Anna Alder steht kurz vor ihrem Masterabschluss in European Global Studies. Letzten Sommer war sie für ein AIESEC-Freiwilligenprojekt für sechs Wochen in Argentinien. Warum sie diese Auslandserfahrung geprägt hat, berichtet sie in ihrem Gastbeitrag.
Mein Entscheid zugunsten von Argentinien fiel ziemlich spontan aus. Ich war zuvor noch nie in Südamerika und spreche nur ein bisschen Spanisch. Die Landschaft und die Projektmöglichkeiten haben mich jedoch direkt angesprochen. Also habe ich mein Praktikum in der nördlichen Stadt Salta absolviert.
Da ich gerne mit Kindern arbeite und in der Schweiz mehrere Jahre Primarschulkindern Nachhilfe gegeben habe, fiel meine Projektwahl in den Bildungsbereich. Die Freiwilligenprojekte von AIESEC sind jeweils auf die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen ausgerichtet und leisten so einen Beitrag zur Erreichung dieser 17 Ziele bis 2030. Das Projekt „Educarte“, in welchem ich aktiv war, richtet sich auf Ziel Nummer 4 „Quality Education“ aus.
Während sechs Wochen habe ich in einer Stiftung gearbeitet, die Kindern aus armutsbetroffenen Familien einerseits Unterstützung bei schulischen Problemen bietet und ihnen andererseits ein nahrhaftes Frühstück zur Verfügung stellt. Natürlich darf auch das Spielen nicht zu kurz kommen.
Meine Aufgaben bestanden hauptsächlich darin, den Kindern im Alter von acht bis achtzehn Jahren etwas Englisch beizubringen und ihnen Einblicke in andere Kulturen, wie die der Schweiz, zu geben. Mit den weiteren Freiwilligen aus der lokalen Universität von Salta haben wir aber auch mit den Kindern gebastelt oder Ball gespielt.
Das Geschenk der Zeit
Die Kinder kamen teilweise aus schwierigen Familienverhältnissen und es war ein schönes Gefühl, ihnen die Aufmerksamkeit und Zeit schenken zu können, die sie zuhause vielleicht nicht immer erhalten. Die Kinder waren mir gegenüber sehr offen und herzlich und ich fand es beeindruckend zu sehen, wie unbeschwert sie trotz ihrer teils schwierigen Geschichten waren. Im Alltag in der Schweiz geht bei mir immer wieder vergessen, wie gut ich es habe und dass die Probleme, mit denen ich zu kämpfen habe, von bescheidener Natur sind. Die Zeit in Argentinien hat mich gelehrt, achtsamer zu sein und die Dinge in ihrer Gesamtheit zu schätzen, anstatt mich an kleinen Aspekten zu ärgern oder mich dadurch bremsen zu lassen.
Während meines Aufenthalts habe ich in einer Gastfamilie gewohnt. Diese ist mir wie eine zweite Familie ans Herz gewachsen. Die Mutter und ihr Sohn haben sich gut um mein Wohlbefinden gekümmert und mich in ihr Familienleben integriert. Die Herzlichkeit und Offenheit meiner Gastfamilie und vieler anderen Personen, welche ich kennenlerne durfte, hat mich fasziniert und in meiner Persönlichkeit geprägt.
Erinnerungen werden wach
Meine Grossmutter flüchtete während des Zweiten Weltkriegs aus Ungarn in die Schweiz. Sie war mir stets ein grosses Vorbild, weil sie ihr Leben lang Personen bei sich aufgenommen hat, und jede/r noch einen Platz am Esstisch bekommen hat, obwohl es schon sieben Kinder zu versorgen galt. Die Argentinier haben mich in ihrer Willkommenskulter ein Stück weit an meine Grossmutter erinnert. Ich versuche, diese nun noch bewusster selbst zu leben, seit ich zurückgekehrt bin.
Die Situation war jedoch nicht immer einfach. Ich hatte anfangs Mühe mit den Hygieneverhältnissen. Ich konnte mich nicht richtig ausdrücken, weil mein Wortschatz ziemlich bescheiden war. Ich fühlte mich teils verloren in dieser grossen Stadt, weitab von meiner Familie und Freunden. Dennoch habe ich versucht, das Beste aus der Erfahrung zu machen und dabei auch grosse Unterstützung von AIESEC vor Ort, von meiner Gastfamilie und den anderen Freiwilligen erhalten.
Die Zeit im Ausland hat mich insgesamt mutiger und zielstrebiger gemacht. Ich habe in der kurzen Zeit enorme Fortschritte gemacht im Spanisch. Ich durfte ein Land kennenlernen, welches mich in seiner Schönheit und Einzigartigkeit beeindruckt hat. Und nicht zuletzt habe ich gelernt, Herausforderungen zu meistern und zu erkennen, dass nicht immer alles nach Plan läuft. Ich konnte den Kindern in der Stiftung Unterstützung bieten und ihnen eine Freude machen. Eine Änderung in deren Leben für kurze Zeit, die persönliche Entwicklung bleibt jedoch für immer.
Ein paar Worte zu AIESEC
AIESEC ist die grösste Studierendenorganisation weltweit und vertreten in über 120 Ländern. Gegründet nach dem zweiten Weltkrieg war das primäre Ziel der Organisation Frieden zu fördern und das Potenzial junger Menschen zu nutzen, um Gutes zu bewirken. AIESEC eröffnet Menschen im Alter von 18 bis 30 Jahren die Möglichkeit Praktika im Ausland zu absolvieren. Einerseits sind dies professionelle Praktika von 6 bis 18 Monaten in mittelgrossen Unternehmen, welche nach dem Bachelorstudium stattfinden und andererseits Freiwilligenprojekte von 6 bis 8 Wochen. Die Projekte sind beispielsweise im Gesundheits- und Bildungsbereich, in HR und Marketing oder im IT-Bereich angesiedelt. Der Austausch kann das interkulturelle Verständnis fördern, Personen mutiger und offener machen und ermöglicht es Freunde aus der ganzen Welt zu finden.