Ist Pendeln sinnvoll?
Ich bin ein richtig guter Pendler. Die anderthalb Stunden von zuhause bis zum Kollegienhaus pendle ich fast schon im Schlaf und auch die 630 km von meiner Wohnung bis zur Wohnung meines Freundes lege ich inzwischen routiniert zurück. Ich habe mich ans Zugfahren gewöhnt, mein Rücken hat sich an die Krümmung der Sessel angepasst, meine Zeiteinteilung dem Fahrplan: es gibt zwei zeitliche Fixpunkte in meinem Alltag, 28 und 47, also Hin- und Rückfahrt meines Zuges. Im Zug greife ich dann automatisch zum Laptop, meine Bachelorarbeiten habe ich mindestens zur Hälfte unterwegs geschrieben.
Das macht mich aber noch lange nicht zum SBB-Romantiker. Ich finde Bahnhöfe nicht inspirierend und Zugfahren nur selten entspannend. Das Hin und Her geht mir eher auf den Zeiger. Wenn Leute erzählen, Pendeln sei praktisch, weil man unterwegs was für die Uni machen könne, erzählen sie Märchen. Oder sie haben einfach bessere Nerven als ich. Arbeiten im Zug, das geht zwar, aber ganz ehrlich: besonders gut geht das nicht.
Ein Beispiel: Es ist nach 20 Uhr. Ich fahre im halb leeren Zug nach Basel und denke: Das ist ein guter Zeitpunkt, um meinen Blog-Beitrag zu schreiben! Und es ist nicht gelogen und nicht übertrieben, dass gerade jetzt in meinem Wagen zwei kleine Kinder anfangen, laut und kräftig, so wie sie es in der Schule gelernt haben, Lieder von Mani Matter zu singen. Das Zündhölzli (sogar zweistimmig), den Sidi Abdel, dann noch ’s Heidi und das von der Kuh am Waldesrand. Mami und Papi stimmen stellenweise auch mit ein (der Papa hört sich an wie mein Singlehrer aus der Primarschule) und erklären den Kindern nach dem Song jeweils die schwierigen Wörter im Text.
Das klingt herzig, ist es aber nicht. Kaum sind wir an Liestal vorbei, fangen die Kleinen an zu streiten. Es geht darum, dass der Junge immer eine riesige Show abzieht, wenn die Familie im Zug gemütlich singen möchte. Die Schwester findet das doof. Als die Kinder sich geeinigt haben, versucht der Singlehrer-Papa sie über arabische Moll-Tonarten aufzuklären. Wenn man genau hinhöre, sagt er, würden die Kinder beim Sidi nämlich manchmal einen Halbton daneben liegen! Die Kinder streiten es ab und wiederholen die kritische Stelle wieder und wieder.
Ich stelle die Musik in meinem Kopfhörer lauter und denke: Wenn sich pendeln vermeiden lässt, sollte man es vermeiden. Wenn man sich keine Miete in Basel leisten kann, sollte man gut abwägen, womit man seine Freizeit lieber verbringt: Zugfahren mit nervigen Leuten oder arbeiten, um die Miete zu bezahlen? Eine schwierige Entscheidung…