Ozapft is!

Ein subjektiver Oktoberfestvergleich

Das Dirndl-Fieber greift um sich, der Lebkuchenherzumsatz steigt und Bier scheint für viele zum Grundnahrungsmittel zu werden. Es ist Oktoberfestzeit. Und diesmal lasse ich mich voll drauf ein, denn fast überall auf der Welt kann man zu dieser Jahreszeit Oktoberfeste finden oder zumindest Veranstaltungen, die sich so nennen.

So war ich zum Beispiel mal in Argentinien auf einem Oktoberfest, bzw. einer Fiesta de la Cerveza. Viele Argentinier haben nämlich deutsche Wurzeln, in München waren aber wahrscheinlich die wenigsten. Denn das dortige Oktoberfest war wirklich eine bizarre Veranstaltung. Mit bayerischer Kultur hatte es zumindest nichts mehr zu tun. Hauptpunkt des Abends war eine Miss-Wahl, an der viele junge Mädchen auf der Bühne ihre Glitzerkleidchen (Ich nehme an, das sollten Dirndl sein) präsentierten. Zu Essen gab es Fleisch, also wie immer in Argentinien. Allerdings gab es einen grösseren Wurstanteil und etwas Sauerkrautähnliches. Und selbstverständlich gab es argentinisches Bier, wenn auch nicht in Masskrügen. So gern ich Argentinien mag, ihre Interpretation hatte nichts mit der Realität zu tun und ich bezweifle, dass meine Erzählungen über echte bayrische Bierfeste etwas bewirkten. Auch wenn es dem echten Bayern da die Lederhosn auszieht, die Argentinier freuen sich an ihrem Oktoberfest.

Stilechte Basler Wiesn
Auch in Basel findet jedes Jahr wieder eine Wiesn statt. Dieses Jahr wollte ich mal sehen, wie die Basler ihr Oktoberfest feiern und ob es etwas mit dem Original zu tun hat. Und schon bei der Ankunft bin ich überrascht: Fast alle tragen tatsächlich Tracht! Da legst di nieder! Und ich als Bayerin komme einfach so ohne Dirndl daherspaziert.. Während sich die Messehalle, die in schönstem blau-weiss gehalten ist, langsam füllt, studiere ich die Speisekarte: Brezn, Hendl, Weisswürscht, Obazda.. Das sieht schonmal sehr bayrisch aus. Allerdings gibt es kein bayrisches Bier – ein grosses Manko. Denn wer mal die Vielfalt und Qualtität der bayerischen Biere kennengelernt hat, stellt schnell einen grossen Unterschied zur Schweizer Bierkultur fest. Das weiss ich auch als nicht übermässige Kennerin. Sorry, Feldschlösschen. Man wird übrigens sowohl hier als auch in München schräg angeschaut, wenn man mal keinen Masskrug in der Hand hat. Immerhin wurden während des letztjährigen Oktoberfests 7,7 Mio. Mass Bier verkauft. Damit man seinen Alkoholpegel unter Kontrolle hat, gibt es inzwischen passende Apps, die aus der Anzahl Mass pro Zeit und dem Körpergewicht den Promillestand automatisch berechnen. Ob man da allerdings noch darauf achtet, wenn man eh schon schwankt?

Die Musik ist klassische Bierzeltmusik: Schlager, Klassiker, ein paar aktuelle Hits. Zu Beginn wird verhalten auf den Bänken geschunkelt, aber spätestens bei „Das Berner Oberland“ (ein Lied, das wohl in München kaum einer mitsingt) tanzen die Leute auf den Tischen. Später gibt es sogar noch eine ausdauernde Polonaise, mit der wohl keiner so richtig gerechnet hatte. Alles in allem kommt meiner Meinung nach ganz gute Bierzeltstimmung auf. Damit hatte ich ehrlich gesagt nicht richtig gerechnet. Wem also der Weg nach München nächstes Jahr zu weit ist, der kann ja mal die Basler Wiesn in Erwägung ziehen.

Auf zum Original
Damit ich einen direkten Vergleich habe, verschlägt es mich kurz darauf nach München auf die echte Wiesn. Erstmal bietet sich mir der gleiche Anblick: Dirndl- und Lederhosenträger, viele mit einer Weghoibe in der Hand. Diesmal bin auch ich passend gekleidet und mische mich unbemerkt unter die Massen. Denn es ist natürlich voller als in Basel. Schliesslich gehört das Oktoberfest seit etwa 1810 zu München wie die Herbstmesse zu Basel. Und übrigens: 64% der Besucher sind tatsächlich waschechte Münchner, dicht gefolgt von den restlichen Bayern. Der Rest sind dann die Saupreissn und ausländische Besucher, ein kleinerer Anteil als man denkt! Im Bierzelt findet man schnell Freunde; hauptsächlich leicht bis stark angetrunkene Männern. Als Frau hat man klar den Vorteil, keine Mass selbst zahlen zu müssen und doch noch irgendwo einen Sitzplatz ergattern zu können. Aber das kriegt man dann auch noch hin, wenn man es erstmal in ein Zelt geschafft hat. Denn das ist oft gar nicht so leicht, vor allem, wenn man spät kommt (unter der Woche nach 17 Uhr, am Wochenende nach 9 Uhr – ja, morgens!).

Wir haben uns zweimal ins Zelt geschmuggelt. Am ersten Abend waren wir mit einem echten Münchner unterwegs. Die Zelte waren schon lange wegen Überfüllung geschlossen. Beim Türsteher half aber ein bisschen tiefstes Bairisch unseres Begleiters und ein nettes Lächeln von uns. Zack, drin waren wir. Am zweiten Abend waren die andern schon im Zelt und ich musste mein Glück selbst versuchen. Ich frage mal nett beim Securitymann nach und höre enttäuscht: „Ins Zelt kimmt heid koana mehr eini!“. Keine fünf Minuten später allerdings bin ich drin und quetsche mich durch die grölende Menge. Alles dank der Schmuggleromi, wie ich sie liebevoll genannt habe. Sie schnappte sich, als Bedienung getarnt, einfach ab und zu ein paar einsame Seelen wie mich und ging selbstverständlich mit uns am Sicherheitspersonal vorbei. Ihre Begründung: „Die miassn nur kurz biesln“. Immerhin musste ich dafür nicht mal was zahlen. Manchmal hilft nämlich auch ein kleines Bestechungsgeld.

Drinnen im Zelt ist die Party mittlerweile in vollem Gange und so stelle ich mich auf die Bank und singe mit bekannten und unbekannten Leuten „Atemlos durch die Nacht“. Bei den meisten  beschränkt sich das Mitsingen genau auf diese eine Zeile. Abwechslung bietet sich jeweils, wenn a) jemand von der Bank fällt; b) jemand seine Mass ext, was von allen mit lautem Gejubel begleitet wird; oder c) jemand mit dir ein tiefgründiges Gespräch über… Okay, nein, das passiert mit grösster Wahrscheinlichkeit nie. Sinnvolle Gespräche sollte man nicht erwarten, aber Spass kann man trotzdem haben. Das echte Oktoberfest ist auf jeden Fall ein Erlebnis. Ich persönlich kann aber nur empfehlen, unter der Woche zu gehen, denn am Wochenende ist es dann wirklich zu voll – und die Leute auch.

Wer nicht bis nächstes Jahr warten möchte, kann bis zum 11.10. noch im ZicZac Basel Oktoberfestluft schnuppern.

 

Kleines Bairisch-Wörterbuch

Ozapft is! – Es ist angezapft. Also das Bierfass.

Mass – Ein Liter Bier in einem Einliterglas.

Da legst di nieder – Das ist nicht zu glauben!

Hendl – Poulet, traditionell ohne Beilage serviert.

Weisswürscht – Weisswürste, die eigentlich nur zum Frühstück gegessen werden.

Obazda – eine bayrische Käsemischung.

Weghoibe – „Weghalbe“, halber Liter Bier, der mit auf die Anreise zur Wiesn als Wegproviant genommen wird

Saupreissn – Deutsche, die keine Bayern sind.

Ins Zelt kimmt heid koana mehr eini! – Heute kommt keiner mehr ins Zelt rein.

Piesln – Pinkeln

Die miassn nur kurz biesln – Die müssen nur kurz pinkeln.

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