Florence Siegenthaler verbringt ihr Semester gerade in Kapstadt. Sie ist eine der ersten Studierenden des Master-Studiengagns «Critical Urbanisms», die dort forschen und lernen. In der zweiten Folge ihrer Gastbeitragsserie erzählt sie von ihren ersten Wochen in Südafrika:
Freitagmorgen, 24 Grad, starker Wind aus Südwesten. An der Wand gegenüber von meinem Bett sitzt ein rosafarbener Gecko. Etwas mehr als ein Monat ist nun vergangen, seit ich mitsamt meinen Sommerkleidern im Gepäck die nassgraue Schweiz verlassen habe.
Den Moment, wie ich hier ankomme: ich habe ihn hundertmal im Kopf durchgespielt. Schlussendlich war es dann ganz schön unspektakulär: Übermüdet stand ich über zwei Stunden an der Einreisekontrolle, mein Mitbewohner wartete geduldig auf der anderen Seite, brachte mich in einem gigantischen Pick-up zu unserer etwas chaotischen, aber gemütlichen Studentenwohnung.
An Schlaf war nicht zu denken, neben SIM-Karte und Bettbezug kaufte ich tatsächlich erst einmal einen Pulli. Mit dem Wind, der mir da täglich um die Ohren pfeift, hatte ich nicht gerechnet. Und dann vergingen die ersten Wochen ebenso stürmisch und schnell.
Unsere liebe Dozentin Sophie überliess in dieser Anfangsphase, den zwei Wochen vor Unibeginn, auch nichts dem Zufall. Eine Exkursion reihte sich an die nächste: Vom touristischen Table Mountain bis zu den Townships in den Cape Flats sollten wir jede erdenklich Perspektive auf Kapstadt einnehmen. Auch ein obligatorischer Pub Crawl wurde in den Stundenplan eingetragen, ebenso wie der 27 km-Lauf in Gedenken an Nelson Mandela, von welchem hier beim letzten Mal die Rede war. Den haben wir alle Teilnehmenden erstaunlich munter über die Bühne gebracht, inklusive Aufstehen um vier Uhr morgens, praller Sonne und Mückenschwärmen (vielleicht dank der verlockenden Aussicht, dass wir danach auf einer Weinfarm wieder aufgepäppelt werden?).
Das beste Rezept gegen den Kulturschock
Die beste Medizin gegen jeglichen potenziellen Kulturschock ist somit, ihn einfach in allen Farben und Formen passieren zu lassen und einzutauchen in diese neue Welt. Vieles ist hier anders, natürlich:
Zeitmanagement zum Beispiel ist so eine Sache. «Jetzt gleich» kann alles heissen, von jetzt bis irgendwann oder auch nie. Im Voraus planen? Nicht mehr als eine halbe Stunde (und auch die ist äusserst dehnbar)!
Und dann ist da immer wieder die Frage nach Fortbewegung und Sicherheit, besonders, ich sag’s nicht gern, für Frauen. Jeder, wirklich jeder, hat eine andere Meinung und oft auch noch gleich eine Geschichte dazu. Kurze Strecken laufe ich hier im Viertel etwas ausserhalb vom Stadtzentrum meistens allein. Ich fühle mich wohl, zum einen dank meiner Unerfahrenheit, zum anderen weil die Bevölkerung hier, im Gegensatz zur beklemmenden Segregation im Rest der Stadt, äusserst durchmischt ist.
Längere Strecken und nachts gehe ich jeweils mit meinem Kollegen, der seit dem ersten Tag auch ein bisschen Bodyguard ist und mich jeden Abend brav beim rieseigen Gitter vor meinem Haus ablädt. Für grössere Unternehmungen, oder wenn die Orientierung fehlt, läuft schliesslich die App mit dem weissen Kreis und dem schwarzen Viereck in der Mitte heiss. Auf den resultierenden Fahrten ergeben sich oft anregende und unterhaltsame Gespräche, Heiratsanträge, Ausflugstipps und Lebensweisheiten inklusive. Allerdings ist auch dieses Navigationsmittel nicht sonderlich zu empfehlen, wenn die Kabel der Züge geklaut wurden, oder generell gerade Feierabend ist. Der Verkehr hier ist sowieso nie was für schwache Nerven. Grün ist für Fussgänger immer nur dann, wenn die heranbrausenden, wild hupenden Minitaxis genügend weit weg scheinen.
Meine grösste Herausforderung hier ist allerdings vor allem, nicht zu sehr der Urlaubsstimmung zu verfallen. An der Uni weht nämlich ein etwas anderer Wind als an der guten alten Uni Basel, das muss schon kurz erwähnt werden. Abgabedaten verschieben? Ist nicht! Tatsächlich bin ich auch nur zweimal pro Woche auf dem wirklich beeindruckenden Campus am Fusse des Tafelbergs. Den Rest der Zeit muss ich mir selbst einteilen für Interviews, Journal-Einträge, Essays und Lesematerial, bis – so erscheint es mir jeweils – die Wände wackeln. Aber eben, vielleicht spreche ich hier auch noch aus der Sichtweise des Urlaub-Ichs. Habe ich schon erwähnt, wie wichtig es ist, hier alle erdenklichen Perspektiven einzunehmen?
Hier könnt ihr die erste Folge aus Florence‘ Tagebuch eines Auslandssemester nachlesen.