Jenseits des Gotthards

Tagebuch einer Tessiner Pilgerin an der Uni Basel

Andere Sprache, andere Kultur, andere Mentalität, gleiches Land. Anna kommt aus dem Tessin und studiert an der Universität Basel. Warum aller Anfang schwer ist und warum es sich trotzdem lohnt durchzuhalten, lest ihr in ihrem Gastbeitrag.

Verweilt man in Fribourg, wird man von den vielen „Sì“ und „Tutto bene“ nicht überrascht, denn die schweizerfranzösische Universitätsstadt ist eines der Lieblingsziele von den italienischsprachigen Tessiner Studenten. Fährt man dann von Fribourg nach Zürich, werden die Dinge nicht anders: Viele Italiener, die in der Nachkriegszeit in die Schweiz migriert sind, haben den schweizerischen Finanzplatz par excellence zu ihrer zweiten Heimat erkoren und prunken manchmal mit einem besseren Schweizerdeutsch als die Zürcher selbst. Entscheidet man nach dem Aufenthalt in Zürich, mal die internationale Luft von Basel einzuatmen, wird die Sprache von Dante eine species rara, die bloss unter den (nicht vielen) Italo-Baslern und (noch weniger) Tessiner Studenten geredet wird, die eines Tages die Wahl getroffen haben, die schweizerische Sonnenstube für einen Ort zu verlassen, wo der homo Ticinensis vom Aussterben bedroht ist. Ich bin eine von ihnen.

Als Tessiner gewöhnt man sich schnell, in der Deutschschweiz die „pizza ai quattro formagi“ mit einem einzigen „g“ oder „spagetti“ ohne „h“ zu lesen. Die übliche Reaktion ist ein spontanes Lachen, denn es ist im Grunde genommen schmeichelhaft, dass die Tessiner Küche (seinerseits aus Italien importiert) die Kultur- und Sprachbarrieren überwunden hat. Ich habe mich ab und zu auch über die Deutschschweizer und ihre geringen Italienischkenntnisse lustig gemacht, als meinem cappucino ein „c“ fehlte.

Das war aber, bevor ich vor drei Jahren nach Basel zum Studieren zog. In Basel habe ich nämlich schnell lernen müssen, wie wertvoll jedes italienische Wort war, das an dieser Seite der Alpen an meine Ohren kam. Von meinem Gymnasium, dem Liceo Mendrisio, hatten nur eine Freundin von mir und ich Basel als Unisstadt gewählt – alle anderen waren zu „typischeren“ Tessiner Studiumsorten gegangen, meistens in der französischsprachigen Schweiz.

In Basel waren meine Freundin und ich auf uns selber angewiesen und konnten nur unserem Schuldeutsch vertrauen. Sprach jemand auf der Strasse oder im Zug Italienisch, drehte ich mich sofort um, Richtung Sprache, Richtung Heimat. Denn nirgendwo habe ich wie hier begriffen, was eine Sprache mit sich bringt – Kultur und Gesellschaft, natürlich, aber auch Gefühle und Emotionen, die oft nur in der Muttersprache ihren Ausdruck finden können.

Sie waren hart, diese ersten Zeiten, nicht nur wegen der Sprache: Die Zurückhaltung der Deutschschweizer verglichen mit der eingeborenen Tessiner Spontaneität liess mich manchmal ratlos. Ausserdem beeinflussten die anfänglichen Schwierigkeiten mit dem Studium meine ansonsten gute Laune so sehr, dass ich mehr als einmal mir ernst überlegt habe, ins Tessin zurückzukehren und nach einer anderen Uni zu suchen.

Nach dem ersten Jahr waren trotzdem viele meiner Probleme gelöst – Sprache, Studium, Freundschaften. Plötzlich konnte ich fast nicht mehr glauben, dass ich nur vor einem Jahr so viel Stress hatte. Ich liebte das Studium, und die Leute, die mir auf Anhieb so fremd und eigenartig erschienen waren, hatten nun meine Nummer auf ihrem Handy gespeichert. Ja, ich bin froh, dass ich in Basel geblieben bin. Die Stadt mit ihren alten Gassen, dem Münsterplatz, dem Rheinufer, sogar den Trämmli gehören mir jetzt ganz allein, egal auf welche Sprache. Ich selber fühle, zu dieser Stadt hinzugehören. Wie sagte man schon? Was mich nicht umbringt, macht mich stärker.

 

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Herzlichen Dank für deinen Kommentar. Bevor dieser veröffentlicht wird, wirft noch jemand aus der Redaktion einen Blick darauf. Das kann ein bis zwei Arbeitstage dauern.
Ups. Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte versuche es noch einmal.