Auch in Südafrika neigt sich das Semester dem Ende zu. In der dritten und letzten Folge ihrer Gastbeitragsserie blickt Florence Siegenthaler auf ihre Zeit im unberechenbaren Kapstadt zurück:
Zwanzig Tage bleiben mir nun noch auf südafrikanischem Boden. Der Dramatik der Situation entsprechend schreibe ich diese Worte um ein Uhr morgens mit einem Glas Rotwein vor dem Kaminfeuer, während draussen Weltuntergangsstimmung herrscht. Ich bin mir gerade nicht so sicher, aus welcher Richtung der Regen kommt und wohin er geht. Von unten nach oben? Seitwärts?
Sicher ist, dass er mehr als willkommen ist nach der sommerlichen Dürre. Und ich kann die Wasser-Reservoire vor meiner Abreise dann gleich noch ein bisschen mehr mit meinen eigenen Tränen auffüllen.
Nun mal aber ehrlich: Bin ich traurig, dass ich wieder nach Hause gehen muss? Nein. Viel eher bin ich verwirrt. Es fühlt sich surreal an. Denn Kapstadt hat mein Zeitgefühl komplett auf den Kopf gestellt. Wenn ich an den ersten Braai (Südafrikanischer BBQ: die sind hier alle besessen davon) in unserem niedlichen Backstein-Hinterhof zurückdenke, erscheint mir das, als wäre es eine Ewigkeit her. Und doch fliegt hier die Zeit immer davon – und das nicht nur, weil der Wind immer bläst, als gäbe es was zu beweisen.
Ich erinnere mich daran, dass mich unser Professor Kenny Cupers während einem kurzen Besuch für den Master-Thesis-Workshop gefragt hat, was denn hier besonders anders sei als zu Hause. Ich sagte: die Willkür. Ein fragender Gesichtsausdruck später versuchte ich zu erklären: Kapstadt kann man nicht berechnen. Das ist mitunter vielleicht ein Grund, weshalb hier alle immer ein bisschen oder ganz schön heftig zu spät sind. Ich dachte, ich sei auf alles eingestellt und wurde trotzdem immer wieder überrascht.
Am besten, so schien es mir in den ersten Wochen, verliesse man das Haus mit Kleidung für vier Jahreszeiten, genügend zu trinken und Snacks, unbedingt Sonnencreme, einem Notizblock, Kreditkarte, Telefon, Duschmittel, einer kleinen Reiseapotheke, Strandtuch und Badekleid, und möglicherweise auch noch mit Laufschuhen (man weiss ja nie, ob man unsere laufbegeisterte Dozentin Sophie antrifft). Wenn ich morgens aus dem Haus ging, kam ich nicht selten erst um Mitternacht wieder zurück, weil ich durch einen Spontan-Braai oder ähnliches aufgehalten wurde.
Aber auch an die Unberechenbarkeit gewöhnt man sich und ich hatte mir langsam aber sicher meinen ganz eigenen Kapstadt-Rhythmus zugetan. Die Grundlage dafür war in erster Linie ganz viel Entspanntheit (die musste ich erst erlernen) und ein tolles soziales Netzwerk.
Ich durfte für die Uni viele spannende Interviews führen, verschiedenste Lebenswelten und warmherzige, inspirierende Menschen kennenlernen; ich war bis zum Schluss etwas überfordert mit dem riesigen Campus und habe auch ab und zu klammheimlich ein wenig Tourist gespielt (Pinguin-Fotos inklusive); ich habe gemeinsam mit meinen tollen Kommilitoninnen, Kommilitonen und Dozentinnen an mehreren Läufen teilgenommen, um dann nachher beim besten Cheesecake der Welt (den gibt’s bei mir gleich um die Ecke) umso mehr zuzugreifen; ich hab meine Lieblingswanderungen[1], meine Lieblingscafés[2], und meinen Lieblingsstrand[3] entdeckt und bin dann doch nie surfen gegangen (Shame!), und, last but not least, habe ich wundervolle Freunde gefunden, mit denen ich immer wieder lachen, das Tanzbein schwingen und Jam-Sessions veranstalten konnte (Vance Joys ‚Riptide’ in Dauerschleife).
Gleichzeitig ist in meiner Vorstellung die Zeit auf meinem kleinen Heimatplaneten stehengeblieben. Aber auch der hat sich während meiner Abwesenheit definitiv ohne mich weitergedreht. Damit wird das Heimkommen nun zu einer ebenso grossen Herausforderung wie das Weggehen.
Was dabei hilft? Die Vorfreude. Aufs erste Rheinschwimmen, all die lieben Menschen, die ich bald wieder in die Arme schliessen darf und, ich muss es zugeben, ab Herbst dann auch ein bisschen auf unser heimeliges Research Studio im obersten Stock der Gewerbeschule, das mit vertrauten und neuen Gesichtern gefüllt sein wird. Ich bin schon gespannt.
[1] Skeleton Gorge und Jonkershoek Hike –Wadenmuskelkater gibt’s gratis dazu
[2] Hello Sailor und Timbuktu in Observatory: bester Cheesecake versus äthiopisches Essen
[3] Llandudno Beach – die Wellen sind aber nicht zu unterschätzen!