht? Es geht zwar wieder aufwärts, dennoch macht mir dein Text gerade unglaublich viel Mut! Danke dafür!
Alles Gute und liebe Grüsse,
Melina